Anfang Juli 2007: Die „Drei mal zehn Jahre“ Tour neigt sich ihrem Ende zu. Rund 80 Konzerte hat die Band seit den beiden Auftaktkonzerten am 14. und 15. Januar 2006 in der Kölnarena gespielt, dort allein haben 24.000 Fans mitgefeiert, insgesamt haben rund 300.000 Menschen bislang die Jubiläumstour gesehen. Abgesehen von der Hallentournee, die im März bis Sommer 2006 gelaufen ist, liegen die Dates der restlichen Tour relativ locker verteilt.

Kein Riesenstress also für die Band, eher schon für Wolfgang Niedecken, der parallel auch noch mit seinem Bob Dylan Programm unterwegs ist, bei dem er aus des Meisters „Chro

nicles“ liest und ausgewählte Dylan-Songs spielt. An diesem Juli-Wochenende werden sich die Räder für die kleine Rock’n’Roll-Kapelle mal wieder so drehen, wie es im Rock’n’Roll Zirkus üblicherweise gehört. Vier Gigs nacheinander stehen auf dem Tourplan: Konstanz, Schwäbisch Gmünd, Raumland im Wittgensteiner Land (irgendwo im Nichts auf halbem Weg zwischen Dortmund und Kassel). Die Konzerte sind zur Hälfte in Zelten und im Freien, dem Wettergott muss also „koot für aach“ jeweils besonders intensiv gehuldigt werden. Am 2. Juli abends um 20 Uhr 8 und 50 Sekunden schickt Tourmanager Didi Hentschel eine Mail an alle Beteiligten. Damit n

iemand sagen kann, er habe von nichts gewusst. Der entscheidende Satz ist: „Uns steht ein sportliches Wochenende bevor“. In der Tagt, vier Konzerte ohne Off Day – das geht an die Grenzen der physischen Leistungsfähigkeit, vor allem des Drummers. Drei „normale Tourtage“ bedeuten bei BAP im Regelfall drei bis dreieinhalb Stunden Hochleistungssport, anschließend eine relativ lange „Adrenalin-Abbau-Behandlung“ an wechselnden Orten: Zunächst im Backstage-Bereich, anschließend an der Hotelbar und infolge dessen relativ wenig Schlaf bis zum nächsten Soundcheck. Wobei die Länge des Aufenthalts an den jeweiligen Orten von seinen ganz speziellen Qualitäten abhängt, und selbstredend davon, wer hier sonst noch abhängt. Jedenfalls „bist du nach drei Tagen normalerweise fix und alle“ sagt Jürgen. Angehängt an die Ankündigung des „sportlichen Wochenendes“ ist eine Seite, die Didi mit „Diskussionspapier Konstanz“ überschrieben hat. Ein wunderbarer Euphemismus. Denn Didis Diskussionspapiere sind die Heilige Schrift, das eherne Gesetz und lassen doch Spielraum, beispielsweise für die Ankündigung der morgendlichen Abfahrtszeiten zum jeweils nächsten Konzertort. Die erfolgt dann in der Regel m

ündlich zu fortgeschrittener Stunde an der Bar, wobei der strenge Herr Hentschel immer taktisch klug einen Zeitpunkt wählt, zu dem er sicher sein kann, dass jeder der Angesprochenen noch in der Lage ist, seinen mit Bedacht gesetzten Worten zu folgen.

Am 5. Juli um 11.10 Uhr sitzt Jürgen im Regio-Express von Karlsruhe nach Konstanz, um 14 Uhr 16 wird er am Konstanzer Hauptbahnhof aussteigen, um 20 Uhr wird die Band beim Konstanzer Zeltival auf der Bühne stehen. Die Anreise ist wie eine Sternfahrt organisiert: Während der Trommler im oberen Stockwerk des Waggons die Aussicht in den regnerischen Schwarzwald genießt, hat Holger (Fahrer und Teleprompter-Operator) schon Micha (Keyboards), Anne (Geige) und Carsten (Backline, Stage Right) am Züricher Flughafen abgeholt. Die drei waren um 9.05 vom Berliner Flughafen Tegel gestartet. Holger selbst hatte (wie die gesamte Technik-Crew) schon eine Nacht in Konstanz verbracht, und auch schon am Vortag die Saiten-Fraktion Helmut und Werner mit dem Bus an den Bodensee chauffiert. Didi war mit dem Boss als dessen persönlicher Chauffeur am Abend zuvor im 160 Kilometer entfernten Irsee „im Auftrag des Meisters“ Bob Dylan unterwegs gewesen.

„Das ist ein prima Hotel, vier Sterne, da waren wir schon mal. Da hörst Du nichts vom Bahnhof, obwohl es direkt gegenüber liegt“. Mal sehen. Tourneealltag produziert Tourneealltagsgeschichten, die tagelang weitererzählt werden, und bei jedem Erzählen immer besser werden. Wie durch Kristallisation. Bevor sich die Band gegen 15 Uhr im Hotelfoyer versammelt, hat Jürgen schon eine produziert, und ihr Name ist: „Was soll ich mit dem blöden Geräusch in meinem Zimmer?“ Denn kaum hat er den Raum betreten, fällt ihm ein sonores, fieses Brummen auf. Nein, der Bahnhof ist es nicht. Ist es der Tinnitus? Das geschulte Musikerohr erkennt: Der ist es nicht, aber es ist dennoch nicht im Stande, die Quelle des Brummens zu orten. Er schreitet den Raum auf und ab, und kommt zu dem Schluss, es ist der Raum, der brummt. Also zurück zu Rezeption mit seinem faltenwerfenden „Warum-gibt-es-hier- morgens-in-diesem-verfluchten-Hotel-kein-Müsli-für-einen-verdienten-Trommler-des-Volkes-Gesicht?“, was so ziemlich das Schlimmste an Service-Defizit ist, was ein Hotel ihm antun kann. Sein Zimmer brumme, er könne darin unmöglich länger sein, er verlange ein neues und zwar unverzüglich. Der Rezeptionist, der das Gesicht richtig zu deuten weiß, gibt dem offensichtlich verstörten Trommler sofort den Schlüssel für ein neues, doch auch dieses Zimmer brummt. Tinnitus klingt anders. Also steigt Jürgen wieder in den Aufzug, entschlossen, notfalls den Umbau des Hotels zu verlangen, und muss entgeistert feststellen, dass auch der Aufzug brummt. Ist er jetzt, nach über vier Jahrzehnten Arbeit im Berufsbild Rock’n’Roll, jetzt und hier in dieser beschaulichen südbadischen Stadt, plötzlich verrückt geworden? Und das kurz vorm Empfang im Rathaus? Es ist nicht der Aufzug, sagt ihm nach einigen Sekunden die akustische Beschaffenheit des Aufzugs, in dem die Herkunft des Brumm deutlich besser zu orten ist. Es ist der Elektro-Rasierer im Koffer. Jürgen muss dem Rezeptionisten seine Niederlage eingestehen. Der hatte wohl schon geahnt, dass es nicht sein Hotel ist, das brummt, und trägt es mit Gelassenheit.

