Bei uns zuhaus

Ein Jahr nach dem 50jährigen Bandjubiläum und nur zwei Jahre nach Indian Camel hat Bröselmaschine, die Duisburger Rock-Institution in Sachen grenzenloser musikalischer Freiheit ein neues Album am Start. Elegy spannt den Bogen von Folk über Weltmusik bis Metal und klingt erstaunlich jung. Das sollte mit einer raschenden Releaseparty begangen werden.
Duisburg, Grammatikoff, Sonntagabend, Ein kuscheliger Club im Dellviertel. Nebenan das Programmkino, daneben eine Kneipe mit Hausbrauerei. Der perfekte Ort für ein Release-Konzert von Bröselmaschine. Ich war da, und es war großartig. In musikalischer und in menschlischer Hinsicht. Und kosmisch war es auch. Wie meinen? Nein, ich habe nichts geraucht.

Der Aufbau ist fertig, ein paar Leitern stehen noch herum, das Licht will gerichtet sein. Morgens habe ich noch mit Peter Bursch telefoniert. Ja, alles klar, Interview beim Abendessen, Soundcheck davor um fünf. »Du kannst aber gerne vorher kommen«. Alles ganz entspannt, keine Formalitäten, keine sieben Backstage-Pässe, keine Fragen, die nicht gestellt werden dürfen. »Unser Drummer ist schon um eins da, der baut zwei Stunden lang auf«, hat Peter noch gesagt. Klar, ein Schlagzeug wie eine Ritterburg, aber Manni von Bohr nutzt es ja auch. Später treffe ich ihn im Saal, er erzählt. Gerade habe er noch mit Randy Hansen in Paris im Olympia gespielt vor 4.000 Leuten. Ja, denke ich mir, der Mann muss auch eine Menge Zeug im Kopf auseinandersortieren, wenn er sich an seine Teller und Töpfe setzt. Ob er einen Stadplan dafür hat? Manni begrüßt seinen Kollegen bei Birth Control, den Gitarristen Martin „Ludi“ Ettrich. Der wird mir später einiges über seine anderen musikalisichen Projekte erzählen und auch über eine Art Talkshow mit Musik, die er in einem Club in Mülheim macht. Klingt gut. Peter Rüchel – der Gott des Rock’n’Roll hab‘ ihn selig – war dort schon einer seiner Gesprächspartner. Darauf und auf anderes trinken wir ein, zwei, drei Bier. Später, beim Konzert. Noch mehr Bier.
Kurz vor sechs: Eine gute Stunde lang haben die Musiker den Sound gecheckt, letzte Hand an Arrangements gelegt, Möglichkeiten für Improvisationsteile im Konzert besprochen und geprobt. Es macht Spaß, zu zuszuchauen. Die Geige von Gast-Violinistin Tamara Siderova ist noch zu laut, sagt Peter Bursch. Der Mixersmann korrigiert. Jetzt ist es besser. Braucht noch jemand was? Ja. Sie spielen nochmal ›Black Is Your Colour‹ Noch eine halbe Stunde bis Stage Time. Die Musiker trudeln nach und nach ein, dort wo das Essen stehen wird. Viel Hallo, Umarmungen. Wo ist Peter? Momente später ist der da, aufmerksam und gesprächsbereit. So ist das eben bei dieser Kapelle. Das letzte Mal war ich nach Köln angereist für die Indian Camel-Release, das war 2017. Da wuirde gegrillt bei Detlef Wiederhöft, dem Bassisten, und man unterhielt sich über Bratwürsten und Salat. Wo ist Detlef heute? Krank, wird vertreten durch Carlos Palmen. Der hat das schon öfter gemacht, wird das auch jetzt wieder hinkriegen. Peter Bursch hat einen Teller Nudeln vor sich. »Gerade erzählte mir ein Zuschauer, wir wären in den Charts mit der Platte. Ich weiss aber nicht, wo«, sagt er zwischen zwei Bissen. Es klingt fast amüsiert, denn eigentlich zählt für ihn etwas anderes: »Man macht immer das, was man gerade machen will, woran man Spass hat. Und wenn man dann auch noch so tolle Mitmusiker in der Band hat…«
Das Kompliment, das neue Album „Elegy“ klinge wie eine junge Band, nimmt er gerne auf: »Wir spielen ab und zu auch mal auf einem Festival, bei dem die Ältesten im Publikum 25 sind«, freut sich der 70jährige. Da haben wir mal mit einem Sitar-Stück angefangen, und die Leute waren erstmal total weg, weil sie so einen Sound nie gehört hatten. Dann haben wir das so aufgebaut, dass es richtig heavy wurde, und die Leute flippten total aus.    Da stand am Merchandising eine hundert Meter lange Schlange, die wollten alle unsere Platten haben.« Das ist das besondere an dieser Band, die 2018 50 Jahre alt wurde: Sie zieht nicht die Zuschauermassen in die großen Hallen, aber sie erobert vor allem Festivalpublikum aller Generationen im Sturm. »Der Funke muss überspringen, man schaut in die Gesichter, und sieht dann schon, die haben es kapiert«, ergänzt Burschs Gitarren-Sparringspartner Michael Dommers.
