Der Melting Pot brodelt schon
Die Popakademie in Mannheim hat ihre künftigen Stars geprüft
Dario Allegra ist ein wenig nervös: Es ist Nachmittag, es ist warm, und er ist jetzt dran. Dario will an der Popakademie studieren, und da sitzt er nun mit seinem Elektropiano. Ihm gegenüber acht Menschen mit sehr, sehr guten Ohren, unter ihnen die Popakademie- Geschäftsführer Professor Udo Dahmen und Dirk Metzger, die Sängerin Pe Werner und der Gitarrenzauberer Peter Wölpl. Dario schraubt am Mirkophon.“ Brauchst Du einen Notenständer?“ fragt Pe Werner aufmunternd. Nein, braucht er nicht. Dann singt er zweieinhalb Songs. Udo Dahmen winkt ab. Genug gehört fürs erste. „Jetzt würd’ ich noch gerne wissen, wie es klingt, wenn Du deutsch singst“, sagt Pe Werner. Dario bekommt ein Playback zugespielt, ein Textblatt in die Hand gedrückt – und singt einfach drauflos. Dann noch ein paar Fragen zur persönlichen Motivation und: „Der nächste bitte….“
Der Umgang ist leger, Jurychef Dahmen lässt es sich nicht nehmen, während der Prüfung seine Pizza zu verspeisen. Mit Beifall und Lachen sparen die acht Weisen auch nicht, und das hilft den Kandidaten. Pressereferentin Isabel Palmtag bestätigt es: „Das ist eine freundliche Musikerpolizei, nicht so eine dissende…“ Genau wie Dario ging es bis zum vergangenen Sonntagabend insgesamt rund 160 geladenen Kandidaten. 14 Tage lang gaben sie sich in den gerade bezogenen Räumen im Quadrat N 7 die Klinke in die Hand. Jeweils die Hälfte hatte sich für die Studiengänge Popmusik-Design und Popmusik-Business gemeldet, und sie waren die „Auserwählten“ aus etwa 700 Kandidaten für insgesamt 55 Studienplätze (25 im Bereich Popmusik-Design und 30 Popmusik-Business). Die beiden Studiengänge sind unterschiedlich ausgerichtet, befruchten sich aber gegenseitig. „Business und Musik sind stark verschränkt. Am Anfang des Studiums haben alle rund fünfzig Prozent gemeinsamer Unterrichtszeit.“ Der Studiengang Musikbusiness bietet eine grundständige Business-Ausbildung, beispielsweise für Band- oder Labelmanager, Marketingexperten und Existenzgründer in der Musikbranche. Die größte deutsche Plattenfirma Universal Music wird ihre gesamte Ausbildung nach Mannheim verlegen und gemeinsam mit der Popakademie den Führungsnachwuchs ausbilden. Der Studiengang Popmusikdesign richtet sich an den künstlerische-kreativen Bereich, also an Sänger, Instrumentalisten, Songwriter, Producer und DJs. Die Studenten lernen die eigene Musik zu produzieren, von der Komposition bis zur fertigen CD und der Bühnenperformance. Udo Dahmen, Geschäftsführer der Popakademie, setzt auf „starke Netzwerke zwischen Vermarktern und Musikern“. Diese Netzwerke sollten während des Studiums entstehen, aber auch darüber hinaus bestehen bleiben. Songwriting, Performance, Produktion, Vermarktung, Management – alles aus einem Haus. „Hier entstehen Teams vor Ort, die sitzen ja bei uns alle unter einem Dach….“ redet er sich in Begeisterung. Und definiert – nicht bescheiden, aber glaubhaft – die Zielvorgabe: „Ein Think Tank für Popmusik, wie es ihn so noch nicht gab“, nicht weniger sei hier im Entstehen. Etwas ganz anderes als die „Deutschland sucht den Superstar“-Castings, erklärt er, ohne daß jemand danach gefragt hätte. Immer noch herrscht nervöse Spannung vor Raum 306, in dem die Prüfung läuft: Kai Podack, 20 Jahre alt, Wollmütze, breites Lachen. Bald ist er dran: „Ich hatte nur zwei vorzeigbare Songs und noch 17 Stunden Zeit. Da hab’ ich noch schnell einen Song geschrieben und aufgenommen!