Frau Motz (zumindest steht das am Türschild) geleitet die Band ins historische Rathaus zu Konstanz. Herr Frank, der grüne Oberbürgermeister, hat zum Empfang geladen. Nicht jeder der auftretenden Zeltival-Künstler bekommt die Ehre, sich ins goldene Buch der Stadt einzutragen, stellt Helmut Krumminga mit einem schnellen Blick fest: Anna Netrebkowa steht drin Placido Domingoi auch. An denen kommt man nicht vorbei, klar. An BAP natürlich auch nicht, denn hier im Konstanzer Rathaus gibt es offenbar die fraktionsübergreifende Pflicht, BAP-Fan zu sein. Der OB lobt denn auch in wohlgesetzten Worten das Wirken der Band über die Musik hinaus , insbesondere Wolfgang Niedeckens humanitäres Engagement, und schon legen sie los mit ihren eigenen gesammelten Tourtagebüchern, die Damen und Herren Gemeinderäte: In historischer wie in prähistorischer Zeit quasi habe sie selbstverständlich schon, spricht die grüne Fraktionsvorsitzende. Ja, und die Dame von der Linken steht etwas verdruckst und lächelt, war wohl nicht dabei, damals, fühlt sich aber irgendwie. Die mondäne Vertreterin der Christdemokraten hält es eher so allgemein, also in Konstanz, nichtwahr, da habe es ja früher nichts gegeben, aber jetzt, jetzt sogar BAP, ja. Und da sehe man doch. Dann fällt der Grünen noch ein, sie habe oder vielleicht eine Freundin habe früher, damals also in prähistorischer, als sie schon…. da hab die jedenfalls immer „Verdammt lang Hair“, im Sinn von Haare also. Statt her, sozusagen. Von gewesene, zeitlich. „Scheiße“, das kenne er, entfährt es da dem ob soviel Huldigung höchstr amüsierten Herrn Zöller. Er, beziehungsweise, seine Gattin beziehungsweise deren Freundin habe auch immer verstanden „Got my first real sex dream….“, mm Sinne von sex dream, wo doch aber der unschuldige Bryan Adams im Summer of sixty nine nur sang „got my first real six string“, im Sinne von Gitarre, elektrischer. Verständnisinniges Lächeln umflort die Runde. Na, die Gemeinderatssitzung werde schließlich auch schnell rum gehen, verfügt der OB das Thema, schließlich müssen ja alle dann gleich zu BAP.

Beschwingt schlurft die Runde aus dem hohen Hause, jaja, es hätte schlimmer kommen könne, es gibt trockenere Empfänge bei der Politik.. Aber ob die Rheinkilometer nun von der Brücke, die die auf der Schweizer Seite gelegene Konstanzer Altstadt mit dem nördlichen Rheinufer verbindet, gezählt werden, oder schon ganz hoch droben im Schweizer Fels, das kann der OB Wolfgang Niedecken nun nicht sagen. Schade, wo der doch immer genau wissen will, wie viel Rhein zwischen seinem momentanen Aufenthaltsort und der Kölner Südstadt liegt..

Das Zeltfestival-Gelände liegt direkt an der Schweizer Grenze, nicht einmal einen halben Kilometer vom Konstanzer Hauptbahnhof entfernt. Die Eidgenossen haben noch was davon, und auf der anderen Seite der Konstanzer Bucht freuen sich die Bewohner einer Seniorenresidenz schon seit zwei Tagen über die Beschallung. Das Zelt ist ausverkauft, knapp 2000 Fans werden abends in der südlichsten deutschen Stadt am Rhein BAP abfeiern. Im Backstagebereich passiert nichts wirklich aufregendes. Die Herren Musiker schauen in ihre Spinde, die den Charme einer Bundeswehr-Rekrutenstube verbreiten, und in zwei rollbare Metall Schränke à drei Abteilungen aufgeteilt sind. Sechs Stück für fünf Musiker? Richtig: Im sechsten steht, ordentlich beschriftet „dä Oleander“. (aus dem Song „Ich wünsch mir do wärs he“) in seiner ganzen Pracht. Ein Geschenk von Fans. Während des Konzerts wacht er in der Nähe des Monitormischpults, dann kommt er wieder in seinen Spind.

Jeder ist mehr oder weniger mit sich selbst beschäftigt in den letzten Minuten vorm Auftritt. Ein paar Witze machen die Runde. Helmut erteilt sich selbst eine Lektion in Kölscher Grammatik und Wortbildung. „Ich kann jo nur im Sitze sitze und im Stanne stonn“ murmelt er mal lauter, mal leiser vor sich hin. Für einen Ostfriesen klingt es recht akzentfrei. Ja, schon okay, aber Kölsch zu singen, öffentlich und außerhalb der zweiten Stimme zum Refrain, das käme ihm dann doch nicht in den Sinn. „Ja der Klabautermann, ja der Klabautermann….“ Singt der weil Michael Nass immer wieder, aber eher introvertiert denn als Darbietung fürs wuselnde und geschäftige Backstage Publikum. Der Trommler ist derweil ein wandelndes Energiebällchen nervöser Bewegungsenergie und trommelt auf allem herum, was ihm unter die Finger kommt. Noch fünf Minuten. Zeit für die Huldigung. Die Band, manchmal auch noch ein paar Gäste, versammeln sich zu diesem heiligen Ritual um den BAP-Altar, der immer seinen Platz direkt neben dem Bühnenaufgang hat.                 Wolfgang Niedecken schenkt den Grappa aus, die Huldigung geht an verdiente Mitarbeiter der Bewegung (tagesaktuell), an die 12.000 Jungfrauen und den Wettergott (tagesaktuell) und abschließend und entscheidend (immer) an die „Heiligen Drei Königen“, die „three Wymans“, als da wären Keith Richards, Ron Wood und eben Bob Dylan. Die Herren traten beim Live-Aid-Konzert 1985 mit extremer Schlagseite und unkoordiniert vors weltweite Fernseh-Publikum. Wolfgang Niedecken hatte den Auftritt damals als Gegenthese gegen die Glattheit und Perfektion der achtziger Jahre begriffen. In diesem Sinne heben alle ihre Gläser, außer Jürgen. „Kein Alkohol vor Ende der regulären Spielzeit“. Bis dahin sind es noch rund zwei Stunden. Er hat sein eigenes Ritual: Auf seinen Grappa kommt ein formschöner Stöpsel namens „Hulda“, damit dem Grappa während des Konzerts kein Unglück zustößt. Dann stellt er Grappa mit aufgestöpselter Hulda. Das Intro-Tape startet.

20 Uhr. Die Band ist auf der Bühne. Countdown fürs Jubiläumsprogramm der Greatest Hits Tour. Eine Werkschau über 30 Jahre BAP, eine Idee, die auf den ersten Blick gefährlich nahe an der von Wolfgang Niedecken sonst so verpönten Nostalgie-Abteilung scheint. Die Idee vielleicht schon, aber nicht die Umsetzung. Was die Band auf dem „Dreimal Zehn Jahre“ Album vorgelegt hat, im Konzert setzt sie es fast noch konsequenter in Szene: Die völlige Entrümpelung der alten Hits, weitgehend befreit vom Keyboardteppich-Gedöns und Endlosgitarrengegniedel, heruntergetunt auf das Format einer echten, rohen Rock’n’Roll Band. Obwohl eine ganze Weile Konzertpause war, könnte man nicht gerade behaupten, dass Jürgen den Set kräftesparend angeht. Die Kondition muss eben reichen für die kommenden Stunden. Schon die drei Startnummern „Wahnsinn“, „Waschsalon“ und „Aahl Männer, aalglatt“ verlangen vom Drummer, seine Grobmotorik vom ersten Ton an auf Dienstgipfelhöhe zu katapultieren. Hinter den zwei Türmen von Werner Kopals wuchtiger Bassanlage verborgen, in Armlängen-Reichweite von jenem Hocker, sitzt Abend für Abend ein Mann, den das Publikum nicht sieht. Allenfalls mal eine Hand, die ein Handtuch oder ein paar Sticks hoch reicht. Ralf Mikolajczak ist Drum Roadie – oder Drum Tech (für Technician), was etwas studierter klingt, und das durchaus mit Berechtigung. Seine Aufgabe: Dienstleister, ganz besonders während des Konzerts. Ralf sitzt auf einem ganz tiefergelegten Drumhocker links neben dem Schlagzeugpodest und ist allzeit bereit. Er reicht dem Trommler die Sticks, er reicht das Handtuch, er nimmt das verschwitzte Handtuch, das ihm zufliegt, wieder entgegen, und er sorgt dafür, dass die Clicks (das Metronom, das der Drummer über das In Ear Monitoring zugespielt bekommt) zum richtigen Zeitpunkt und vor allem für den richtigen Song starten. Ralf Mikolajczak ist Jürgens Drum Roadie seit der „Amerika“ Tour. Ein Mann, dem man von weitem ansieht, dass er auch in unübersichtlichen Situationen den Überblick bewahren kann. Groß breit, Brille, Schädel haarlos, deshalb wohl auch der Spitzname „Locke“.