Dabei hilft die Vielseitigkeit, dieses scheuklappenfreie Musizieren in der Tradition der 70er Jahre, das auch bei moderner Instrumentierung und Produktionstechnik immer noch das unverwechselbare Bröselmaschine-Flair gerantiert. Elegy ist die natürliche Fortsetzung des Vorgängers Indian Camel von 2017. Der Stilmix ist dabei alles andere als am Reissbrett geplant. »Wenn du zwei Jahre auf Festivals gespielt hast und dann wieder an neuen Stücken arbeitest, kommt das von selbst. Wir sind eine sehr lebendige Band. Wir sind sehr aufmerksam und setzen Einflüsse um. Als wir anfingen, waren wir sehr irisch beeinflusst. Jetzt haben wir durch Zufall zwei Stücke drauf, die so einen irischen Touch habe. Aber es hätten auch mehr Heavy-Sachen sein können.« Die Arbeitsweise ist dabei traditionell. Die Band probt für Konzeretr, es wird viel gejammt. Man erspielt sich so Freiräume für die Bühne, die Möglichkeit, auf Stimmungen zu reagieren. Gleichzeitig sind die Proben Ideensammlung. »Am Ende haben wir so zehn, 15 Ideen, und ich schicke die dann alle rum. Daraus werden drei oder vier Stücke, die wir uns bei der nächsten Probe vornehmen.«
2005 wollte der Rockpalast Bröselmaschine für eine Krautrock-Nacht haben. Damit war die Wiederauferstehung der Band, die in den 20 Jahren davor kaum aktiv gewesen war, besiegelt – zumindest als Live-Attraktion. Seit dieser Zeit spielt Bröselmaschine auch in weitgehend gleicher Besetzung, allein am Mikrofon herrschte in den vergangenen Jahren rege Fluktuation. Nach der Wiederauferstehung hatte Anja Lerch den Platz am Mikro eingenommen, auf dem Studio Comeback Indian Camel ist Liz zu hören. Als Sängerin top, aber es gab ein Problem. »Sie ist Model und rief manchmal an: Hör mal, wir spielen nächste Woche drei Jobs in Süddeutschland. Ich kann aber in der Zeit auf Teneriffa beim Fotoshooting mehr verdienen. Aber ich habe eine Sängerin für euch, die einspringen kann.« Das konnte auf Dauer kein Zustand sein.
Auftritt Stella Tonon: sie lernt Bröselmaschine-Bassist Detlef Wiederhöft bei einer Jam-Session kennen. »Er hat mich gefragt, ob ich Lust hätte, mal einzuspringen. Das ist sehr gut gelaufen, und dann ist es passiert.« Elegy ist ihr Einstand im Studio, und es sieht sehr danach aus, als sei sie gekommen um zu bleiben. Die 40jährige mit italienisch-portugiesischen Wutrzeln spricht und singt fünf Sprachen: »Für mich ist es einfach toll, dass ich alles, was ich mag – an Sprache, an Genres – einbringen kann. Ich spreche Englisch, Italienisch, Portugiesisch, Französisch, Spanisch – und ich liebe es auch, damit zu arbeiten. Die englische Sprache hat nicht ganz die Emotionalität wie Italienisch und Spanisch, da kann man das ganz anders ausleben. Das ist halt selten, dass man das machen kann. Ich höre gerne 70er Rockmusik, aber auch Worldmusic, das kann man wunderbar in die Maschine packen.« Für Peter Bursch ist der Neuzugang jedenfalls ein Sechser im Lotto. »Wenn jemand neu in der Band ist, versucht man rauszukriegen, wo die Schwerpunkte sind, wie man gut zusammenarbeiten kann, wie man andere Indee für den Song entwickeln kann. Das geht mit ihr unglaublich gut. Mit allem, was die Band spielt – von Folk bis Heavy Metal, kommt sie klar. Es ist nicht so einfach, eine Sängerin zu finden, die das drauf hat.« Bein Soundcheck ist Stella noch in Jeans und Jacke zu sehen, für dei Show zieht sie ein rotes Kleid an – und man ahnt was kommt: Jetzt wird es theatralisch. I am deelply impressed. Andere mögen über diese Art Ausdruckstanz spötteln, ich finde das der Musik angemessen. Große Musik braucht eben manchmal Pathos. Basta.
