Ein Kessel Buntes
Seàn Treacy Band und Groove Incorporation beim Zeltival, Tollhaus Karklsruhe, 28.7.2010
Irgendwann wird die Zeit kommen, in der die stilprägenden Pop- und Rockmusikanten des ausgehenden 20. Jahrhunderts nicht mehr wollen oder können, und dann ist die Zeit reif für sich von Generation zu Generation fortpflanzenden Musikerkollektive wie das der Seán Treacy Band in Tateinheit mit der Groove Incorporation. Das Prinzip dieser speziellen Band ist über die Jahre das gleiche geblieben: gespielt werden Songs, die sie nicht in ihrem Standardrepertoire haben.
Songs, die einen vielstimmigen Klangkörper erfordern. Der selbst erteilte Auftrag aber klautet: Schönes, Bekanntes, manchmal auch Widerborstiges und Rares zu erhalten, einer vorsichtigen Eigeninterpretation zu unterziehen und der staunenden Zuhörerwelt als stimmiges Gesamtpaket zu präsentieren. Ja, meine Damen und Herren Musik-Nerds und Special-Interest-Foren-Vollschreiber: Man kann in einem Bühnenprogramm Depeche Mode und Beatles, Jeff Buckley und Foreigner, Rocky Horror Picture Show und Kate Bush mischen. Wenn man es mit Leidenschaft, Können und Verstand tut, und vor allem mit einem Sinn für Dramaturgie und Humor.
Soviel Lachen, soviel Grimassen, soviel sprühende Funken intuitiven musikalischen Verständnisses sieht man selten, obwohl es zu Beginn des Konzerts „nur“ um das werkgetreue Reproduzieren hochglanzpolierter Vorlagen geht. Da startet die zehnköpfige Band auf sicherem Terrain des Wohlklangs mit „Everybody Wants To Rule The World“, dann die muskelstrotzende Manfred Mann Version von „I Came For You“. Dass das Original-nahe Nachspielen nicht allein Sinn und Zweck eine Coverband sein kann, dessen sind sich die Musiker wohl bewusst. Also weiter zu neuen Ufern. Und so spiegeln sie „Lucy In The Sky With Diamonds“ durch ein heitere Brille. Da hält sich Sandie Wollasch auch einfach mal die Nase zu, um einen nasalen Gesang zu erzeugen. Aus „Sweet Transvestite“ (aus der Rocky Horror Picture Show) macht Olli Roth eine zweilichtige, fiese Heavy Metal Orgie. Sandie Wollasch und Seán Treacy dürfen dazu das einfältige Paar geben und erschreckt schauen., wozu auch schon die Kraft der zwei Gitarren von Andy Bock (Treacy Band) und Peter Koobs (Rosenstolz) gereicht hätte. Überhaupt Koobs: der zeigt sich als vielseitiger Solist, der neben viel Lärm auch mal mit einer federleichte Rockabilly Gitarre überzeugen kann. In „Running Up That Hill erklimmt Sandie Wollasch wie schon im Vorjahr den Gipfel des Kate Bush-Interpretentums. Und schafft es dabei sogar, dem Song das unnahbar-vornehme ein wenig auszutreiben, ohne ihm seinen Zauber zu nehmen. Ebenso erstaunlich ist die mysteriöse Aura, die plötzlich l„Personal Jesus“ (Depeche Mode) umgibt. Seán Treacys großer Auftritt ist Phil Collins‘ „In the Air Tonight“, mit deutlich mehr Street Credibility und schmutziger gesungen als das Original. Obwohl Treacy an anderer Stelle behauptet, noch nie im Leben in einer Kneipe gewesen zu sein. Dann nämlich, als der Special Guest des Abends, (Ingo) Pohlmann – leicht übermotoviert – wirre Geschichten von seiner Hamburger Kneipenbekanntschaft mit Peter Koobs zum besten gibt. Pohlmann schafft immerhin mit seinem Hit „Wenn jetzt Sommer wär“ für ein paar Minuten ausgelassene Stimmung. Den Vogel schießt aber wiederum Sandy Wollsach ab als sie („Ihr wisst schon, wer ich bin?“) den Robert Plant gibt, während die Band ein Martialisches „Black Dog“ von weiland Led Zeppelin aus allen Rohren feuert. Einer der wenigen Momente, in denen man sich wünscht, der exzellente Drummer Tommy Baldu würde mal seine wissenschaftliche Messer- und Gabel Stockhaltung aufgeben und sich in einen Schmied verwandeln. Das aber ist nicht das Entscheidende: Was hier auf der Bühne passiert, geht nur unter wirklichen Freunden, sagt Olli Roth gegen Schluss.
tz