Das Intro läuft, „und so klingt das bei Wolfgang Niedeckens BAP“. Locke startet den Click, viermal auf Holz geklopft, der Drummer schlägt zu. Da! Rechts immer voll ins Crashbecken. Wenn es sich nicht bewegt, schlage es mit einem Stock solange, bis es sich bewegt. Und es bewegt sich doch, Holz auf Metall, Hammer auf Amboss. Die Ränder des Crashbeckens flirren. Die Fotografen im Fotograben kriegen jetzt scharfe Bilder nur noch von den Trommelkesseln und Beckenständern. Der Rest ist Bewegung, die in alle Richtungen explodiert. Höchste Konzerntration bei gleichzeitig höchstem Adrenalinausstoß. Zöller schaut auf seine Trommeln, als würde er sie anbrüllen. Er kaut jedes gespielte Stück durch. Im wörtlichen Sinn. Das sind diese charakteristischen Mundbewegungen, die aussehen wie Kaugummikauen auf Speed und gleichzeitig den Text mitsingen. Dabei wird er nicht so gern fotografiert, weil er findet, es sieht bescheuert aus. Aber es ist ein Markenzeichen, und jeder, der einmal genau hingeschaut hat, ahnt: Wenn er mit geschlossenem Mund spielt, muss er krank sein.. Er frisst die Songs und spuckt sie als Groove wieder aus.

Helmut pumpt seine furztrockene Gitarre durch eine kantig pulsierende abgespeckte Version von „aahl Männer“, ganz ohne Süßstoffbeigaben! Krumminga zeigt in vier Minuten die ganze Philosophie seines Gitarrenspiels, und die heißt: Weniger ist mehr. Niedecken, der „Vortänzer, Vordenker, Vorkoster“ (so hat ihn Jürgen beim Heimspiel in Karlsruhe vorgestellt) erzählt die Geschichten zu den Songs. Vom Jungen Liebeskranken, der den dritten Akkord zu Neil Youngs „Cowgirl in the Sand“ suchte, und dem dabei quasi als Nebenprodukt der erste BAP Song „Helfe kann dir keiner“ zuflog. Jürgen hat Spaß. Man sieht es. Spätestens nach dem „Liebeslieder im Sitzen“ Teil lockeren sich die Gesichtszüge, wenn die große Rock’n’Roll-Lokomotive wieder Fahrt aufnimmt. Er grinst zu Locke rüber, wie das sprichwörtliche Honigkuchenpferd. Ein Gesichtsausdruck, der vor allem sagt: „Scheiße, sind wir heute wieder gut…“, das aber ganz ohne Arroganz. Die Kommunikation zwischen dem erhöhten und dem tiefergelegten Hocker läuft über kleine Gesten, nach über einem Dutzend Jahren intensiver Zusammenarbeite muss das so funktionieren. Man kennt sich, Locke weiß die „Ankündigungsblicke“ des Mannes auf dem Schlagzeughocker einzuschätzen. Zappelskala, Stärke 14,5. Helmut singt „Heroes“. Der Trommler rollt in schwerer See, schon übermütig jetzt. Mittiges Tempo, da lässt sich gut jedweder Eingebung folgen und über Snare und Toms ein elementargewaltiges Fill von links nach rechts hieven – der Blick geht zum Drumtech, will sagen „Jetzt kommt einer ganz speziell für Dich“. Die kommen meist eindrucksvoll, aber sie alle nicht hundertprozentig geplant sind, kann es schon mal passieren, dass am Ende eines solchen Fills nicht mehr genug Schlagzeug da ist. Oder umgekehrt – es bleibt noch zu viel Schlagzeug übrig. In beiden Fällen hört der Konzertbesucher davon nichts, der Drumtech sehr wohl. „We can be heroes just for one day“. Aber hallo! Das inspiriert.. Jürgen setzt an, rührt und schüttelt die Snaredrum kräftig durch, wechselt teuflischen Blickes, Mund weit aufgerissen, auf die obere, kleine Hängetom, „bleib da! ich krieg dich!“. Und macht auf halbem Weg kehrt, holt sich wieder in den Grundbeat zurück. War wohl doch zu viel Schlagzeug noch übrig, rechts unten. Und doch klingt es noch ordentlich, denn solche Entscheidungen werden in Bruchteilen von Millisekunden getroffen, und der Trommler muss immer wissen, wie er wieder rauskommt, ohne dass sich ein Loch in der Musik auftut, wenn er auf halbem Weg umdreht. Jürgen guckt nach links, wo Locke ihn lausbübisch angrenzt und diese halbe-halbe Handbewegung macht, die signalisiert: „Is’ ja grade noch mal gutgegangen“. Vier oder acht Takte später nimmt der Zappelige noch mal konzentriert Anlauf, haut eines dieser für ihn typischen Fills rein, das nach dem lautstarken Abstieg über die ganze vierstöckige Tom-Tom-Treppe auf mit Snare und Crashbecken zugleich auf dem Offbeat landet. Der Ostfriese dreht sich um. Sein Drummer hat sich eben gerade mal wieder selbst zum Ritter geschlagen.

Mit „Nix wie bessher“ haben sich BAP nach ihrer ersten Umbesetzung 1996 einen Klassiker geschaffen, der exemplarisch die Qualitäten der Band steht: Eingängig und mitsingbar, erzählt der Sing eine Geschichte, die von einem „Früher“ spricht, dessen Verschwinden nicht bejammert oder verklärt wird. Das wird überall verstanden, da reicht die Kölner Südstadt von damals bis in jeden Konzertsaal, bis auf jede Freilichtbühne und auch in dieses verschwitzte Konstanzer Zelt. Immerhin – der Rhein ist nicht weit. BAP ist nicht nur der Storyteller Niedecken, es ist auch diese kraftvolle, in dieser Besetzung „kraftvollste“ Band, die bei „Röwwer noh Tanger“ die Muskeln spielen lässt. Da wird Helmuts Solo zur kontrollierten Eruption, da bläst Michael Nass naturähnliche Hammond-Sounds aus umnebelter Orgelburg übers Gelände, und da nimmt Jürgen auf Werners wuchtiger Basslinie reitend noch mal Anlauf, sein Schlagzeug zu Kleinholz zu zerlegen. Auf der Zielgeraden spuckt die BAP-Jukebox im letzten Drittel des Konzertes alles aus, was der geneigte Hörer braucht. Der wirft dafür dem Sänger bei „Aff und zo“ mindestens ein halbes Dutzend Schals zu, besteht spielend das Kölsch-Abitur, indem er „Wellenreiter“ komplett allein singt, bei „Verdamp lang her“ den Zeltboden beben lässt und auch sonst in der Rezeption des Gebotenen dem Kölner Publikum strebsam nacheifert.

BAP spielen als allerletzte Zugabe in diesem Sommer einen neuen Song, der sich mit dem Schicksal von Kindern in Norduganda beschäftigt. Kinder, die den Angriffen der marodierenden Mörder-Banden des Joseph Koni entfliehen wollen, und deshalb über Nacht aus ihren Dörfern in die Stadt Gulu marschieren, barfuss, die ganz Glücklichen immerhin mit einem Paar Flip Flops an den Füßen. Dort gibt es „eine sichere Nacht“, aber wenn sie morgens in ihre Dörfer zurückkehren, wissen sie nicht, ob ihre Eltern noch leben. BAP stellt den Song als exklusiven Download für die World Vision Homepage bereit. Also schneidet Mischer Achim mit, in der Hoffnung auf die definitive Version. Jeder, der die Band in diesem Sommer live bei mehreren Konzerten erlebt, hört ein eindringliches Thema, das fast wie Programmmusik den Text transportiert. Zusammengehalten von Werners hypnotischen Bassmotiv, auf dem Helmut seine sphärischen Gitarrenschwaden in die Nacht jagen kann, ohne dass der Text, der Gesang in den Hintergrund gedrängt wird. Das muss noch reifen. Aber auch das ist typisch BAP: Die erste Reihe, in der Wolfgang Niedecken Abend für Abend in einige vertraute Gesichter blicken kann, egal wo die Band gerade spielt, wird es zumindest merken: Da entwickelt sich was. Der Song sucht nach seiner Vollendung. Als sie in Konstanz von der Bühne kommen, ist Helmut total begeistert von der gerade gespielten Version. Man hat es gehört und gesehen, wie er auf Werners opulentem Bassriff mit seinen aufeinandergetürmten Klangkaskaden abgefahren ist, wie er sich da zurückgenommen hat, wo der Text ganz vorne zu sein hatte. „Für mich war’s noch nicht die beste“, sagt Jürgen. Er experimentiert noch: Zu Beginn spielt er nur Bassdrum und Standtom, dann Hi-Hat und Snare mit aufgelegtem Stock, dann erst setzt er sich mit der Snare auf die Spur des wuchtigen Kopalschen Bassriffs. Zuviel Schlagzeugerlatein? Einspruch, euer Ehren: Genau das, worüber sich der ehrenwerte Herr Zöller da den Kopf zerbricht, macht einen großen Teil der dramatischen Wirkung von Musik aus. Eine uninspirierte Schlagzeugspur kann den besten Song versauen, das ist ein Naturgesetz. Aber eine inspirierte (Gitarristen, Keyboarder und Sänger jetzt mal weghören) kann mehr als die halbe Miete sein.