Am anderen Ende des Tischs steht Tamara Sidorova. Im internet findet man sie unter ›Show-Geigerein‹ und stellt sich so eine fürnehme Dame im kleinen Schwarzen vor, die mehr aussieht als geigt. So eine ist Tamara nicht. Die ist eher handfest, zupackend und kann lachen, das sich die Balken biegen. »Ich bin ein Clown. Ich klaue alles «, erzählt sie mir mit diesem Akzent, der genauso kiingt wie ich, wenn ich einen Russen nachmache. Sie hat sich gerade ein Bier geholt und erzählt weiter: »Mein Vater ist Opernsänger. Er hat mir gesagt: Tamara, du hast keine Stimme. Du musst Geige spielen!« Die russische Gast-Violinistin hat unter anderem schon mit dem Staatsorchester Moskau – aber auch mit Eric Clapton gespielt. Auf Elegy und im Konzert spielt sie drei Songs. »Ich spiele alles«, lacht sie, »Folk, Jazz und Klassik, und ich liebe Sessions. Ich habe eine Session gespielt bei Detlef. Detlef hat mir die Musik gezeigt, ich habe viele Sachen aufgenommen, dann hat er ausgesucht, was gepasst hat.« Tamara ist überzeugt, in Russland wäre Bröselmaschine eine große Nummer, und auch sie schwärmt von der Sängerin. »Sie wechselt die Sprachen, und dann kommt diese Farbe, Farbe Farbe. Ich verstehe die Sprache nicht, aber die Farbe, den Klang verstehe ich sofort.« Das zeigt sich auch in ihrer Art, der Bröselmaschine-Musik einen zusätzlichen Push zu geben. Wehe, wenn sie losgelassen, da wird es kosmisch. Zugegeben, mein Eindruck von den überirdischen Qualitäten der Band ist deutlich verstärkt durch den Konsum der Biere, die wie von selbst aus der Theke wachsen – oder war’s der Ettrich? Aber schön trinken muss man sich hier nichts. Als Tamara von der Bühne kommt, mache ich ihr ein Kompliment. Sie dankt es mit einem großen Angebot: „Mögen Sie Champagner?“ Fragt sie. Und liefert für den Rest der Darbietung Champagner aus unbekannter Quelle, aber aus eindeutig bunten Kaffeetassen.
Gute Bröselmaschine-Tradition ist es, Songs jahrelang Live aufzuführen, bevor sie im Studio umgesetzt werden. Die dann auf CD festgehaltenen Versionen sind aber nicht unbedingt die definitiven. »Wir improvisieren, wir bleiben nie stehen«, sagt Peter Bursch. Wie bei ›I’d Rather Go Blind‹, dem Bluesklassiker, der 1967 erstmals von Etta James aufgenommen wurde. Seit Jahren ist das Stück in der Setlist vieler Bröselmaschine Konzerte. »Das ist für uns eine der schönsten Bluesnummern. Wir haben uns so in unsere eigene Versiomn reingearbeitet. Wir merken,wie das beim Publikum ankommt und wie es uns beim Spielen hochpusht. Dadurch hat sich das über die Jahre verändert. Wenn das richtig gut ist und wir uns selbst damit ausdrücken können, dann machen wir das auf die Platte. So sind wir auch ins Studio gegene, wir haben das nur einmal gespielt, und dabei ist die gleiche Stimmung entstanden wie auf der Bühne.«
Nach dem Konzert bleiben die Die Hard-Fans noch im Auditorium. Nette Leute. Ganz normale Menschen. Zottelhaarige alte Männer wie ich selbst, mittelalte Frauen in Bröselmaschine-T-Shirts. Lachende Gesichter überall. Ich biete an, Fotos zu machen, man kommt in Kontakt. Das sind die Leute, die Peter Bursch zu seinen Workshops folgen, aus Freude am Musikmachen. Ich erzähle ein bisschen, was ich so treibe, und entschuldige mich schon von vornherein, dass ich jetzt veilleicht wie ein Angeber rüberkommen. Aber ein bisschen stolz bin ich ja schon, diesen echten Duisburgern und Duisburgerinnen erzählen zu können, das ich die ausführlichen Liner Notes zu der retrospektiven CD-Box der Band schreiben durfte. Und in dem Moment fühlt es sich an wie »bei uns zuhaus«. Ich mache noch ein Foto von den heiligen drei Königen Ettrich, von Bohr und Bursch und verabschiede mich. Bis in zwei Jahren hoffentlich zur nächsten Release-Party im Grammatikoff.