“ sagt er. Er hat Klassik gemacht, als HipHop DJ in Clubs aufgelegt. Was braucht so einer noch? „Guten Gesangsunterricht“, sagt er lachend. Um ihn herum DJs mit Turntables, Pianisten, und mittendrin King Zooka. Dreadlocks, ein ganz cooler Typ. Produzent will er werden, Abteilung Ragamuffin. Bunte Outfits, eine neugierig machende Modenschau der Kopfbedeckungen und musikalischen Stile, man scherzt und flachst miteinander, als kenne man sich schon seit der letzten gemeinsamen Worldtour. „Wir hatten aber auch einen, der hat sich einfach allein in den Raum gestellt und gesungen“, erzählt Isabel Palmtag. Laura Bellon hat die Songs für den Prüfungsauftritt extra mit drei Jungs einstudiert. „Ich weiß nicht, wie es für sie lief, aber sie war sehr entspannt und hatte offenbar viel Spaß am Singen“, sagt einer ihrer Begleiter. All die Kameras, die Radio- und Zeitungsmenschen, nein jetzt erst mal nicht reden. Nach einer halben Stunde dann doch: „Die Fragen waren das anstrengendste. Wenn da acht Leute sitzen und wissen wollen: Warum sollen wir Sie nehmen oder: Wie erklären Sie sich den Erfolg von Madonna“, letzteres bitte auf Englisch. Laura – die Soulsängerin. Dario Allegra muss sich die Frage gefallen lassen, warum er keine eigenen Songs präsentiert hat. Und antwortet grundehrlich: „Ich habe welche geschrieben, aber die fand ich nicht gut genug!“ Wo er denn mal hinwolle? Produzieren, arrangieren, das sei sein Ding. Und, fast klingt es ein wenig verlegen: „ich möchte ergreifende Filmmusiken schreiben.“ Pe Werner erläutert: „Die Bandbreite ist nicht überraschend, die ist ausgewählt. Freestyler und Rapper sollten auf Sänger treffen, dadurch kann wieder was ganz neues entstehen.“ Und wofür begeistert man sich als Juror? „Ich glaube , man spürt, ob da eine gewisse Leidenschaft dahintersteckt oder ob die Mutter gesagt hat: Hey du hast doch eine schöne Stimme, bewirb dich da mal.“ Dennis Khan geht rein, der hat den Tip bestimmt nicht von seiner Mutter. „Ich kasteie mich vor jedem Auftritt mit dem Mikrophonkabel“, sagt er, ganz cool. Er stellt sich grinsend vor die Juroren, und murmelt eher beiläufig: „Ich sample jetzt was.“ Dann lässt er einen Stuhl fallen. Und basierend auf diesem Geräusch rappt er los. Die Presse muss raus, er will nicht gestört werden.Über Kandidaten wie ihn freut sich Professor Udo Dahmen besonders: „Genau das belegt, dass wir auch diese revolutionären Szenen erreichen, und dass diese Leute auch zu uns wollen.“ Und da sieht er auch das Potential seiner künftigen Studentenschaft: „Wir werden hier einen richtigen Melting Pot kriegen, viele neue Impulse werden aus der Akademie kommen.“ Dennis Khan kommt wieder raus, und die Rundfunk und Fernsehleute wollen seinen Rap als O-Ton. Der Bursche will Geld sehen, er müsse ja schließlich die Heimfahrt bezahlen. „In 10 Jahren zahl ich euch es zurück, wenn ich berühmt bin“, frotzelt er. Die Reporter zücken ihre Geldbörsen und legen zusammen. „Die Presse wird gleich von Anfang an ausgequetscht“ sagt er triumphierend. Und rappt noch mal in die Mikrophone.