Es wird spät an diesem Abend. Erst mal runterkommen, Adrenalin abbauen, ausdampfen, runterkommen. Nach einer Stunde schwärmt die Band dann aus, noch einen Absacker auf dem Festivalgelände zu nehmen. Obwohl es schon weit nach Mitternacht ist – die Hardcore Fans sind immer da. Christine zum Beispiel, die war schon mittags im Hotel. Aus einem Dorf irgendwo im Badischen kommt sie, vom Malen leben will sie vielleicht mal, sie hat zwei Berufe, den eigentlichen verrät sie nicht. Seit Wolfgang Niedecken mit der Leopardefellband getourt ist 1995, war sie „immer mal wieder“ dabei. Frauen wie sie (und es sind durchweg Frauen) wird man in den folgenden Tagen immer wieder treffen. Hat sich jetzt jemand vorgestellt, BAP wäre im Jahr 2007 umlagert von hysterischen kreischenden Mädels? Quatsch, das natürlich nicht. Es ist nicht mehr die Zeit der Groupies. Puppa ist längst pensioniert. Es sind Frauen plus minus 40, die alles andere als spleenig der hysterisch wirken, und die auch meist in geordneten Familienverhältnissen leben…. Viele Hallos gibt’s in diesem idyllischen Festivalbiergarten. Die „Amateure“ erkennen die Bandmitglieder und fragen nach Autogrammen, die „Profis“ brauchen natürlich längst kein Autogramm mehr, die suchen das Gespräch. Oft auch noch lange nach Mitternacht in der Hotelbar.

JÜRGEN ZÖLLER… selbst: Es ist jetzt nicht unser bewusstes Bestreben, dass die Bar voller Fans hängt. Ich kann dieses Phänomen nicht genau definieren. Ich glaube, es hat nichts mit uns persönlich zu tun. Es ist einfach so, dass die zum Konzert kommen, und sich ein Hotel leisten können und übernachten wollen und wenn schon, dann in dem Hotel, in dem die Band auch ist. Menschen in einem Alter, bei dem man annehmen kann, dass sie ihre Scheiße zusammen haben. Man kennt ja auch einige so langsam, man weiß, dass sie Kinder haben, man fragt sich, wie machen die das, dass die auf einer Tour fünfzehn Mal da sind. Es gibt so langweilige Hotelbars, wo irgendwelche Pinguine da rumsitzen, da freut man sich wenn Leute da sind, die beim Konzert waren, da kann man sich mal unterhalten, vollkommen unverfänglich. Und wir sind ja nun umgängliche Menschen, man redet ein bisschen übers Konzert oder über BAP im Allgemeinen, da ist ja auch nichts mit Anmache . Man gewöhnt sich dran, die sind einfach da. Ich wundere mich nur, wie die immer genau das Hotel rausfinden. Wenn wir zum Beispiel irgendwo mitten in der Pampa spielen, und das Hotel ist dreißig Kilometer weiter weg, auch mitten in der Pampa, und dann sitzen die da. Entweder irgendjemand steckt es ihnen. Oder sie haben ein so gutes System Hotel-Rezeptionisten zu foppen….

Später versammelt sich noch eine kleine Runde im Hotelfoyer. Keine weiblichen Fans mehr weit und breit, Christine hat sich auch schon verabschiedet. Nur die Band minus ihren Chef. Der versucht, möglichst einen Bogen um die Bruderschaft der Sonnenaufgangs-Patrouille zu machen. Die Stimme der Vernunft, die aus ihm spricht, sagt: „Ich muss morgen nicht nur mehr als drei Stunden singen und Gitarre spielen, sondern auch noch zwischendrin den Leuten was erzählen, und zwar keinen Stuss. Das bedeutet volle Konzentration.“ Das wird von den anderen respektiert. In den vier zusammenhängenden Festivaltagen wird jedenfalls niemand ihn zum längeren Aufbleiben zu überreden versuchen. Die anderen betreiben Adrenalinabbau, so nennt es Jürgen. Die Musiker brauchen das. Sie lieben diese Hotelbar-Abende, schließlich sehen sie sich nicht wirklich oft. Die Band fährt zusammen im einem Van, Wolfgang Niedecken fährt mit Didi Hentschel zusammen. Man trifft sich in der Halle beim Soundcheck und abends auf der Bühne. Aber miteinander wirklich reden geht erst, wenn der letzte Ton gespielt ist.

Noch eine Weinschorle? Aber sicher doch. Diese Band geht nicht ins Bett. Man sieht dem Hotelpersonal an, dass es mit Gelassenheit und Routine erträgt, dass Bands eben nie ins Bett gehen, selbst dann, wenn es nicht im Zimmer brummt. Musikergespräche: Helmut und Werner könnten den Fans, wären sie jetzt noch anwesend, interessante Details über ihre Tricks bei der Arbeit unter erschwerten akustischen Bedingungen geben. Was passiert, wenn der Drummer noch im allgemeinen Beifallsrauschen den nächsten Song einzählt? Dann ist der Bassist gefragt. „War das schon die Eins? Wenn ja, dann kommt sie ja wohl wieder“, erläutert Werner. „Ich bing den Bass in MG-Stellung, dann einmal mit der Greifhand das Griffbrett hoch und durchgezogen, und dann ist die Eins auch schon wieder da“..

Locke ist einer der ersten, die es zum Frühstück geschafft haben. Die Technik gehört sowieso zur „Frühschicht“ bei BAP. Denn wenn die Band im Regelfall um 17 Uhr zum Soundcheck auf die Bühne kommt (in Didis „Diskussionspapier“ Klangüberprüfung genannt), muss angerichtet sein. Locke erzählt, wie er zu dem Platz neben dem BAP-Drummer kam Er war mit Pur auf „Abenteuerland“ Tour, als ihm zugetragen wurde: Jürgen Zöller suche einen neuen Drumtech. „Ehrlich? Echt?“ war seine erste Reaktion, ein Anruf, ein Treffen und die Sache war klar. Sie stelleten beide fest, dass sie sich eigentlcih schon kannten. Festivals, Musikmesse Frankfurt…. „Damals, als ich angefangen habe, da gab es noch regelrechte ‚Aufrüstungswettkämpfe’. Auf der Amerika Tour spielte Mario Argandona Percussions in der Band, und die Percussion-Burg war groß, das Schlagzeug dementsprechend auch“, grinst Ralf. Das nimmt man als Drumtech einfach so hin, wie es ist. Respekt vorm Arbeitgeber ist zunächst einmal Pflicht, eigene Ideen und Verbesserungsvorschläge kann man später anbringen. Rückblick auf s Konzert gestern Wenn man sich fünf Minuten mit Locke unterhält, weiß man, dass die Arbeit für Jürgen ihm mehr bedeutet als ein Job.

Locke sollte eigentlich einen Volkshochschulkurs zum Thema „Was macht einen guten Rockdrummer aus?“ anbieten. Was BAP Fans da jeden Abend dreieinhalb Stunden lang sehen, er kann es beschreiben: „Der Jürgen hat eine blitzschnelle Auffassungsgabe, von dem was gespielt wird. Er hat den Mut zu interpretieren, das kannst Du nicht lernen. Zum Beispiel, die Snare in der Time soweit nach hinten zu spielen, dass es schon fast zu spät ist. Die Tiefe, die dieser Mensch damit in die Musik bringt! Da sagen viele Drummer die handwerklich mehr drauf haben als er: ‚Das kann ich so nicht spielen’. Jürgen kann auch noch mit halb ausgefallenem Monitor spielen! Ich glaube, bei ihm könnte das halbe Schlagzeug zusammenbrechen, der würde weiterspielen nach dem Motto: Guck’ mer mal, was jetzt noch so geht…. Das ist einfach ein genialer Musiker, dem nichts zu schwer ist. Ich liebe den Mann, der ist für mich so was wie ein zweiter großer Bruder“. Für den man noch ein bisschen mehr tun kann als nur die Drumstrickreichen. Wenn sich ein Schlagzeuger hinter Jürgens Drumset setzt, wird er vermutlich denke: Wie ist das denn aufgebaut? Die Snare Drum mit ihrer Extremen Schrägstellung ist da auffälligste. „Das ist eine Ergonomie, die auf 99 Prozent aller Drummer nicht passt. Mir geht es darum, es möglichst komfortabel für ihn zu machen. Einmal hat er über Schulterschmerzen geklagt, da hab’ ich ein bisschen rumprobiert, Becken neu justiert, und dann ging es. Dazu muss man natürlich die Bewegungsabläufe des jeweiligen Drummers genau kennen.“ Er kennt sie

Hotelfrühstück morgens. Noch einer, der früher wieder weiter muss: Andy ist TL, das steht für Technischer Leiter. Job Description in einem Satz? „Ich muss die Musiker auf die Bühne bringen und wieder runter. Und ich bringe die Weinschorle , während das Konzert läuft…., aber ganz diskret,“ Er hat auch sonst noch einiges tun, beispielsweise sicherzustellen, das die örtliche Technik den Ansprüchen on BAP genügt. Manchmal braucht es diplomatisches Fingerspitzengefühl. „Die Lichttechnik gestern Abend war von Veranstalter-Seite nicht das, was wir uns so vorgestellt hatten. Aber man kann am Telefon nicht alles klären und muss dann eben damit leben. Auch die PA stand auf der Bühne, das ist auch nicht optimal, das kann Schwingungen im Bassbereich geben.“ Die Schwierigkeit bei der Arbeit mit Veranstaltern, die ja auch oft Überzeugungstäter sind. Gerade weil BAP immer noch eher weniger als „Firma“ denn als Band von Freunden wahrgenommen wird, mit denen sich’s auch mal kungeln lässt. da muss der richtige Ton gefunden werden. Aber auch die nötige Bestimmtheit, denn die Band muss nach außen hin ein absolut professionelle Bild abliefern – und dazu gehören eben Licht und Ton.

Inzwischen ist auch Jürgen halbwach am Frühstückstisch angekommen, stochert in seinem Müsli und stellt abschließend fest: „Der Start gestern war geschmeidig, aber wenn man zwei Wochen nicht on tour war, ist klar , dass es dann nicht ganz so rund läuft, das merkste schon.“ Abfahrt am Hotel gegen 12 Uhr mittags. Presseschau. Der Südkurier schreibt unter der Rubrik „Blick in die Szene“ in holprigem Deutsch: „Dem Ende zu neigt sich das 13. Konstanzer Zeltfestival. Und- man muss es sagen, es gab spannendere Auflagen in den Jahren zuvor. Außergewöhnliche Konzerte wie die von Lambchop, Element of Crime, Elvis Costello, Adam Green oder Mercury Rev fehlten in diesem Jahr vollkommen. Stattdessen gab es BAP und allerlei Komödiantisches“. Hätte Springsteen dort gespielt, hätten sie sich das verkniffen. Wolfgang Niedecken kommentiert lakonisch „Wir machen außergewöhnliche Konzerte“. Der Tross ist unterwegs nach Schwäbisch Gmünd.

Es soll regnen, und das Konzert ist heute nicht im Zelt, sondern draußen auf dem idyllischen, von Fachwerk umgebenen Münsterplatz. Wolfgang Niedecken wird die Schwäbisch Gmünder später hocherfreut aufklären, dass der Dombaumeister hier für den Kölner Dom geübt hat. Das Kleinkunst – Café Spielplatz, direkt neben dem Münster gelegen, feiert seinen 20. Geburtstag. Wolfgang ist quasi der Taufpate dieser gemütlichen Kultur-Oase. Als Eva Staller, Rainer Koczwara und Franz Hahn 1985 nach einem Namen für ihr Etablissement suchten, hatte er „Spielplatz“ vorgeschlagen. Während Andy die Garderobenspinde durch den schmalen Eingang hineinbugsiert, stellt Wolfgang missmutig fest, dass es keinen wirklich ruhigen, abgetrennten Künstlerbereich gibt. Abhilfe ist schnell geschaffen mit ein paar Moltonbahnen. Auf der Greatest Hits Tour ist auch wieder „Müsliman“ im Programm, mit dazugehöriger „Signalflagge“ für die Publikumsbeteiligung Ein großes Publikums-Aktivierungs-Schild, vorne drauf steht „Hey Anita….“ , auf der Rückseite „Wat mät denn do da Dieter…“ Und jetzt stellt sich heraus: Das Schild ist in Köln, die Band in Schwäbisch Gmünd. Also besorgt der Veranstalter ein Schild im Baumarkt, und Wolfgang Niedecken setzt sich in seinen jetzt endlich abgetrennten Garderobenbereich mit dem Dicken Edding und bemalt es….

Didi Hentschel steht draußen neben der Bühne, der hinterrücks künstlicher Nebel entweicht, in einen echten, sehr dräuend bewölkten Himmel. Didi Hentschel, von der Seite in Serie fotografiert – das gäbe eine eindrucksvolle Fotoausstellung. Man sieht ihn mit der notorischen Zigarette in der notorischen Zigarettenspitze in der Hand in die Luft schauen. Dieser Blick besagt: Ich nehme es mit den Göttern auf, und hier hab’ ich sowieso ein Heimspiel. Ich kenne alle Wetter, zu Lande zu Wasser und in der Luft. Der Blick sagt zugleich: ich habe einen Plan a, b, und c, falls es sein muss werde ich ihn in Gang setzen. Gegebenenfalls, auch ohne vorher ein Diskussionspapier auszudrucken. Der Blick sagt auch, dass direkte Aktion zu seinen Stärken gehört. Einfach mal so in der Garderobe vorbeischauen, feststellen, dass hier zuviel Betrieb ist und den Kurzen Satz zu vermelden: Die Garderobe ist für die Musiker. Da zuckt der anwesende Christian Messerschmitt – besser bekann als Chrischi (Sachwalter der Homepage www.bap-fan.de) genauso zusammen wie der mitreisende Chronist. Das sitzt, der Hentschel ist eine Respektsperson.

Als Gast soll bei diesem Konzert neben Anne De Wolff Jo Kraus mit seinem Flügelhorn mitmachen, aber er steht im Stau und kommt nicht rechtzeitig zum Soundcheck in Schwäbisch Gmünd an, drum wird kurzfristig beschlossen, das ursprünglich geplante „Diss Naach ess alles drin“ ohne ihn zu spielen. So hat er erst gegen Ende des Sets bei „Hungry Heart“ seinen Auftritt hat. Das Wetter hält bis auf ein paar versprengte Tropfen, und der sonnige Reggae-Groove des „Müsliman“ hat somit durchaus seine Berechtigung. Überhaupt: was BAP aus diesem Song in diesem Sommer machen, angetrieben von der entfesselten Rhythmus-Abteilung, ist eine ausgefranste Hippie-Musik-Orgie der erlesenen Sorte.. Jürgen kann den heimlichen Percussionisten im Trommler ausleben, da ist das funkensprühende Suchen der Gitarre nach Erleuchtung und Gnade, da sind die sämig sägenden „Orgelsolata“: Herr Nass fährt ungeachtet der Ungnade der Späten Geburt im Osten Dinge auf, die manch einer 70/71 im Westen gerne draufgebabt hätte. Brüllender die Orgeln selten klangen. Musik zum reinsetzen und lauter drehen. Man ahnt, dass der Song auf der Bühne täglich neu erfunden wird. Draußen auf dem Platz feiern die Fans nach drei Stunden die Band ab, im Backstage Bereich wird nicht lange gefackelt. Raus zu Zugabe. „Nicht mal in Ruhe pissen kann man“, grummelt Jürgen. An diesem Abend schafft es nicht mal Wolfgang vor drei Uhr ins Bett. „Wart willste machen, wenn die Bar quasi im Backstage-Bereich ist….“, meint er resignierend.

Am Morgen geht es weiter nach Raumland, auf halbem Weg zwischen Dortmund und Kassel. 385 Kilometer sind zu fahren, die längste Strecke zwischen zwei Konzerten auf diesem Tourabschnitt. Erstmal zum Hotel in Bad Laahspe-Feudingen, rund 15 Kilometer vom Tatort entfernt. Das Landhotel erweist sich als eindrucksvolles Baudenkmal rustikaler Hochbebraistik. Wolfgang steht sichtlich beeindruckt davor und meint: „Das hätte meiner Mutter gefallen. Wat willste Jung, dat is doch schööön!“. Vor der Eingangspforte steht eine kleine Pinkelmännchen Statue, gerade aber nicht bei der Arbeit.

„Rock im Bruch“ heißt die Show, und für den Veranstalter ist es eine Premiere, die mit Fury in the Slaughterhouse und BAP als Höhepunkten, vor die er allerdings sieben (!) regionale Bands gesetzt hat. So genial finden die Musiker von BAP diese Idee nicht, müssen sie schließlich als letzte noch mal die ganze Aufmerksamkeit und Energie des Publikums in Wallung versetzten, das möglicherweise nach der seit 11.30 Uhr andauernden Beschallung schon zermattet darniederliegt. Immerhin: der Zeitplan ist im Lot und auch sonst ist alles prima: Die Location ist ein Steinbruch, vor den man optimal platziert die Bühne gestellt hat. Je dunkler es wird, desto beleuchteter ist der Fels – eine gigantische Fototapete. „Das nächste Mal muss der natürlich Deep Purple holen“, meint Wolfgang: „aber dazu muss er vorher die Köppe in den Fels hauen lassen“. Aber jetzt sind erstmal die Freunde von Fury in the Slaughterhouse da, und da herrscht eitel Verbrüderung. Es ist noch eine halbe Stunde Zeit Zeit für allerhand Absprachen, Verhandlungen, Blödsinn und Gedöns. Zum einen wird beschlossen, im BAP-Set einen Song zusammen zu machen, „Dead Flowers“ von den Rolling Stones, zum anderen gibt Fury Gitarrist Christof Stein Schneider gleich das Wort zum Sonntag aus – den Witz, den die lebende Musikerwitz-Jukebox Jürgen anschließend 48 Stunden lang jedem erzählen wird. Manchen auch mehrfach, da kennt er nix. „Was ist der Unterschied zwischen einem Sänger und einem Terroristen? Na? Der Terrorist bringt sein Equipment selbst mit und man kann mit ihm verhandeln“. Die zweite Variante geht nur auf Englisch, ist aber genauso gut: „What do a singer and a terrorist have in common?“ „They both can destroy a bridge within seconds“.

Es gibt zwei Zelte für die Musiker hinter der Bühne im Steinbruch: Eines für Wolfgang und eines für die Musiker. Hier ist ein ständiges Kommen und Gehen. Anne hat den Laptop aufgeklappt und zeigt Jürgen die kreativen Werke ihres zehnjährigen Sohnes. Texte, Zeichnungen. Die geborene Sächsin, die auf der Jubiläumstour schon als Dauergast bei sehr vielen Konzerten dabei ist, fühlt sich in der „multinationalen“ Herrenrunde gut aufgehoben. Selten gebe es eine Band, in der man so schnell heimisch wird, und bei der auch für einen Außenstehenden sofort der gegenseitige Respekt, den die Musiker füreinander haben, sofort spürbar wird. Dann stürmt Carsten Klick das Band-Zelt, profilierter Profidrummer (unter anderem bei Joachim Witt) und auf der BAP Tour Backliner Stage Right. Unüberhörbares Kennzeichen: Ausgeprägte Berliner Schnauze. „Ick bin ma da hochjestiegen….“ beginnt die Erzählung vom langen Aufstieg an den gelben Baufahrzeugen vorbei, hinauf auf den Kamm des Steinbruchs. Man will ja schließlich auch mal seinen Arbeitsplatz für die nächsten Stunden in aller Ruhe von oben betrachten. Kein Verbotsschild hindert ihn, kein Zaun nirgends. Bis plötzlich von weit unten die Stimme eines empörten Mannes an sein Ohr dringt, er sei der zuständige Mann von der Feuerwehr, frage sich ernsthaft was er da oben treibe und habe die Aufgabe, ihn zum Umkehren zu bewegen. „Der hat jesaacht, ick hole sie notfalls mit Waffenjewalt runter!“ berichtet Carsten immer noch leicht verwirrt. Aus diesem Stoff sind die Geschichten, die die Orte der langen Tourneen in der Erinnerung unterscheidbar werden lassen.

Helmut schaut den Furys bei der Arbeit zu. Es war eine lange Nacht hinter der Bühne beim Café Spielplatz, er hat seine Sonnenbrille bisher noch nicht abgesetzt. „Ich kann mir überhaupt noch nicht vorstellen“, sagt er in sehr gedehntem Ostriesisch, „dass sich in ’ner Stunde da oben das gleiche tue….“ Er wird es tun, und mehr. Die Piratenflagge mit dem Totenkopf hängt heute wieder, das Backdrop zu „Nähxte Stadt“, die Band als Mannschaft von Asphaltpiraten, die jede Nacht irgendwo aufschlägt, eine Bühne entert, die Seelen des Publikums stiehlt und sich wieder aus dem Staub macht. Heute ist Kurzprogramm, heute gibt es kein „Noh Gulu“, heute kann der Totenschädel hängen, der bei den bisherigen Konzerten im Flightcase bleiben musste. „Ich hab’ langsam ein gestörtes Verhältnis zu Totenschädeln“, hat Wolfgang auf der langen Fahrt seine Afrika-Erlebnisse reflektiert, die Schädelstätten des Bürgerkrieges, die man ihm gezeigt hatte. Das Konzert wird eine Tour de Force. Hier sind nur zweieinhalb Stunden zu spielen, und wenn man aus der Perspektive des Drum Roadies zuschaut, sieht man: Jürgen startet heute gleich mit Dienstgipfelhöhe, 15 auf der nach oben offenen Zappel-Skala. Dazu passt auch die schiere Hatrdrock Lautstärke des heutigen Gigs, BAP erreicht durchaus Deep-Purple’sche Dezibelbereiche vor der „In Rock“ Kulisse. Dank „Aushilfsmixer“ Schabbach. Schabbach ist ein freundlicher Hesse, der ein Faible für Kampflautstärken hat – immer unter Wahrung des angenehmen HiFi Stereo Klangbildes. Seinen bürgerlichen Namen scheinen alle vergessen zu haben, Schabbach heißt eben Schabbach. Warum? Er soll dereinst, klärt Jürgen Unwissende für gewöhnlich auf, in einem Fachgespräch beiläufig auf gut frankfurterisch geäußert haben „schabbach ä Aalaach“ (hochdeutsch: „Auch ich befinde mich im Besitz einer Verstärkeranlage“). Und was für eine. Da residiert er in seiner Mixerburg, lässt den Steinbruch erzittern, dass man sich fragt, warum der Feuerwehrmann nicht mit Waffengewalt droht, und fragt scheinheilig: „Isses zu laut?“ „Nein“ „Ei, dann mache mer’s noch e bissi laude“.

Wieder wird der „Müsliman“ zur Jam-Orgie, Helmut und Micha spielen völlig neue „Solata“, die Rhythmussection arbeitet mit brutalstmöglicher Eingespieltheitsstufe, der Schabbach dreht glückselig am Gaspedal. So ist’s recht. Wenn nur nicht der Chef immer verkünden würde, dass man hier im Sauerland sei. Manch ein ortsansässiger Fan grummelt, vielleicht ist das ja gar, als würde man Kölner und Düsseldorfer verwechseln, wer kennt schon alle Animositäten? Herr Niedecken scheint nichts davon zu merken. Ein Zuhörer wendet sich diesbezüglich an den Schabbach: „Das ist hier nicht das Sauerland, das ist das Wittgensteiner Land“, meint der schon fast verzweifelt, und man könne das dem Niedecken da vorne doch irgendwie sagen. Der Schabbach aber antwortet ganz abgeklärt und durchaus freundlich: „Des waaß der…..“. Als ein Fragezeichen im Auge des Zuhörers erscheint, bekräftigt er: „Der waaß alles!“.

Take me down little susie, take me down I know you think youre the queen of the underground And you can send me dead flowers every morning Send me dead flowers by the mail Send me dead flowers to my wedding And I wont forget to put roses on your grave”, BAP und Fury zusammen auf der Bühne, klassische Festivalstimmung, sicher auch schon eine Idee weinschorliger als sonst. Nach dem gemeinsamen Song sieht man Andy im Stress auf der Bühne das entstandene Chaos beseitigen. Und sie nehmen noch mal Fahrt auf. „7.7.2007 hääd sich echt rentiert“ ruft Wolfgang jetzt schon hocheuphorisch den vermeintlichen Sauerländern zu und bedenkt Jürgen mit einem von Herzen kommenden „Hector’s good tonight“. Der läuft bei seinem spektakulären vier Zeilen langen Gesangseinsatz in Springsteens „Hungry Heart“ zur gewohnten Hochform auf: Während Helmut die erste Strophe mit gefühliger Ernsthaftigkeit singt, auch mit einem Schuss Pathos, geht bei Jürgen ein ganz neuer Vorhang auf. Das ist, wie wenn einer schnell das Rote Licht im Separée ausmacht, noch schnell die Kippe austritt und vor den imaginierten Vorhang tritt, der bei näherem Hinsehen sicher auch Brandflecken hat. Und dann legt er los mit einer Stimme, die er für diese eine Strophe so was von auf Halbwelt, Ganoventum und mafiöse Verkommenheit eingestellt hat, dass es gerade so seine Bewandtnis hat „I met her in a kingston bar, we fell in love I knew it had to end“. Beim Wort End, das er meistens so wunderbar überbetont, um es dann abrupt abzuwürgen, tut sich der Schlund der Hölle auf, das klingt nicht nur nach Ende einer Beziehung, sondern nach dem Ende der Welt. Und dann wieder ganz cool und abgeklärt mit der Weisheit eines Mannes, der die Kerze an mindestens drei Enden anzündet: „We took what we had and we ripped it apart“, der nächste Höllenschlund und die Resignation auf die Spitze getrieben, beiläufig hingeschlunzt und doch mit Ärger m Bauch „Now here I am back in Kingston again“. Dazu dieses zerknautschte mediterrane Gesicht, aus dessen Falten der Gauner und der ewige Lausbub aufschient, da nimmt’s nicht Wunder, wenn Wolfgang an diesem Abend die wahren Worte spricht: „Wer ist Frank Sinatra? Wir haben Jürgen Zöller“. Aber sicher doch. Curfew, letzter Vorhang Abgang gegen 23 Uhr „Und es trommelte exclusiv für sie … heute Nacht: Jürgen Zöller selbst“.

Nein, den kürzeren Weg vom Gelände darf der BAP-Tourtross nicht nehmen. Die Verkehr ordnende Polizei will, dass BAP das Wittgensteiner Land bei Nacht weiträumig erkundet. Wenn man schon Umwege zum Hotel fahren muss, dann wenigstens mit lauter Musik. Nein, Wolfgang hört nicht ausschließlich Bob Dylan. „Didi, mach mal Hells Bells“. Didi macht. Angus Young schrubbt, Brian Johnson brüllt. Die Glocken klingen, doch so könnte das funktionieren, mit den Glocken des Kölner Doms. Das Hells Bells Intro, und darüber der Anfang von „Nix wie bessher“ – das wäre doch einen Versuch wert, wenn die Tour im August am Kölner Roncalliplatz im Schatten des Doms endet. Brian Johnson beginnt rumzubrüllen, Didi und Wolfgang singen dazu ihr eigenes Libretto. „Die Toreinfahrt vom Schuster war unser Fußballtor. Im Winter wie im Sommer der Papst am Boxe war.“. Doch, das könnte gehen. Am 10. August auf dem Roncalliplatz werden sie dann trotzdem anders anfangen.

Wolfgang schiebt dem Pissfigürchen vor der Hotelpforte einen Plastikbecher unter, „falls es doch mal losgeht“ und verabschiedet sich dann. Der Rest der Band wird heute Nacht besonders umfangreichen Adrenalinabbau betreiben müssen, denn die Kollegen von Fury in the Slaughterhouse sind „unglücklicherweise“ in einem Hotel untergebracht, das nur ein paar Schritte die Straße runter ist. Man hat sich um zwei große Tische gequetscht und versucht nun, alle Fragen des Universums in die lange Nacht zu quetschen, inklusive Antworten. Jürgen erzählt von dem Spinal-Tap-mäßigen Supermax Auftritt unter Drogeneinfluss (wir berichteten) und Christof Stein-Schneider erweist sich als der Philosoph der knappen Einwürfe. Es wäre eine angemessene Aufgabe für die öffentliche Hand zumindest in seiner Heimatkommune Hannover, die Sätze dieses klugen und lebenserfahrenen Mannes in Stein schneidern zu lassen und an gut zugänglichen, beleuchteten und stark frequentierten Stellen wichtiger Städte aufstellen zu lassen. Irgendwann ringt er sich durch zu einem: „Ihr seid schon eine geile Rock’n’Roll Band“. Und fast klingt es ein bisschen neidisch. Der Sachse Michael Nass erzählt, wie er in seiner Zeit bei Gerhard Gundermann & Seilschaft (der DDR-Liedermacher, der nie seinen Beruf als Baggerfahrer aufgegeben hat, gestorben 1994) für sich selbst die Wichtigkeit der Texte entdeckt hat. Nicht nur für den Song, sondern auch für das, was man selbst dazu beitragen kann, den Text musikalisch in Szene zu setzen. Und wie ihm diese Fähigkeit bei BAP nun auch zugute kommt. Es sind solche Nächte, in denen man munkelt, der Ostfriese sei gleich direkt zum Frühstücksbüffet durchmarschiert, und Nächte, nach denen der ausgeschlafene Herr Niedecken schon mal Stirn runzelnd fragt, wann denn die Tafelrunde sich ins Bett verfügt habe. „Die wissen aber doch, dass wir heute Abend wieder aufnehmen?“ Natürlich wissen sie, und um 20 Uhr beginnt regelmäßig ein neues Leben.

Wieder Kilometer fressen, en bisschen Zick-Zack muss eben bei jeder Tour sein. Von Bad Lahspe bis Mainz hat Wolfgang viel Zeit, die er unter anderem nutzt, noch einmal die Setlist für den Abend durchzugehen. Heute Abend wieder „Noh Gulu“ als allerletzte Nummer und dann die Feststellung, dass das eigentlich nicht geplante „Hungry Heart“ wieder ins Programm muss. „Jürgen will Hungry Heart, heute kommt sein Enkel, und bevor der anfängt zu fragen: Wann singt der Opa?“. Chippendale Desch fliegt dafür raus, entscheidet Wolfgang pragmatisch. Jürgen hat noch vor der Abfahrt des Trosses im Wittgensteiner Land pragmatisch entschieden, dass er in Mainz im Hotel eine Massage braucht. „Gut, wir sind gegen 15 Uhr in Mainz. Da sind wir auf der sicheren Seite.“ Er hinterlässt seine Handynummer, dankt. Auf früheren Tourneen hatten die örtlichen Veranstalter alle drei, vier Tage einen Masseur in die Halle zu beordern. Dieser Service war aber langsam eingeschlafen, weil Jürgen immer der einzige war, der es wirklich wollte. Wer jetzt einen Masseur braucht, bestellt ihn vor, der örtliche Veranstalter zahlt dafür. Die Mainzer Masseurin jedenfalls ist eine osteuropäische Walküre, die Jürgens fast sechzig Jahre alten Körper heftig durchwalkt und damit dazu beiträgt, dass er das Konzert als das „rundeste“ dieser Reihe von vier Konzerten empfindet.JÜRGEN ZÖLLER… SELBST: In Mainz war ich wieder in einer Art Tourroutine, da hätte ich den Autopilot einschalten können, wenn es nötig gewesen wäre, und hätte es ohne Probleme überstanden. Aber es war anders. Ich habe es alles genossen. Es gibt Abende, da merkst du, ah- es flutscht, weil du gut drauf bist und auch körperlich fit bist. Wenn die körperliche Seite abgedeckt ist, dann fängst Du an Musik zu machen. Dann fängst du auch an intuitiv zu spielen, du traust dich einfach mehr. Weil du ja sonst immer aufpassen musst, dass du dich nicht vor lauter Eifer und Euphorie irgendwie verrenkst. Das kommt auch vor, selten zwar, aber es passiert. Du bist am Headbangen und auf einmal macht es ‚knack’, und du hast ein steifes Genick. Das ist mir schon passiert, das ist dann aber richtig Scheiße.In Mainz ist es heiß, so richtig heiß. Ausgerechnet heute wird im Zelt gespielt, das sich den ganzen Tag lang aufheizen konnte. Dafür gibt’ einen weitläufigen Backstagebereich mit Zirkuswagen als Bandgarderobe und einem original marokkanischen Häuptlingszelt für den Chef.           Da könnte man ein paar Tage Urlaub machen. Jürgens Sippe ist angereist: Seine Tochter aus erster Ehe mit dem besagten Enkel, der trotz eindeutigem Hip Hop Outfit gerne mal den Opa singen und spielen hört. Das aus Jürgens Sicht rundeste Konzert fliegt einmal aus der Kurve, als mitten in „Röwwer noh Tanger“ mitten im allgemeinen Gitarrengebrüll irritierendes geschieht. „In Köln is’ jätz Berufverkehr….“ – hat das schon hierher gehört? Wolfgang rennt auf die linke Bühnenseite zum Monitormixer, auf der Stirn eine Mischung aus Fragezeichen und Zornesfalte. Im Monitor nur noch Matsch, will dieser Blick und vermutlich auch die Worte sagen. Auf Unfälle dieser Art muss vor allem Jürgen eingestellt sein, aber er kennt seinen Sänger lange genug, um die ganze Band wieder in die richtige Spur zu lenken, wenn der mal die „eins“ an bislang dafür nicht vorgesehenen Stellen setzt.

JÜRGEN ZÖLLER… SELBST Wolfgang kann die eins setzen wo er will, wir kriegen ihn. Da haben wir schon die obskursten Dinge erlebt. Am obskursten war es in Herford. Da spielten wir „Wie wo und wann“, das dräut ja am Anfang nur so ‚wrämm wrämm’, bevor der Gesang kommt „woran soll mer glöbe“. Da hat er sechsmal angesetzt und wieder abgebrochen… Wolfgang sagt ja dann immer, es wären äußere Umstände. Aber ich weiß: der sieht irgendwie, dass in der ersten Reihe was passiert, oder einen Ordner, der die Leute schräg anmacht, dann beisst er sich geistig so da dran fest, dann guckt er auf seinen Teleprompter, dafür ist der ja da, und dann springt er einmal nicht schnell genug in die nächste Zeile, und da steht noch der Text von vorher – Ende. Aber wir fangen ihn immer wieder

Auch das ist Rock’n’Roll – und wird wenn überhaupt, nur von den beinharten Fans in der ersten Reihe wahrgenommen. Die sind dann aber umso stolzer, wenn sie derlei Unebenheiten en detail in der Manöverkritik erörtern können, nachts um zwei im Hotel. Momente, in denen die Band binnen von Sekunden sich wieder zusammenrauft, weil irgendwas verrutscht war, sind natürlich auch die großen Momente der Expertinnen aus der ersten Reihe, denn die wissen ja: „Wir sind besser als jeder Teleprompter“. Mainz, Hotelbar, Mitternacht ist lange vorbei, Wolfgang wie üblich schon auf sein Zimmer gegangen, also ist Jürgen der Ansprechpartner der Expertinnen. „Der Wolfgang hätte doch nur auf uns gucken müssen“ fuchtelt Nennen-wir-sie-mal-Karola steil rauchend und mit erregter Gesichtsfarbe. Leute wie Karola wissen alles. Die haben nicht nur die Setlisten einzelner Konzerte im Kopf, die könnten vermutlich auch genau sagen, bei welchem Konzert Helmut ein Iron Maiden T-Shirt an hatte, und ab welchem Song es verschwitzt war. Karola hat als Adjutantin heute Brigitte (Name ist der Redaktion nicht bekann) dabei, die eigentlich nichts sagt, aber dafür viel über die Strahlkraft von Superfans wie ihrer Freundin. „Ich bin nur als Ersatz dabei, da ist jemand ausgefallen….“, meint sie lakonisch. Aber auch sie scheint diese angeregte Runde zu genießen. Heike und ihre Freundin (keine Zweitbesetzung) sind aus Saarbrücken angereist. Ausgerechnet heute, erzählt die allein erziehende Mutter, habe sie ihre Kinder nicht so flott in Gang gebracht, wie sie sich das vorgestellt hatte. In Anne findet sie eine verständnisvolle Gesprächspartnerin zum Thema „Probleme alleinerziehender Mütter“.

Natürlich kehrt das Gespräch in einer solchen nächtlichen Runde immer wieder immer zur Musik zurück – und auch zum Verhältnis zur Presse. Helmut redet über die Schere im Kopf mancher Schreiber, für die offensichtlich bei der Rezension eines neuen BAP Albums eine Note besser als „befriedigend“ undenkbar und nicht zu vertreten ist. Und wenn sich der allwissende Rolling Stone mal herablässt, einen Abgesandten in die Köln Arena zu schicken, um 30 Jahre BAP zu würdigen? „Der war im Backstage-Bereich und konnte das überhaupt nicht fassen, wie geil das ist, und das hat er auch immer wieder gesagt. Also dafür war dann der Artikel, den er geschrieben hat, ziemlich mittig.“

Es wirkt fast wie ein Stichwort, wie der Einsatz für Jürgen, der sich nun plötzlich mit zwei Amerikanern konfrontiert sieht, die dem Treiben ein Weile interessiert zugeschaut haben, und sich dann doch zu der Frage durchringen: „Are you a band? Or… what?“ Hätte er jetzt ein Schlagzeug parat, würde er mit Sicherheit eines seiner seltenen Soli spielen. So aber hebt er an zu einem Vortrag, der ausnahmsweise alle Bescheidenheit fahren, und die neben ihm sitzende Karola mehrfach in Deckung springen lässt. Er spricht mit Engelszungen, er flattert mit Windmühlenflügeln, wird schlagartig 2 Meter groß und erläutert den Amis, sie seien eine Band, jawollja, und was für eine. Seit 30 Jahren, und jetzt richtig Rock’n’Roll, mit anspruchsvollen Texten, und wie Bruce Springsteen., nur ganz anders, dass sie eben in Dialekt, aber überall in Deutschland und überhaupt und im Rockpalast und jetzt fast zwei Jahre auf Tour, und…. Hector’s good tonight. Ein wunderbarer Moment. Die Amis haben alle Fragen beantwortet bekommen, schauen aber noch irritierter als vorher.

JÜRGEN ZÖLLER….selbst: In manchen Hotelbars da sitzen nur so steife Business-oder Broker Typen rum, mit denen kommst du ja nur selten ins Gespräch. Letztens irgendwo, im Hilton in Luxemburg, in einem Hotel, in dem normalerweise um 11 Uhr Schicht ist, kamen wir an die Bar und es war alles offen, da hat der örtliche Veranstalter dafür bezahlt, das wussten wir aber erst hinterher. Da war so ein Ami, der kommt an die Bar und wundert sich: ‚Ich bin jetzt schon über eine Woche hier, und sie haben immer nur bis 11 auf, aber jetzt haben Sie ja immer noch auf??“ „Wollen sie nicht was trinken?“ „ Ja wie geht denn das?“ „Wir haben heute Abend so’ne Band im Haus….“, da guckt der mich so an… und bedankt sich, dass wir ihm die Bar offen gehalten haben.