Zuerst veröffentlicht im ROCKS Magazin 2020. Das Ergebnis eines – wie immer höchst anregenden – Gesprächs mit Herrn Dick. In der Vorberitung hatte ich mir eine Folge seines höchst unterhaltsamen Videoblogs „Fish On Friday“ angeschaut, und mich über den Einstieg amüsiert. Da nämlich zeigte er seinen Fans das Getränk, das er aus Sicherheitsgründen während der Aufzeichnung zu sich nahm: Erdinger Weissbier alkoholfrei. Genau die Droge, die ich seit einigen Tagen zum Zeitpunkt des Interviews zu mir nahm. Auch darüber redeten wir, aber auch über seine Sehnsucht nach Karlsruhe, über die Zipperlein älterer Herren – das alles steht nicht in dm Artikel. Aber wenn ich Zeit habe, kommt irgendwann das ganze Interview im Wortlaut noch auf dieser Seite….. also: hier ist der Artikel
Der lange Schotte macht Ernst: Mit dem Album Weltschmerz und der (hoffentlich) folgenden Tour beendet Fish seine Karriere als Musiker. Danach will er sich aufs Schreiben verlegen, konkrete Plöäne allerdings gibt es noch nicht. Mit dem opulenten Doppelalbum breitet er noch einmal seine Sicht auf den Zustand der Welt aus. Und die ist erwartungsgemäß melancholisch-düster.
Fotos: Copyright Kai R Joachim
Das Deutsche Wörterbuch der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm definiert Weltschmerz als »tiefe Traurigkeit über die Unzulänglichkeit der Welt«. Es ist ein Thema, das sich in der einen oder anderen Form durch das gesamte Werk des Derek William Dick alias Fish zieht. Die konkrete idee für das Album entstand 2015. »Zu dieser Zeit eskalierte gerade der Krieg in Syrien, immer mehr Flüchtlinge kamen nach Europa, alles lief in die falsche Richtung. Und da war dieses Gefühl von Hilflosigkeit. Dieses Gefühl, überfordert zu sein von all diesen Nachrichten. Das hat bis heute noch zugenommen. Trump, Hurrikane, massive Waldbrände, Libyen, der Jemen. Ich wollte aber über den Zustand der Welt gerade nicht unter dem Blickwinkel der großen Politik oder des Big Business schreiben. Ich wollte vielmehr über Menschen schreiben. Menschen, die in dieser Welt leben – und darum heisst es Weltschmerz. Der Schmerz, den man empfindet, wenn man auf dieser Welt lebt.«
Zumal politische Entscheidungen immer auch direkte Auswirkungen auf Leben und Überleben einzelner Menschen haben. »Es wurde immer weniger Geld für Soziales auagegeben, es wurde überall gekürzt. Das hat Folgen für die geistige Gesundheit.Man muss sich nur die Selbstmordraten der männlichen Bevölkerung in den vergangenen zehn Jahren anschauen. Das hat sich besonders in der Covid-Krise als Riesenproblem heraisgestellt, dieses Gefühl der Vereinsamung, der vollkommen Hilflosigkeit. Dieses Album ist aber nicht gegen die Regierungen gerichtet, sondern es ist eher alss Appell zu verstehen für für Verständnis, Zuwendung und Achtsamkeit.«
Weltschmerz ist voll von Charakteren, die sich unter schwieriger werdenden Bedingungen in dieser Welt zurechtfinden müssen. ›Rose Of Damascus‹ handelt von einer jungen Frau, die versucht, ein halbwegs normales Leben in einem vom Krieg zerrissenen Land zu führen. In ›Waverley Steps‹ erzählt Fish die Geschichte eines Mannes, dessen stufenweiser sozialer Abstieg ihn zum Bettler gemacht hat, der auf den ganz realen Stufen eines Bahnhof sein Dasein fristet. ›Garden Of Rememberance‹ ist im Schatten der fortschreitenden Demenz der Mutter des Künstlers entstanden. ›This Party is Over‹ handelt vom Dämon Alkohol, der gegen Ende 2019 bei Fish an die Tür klopfte. »Wir hatten die Band hier, um am Album zu arbeiten. Man blieb bis ein oder zwei Uhr morgens auf, erzählte sich Geschichten und trank viel Wein und andere Sachen, und das war alles ein große Spaß. Aber gegen Weihnachten wurde mir dann klar: Ich habe drei Monate vor mir, in denen ich viel organisieren muss, singen muss – also Dinge, für die man einen klaren Kopf braucht.« Denn eigentlich war für das Frühjahr die Tour zum Album geplant, durch die das Virus dann einen Strich machte. Inzwischen ist die fünf Monate währende Alkoholabstinenz zwar wieder beendet, aber der Song »ist eine Art Weckruf. Du kannst Dich nicht hinter einem Haufen Flaschen verstecken, die werden das Böse vor deiner Tür nicht vertreiben. Das Böse, das nicht mehr unter den Teppich gekehrt werden kann.« Im Titelsong, mit dem das Album endet, heisst es: »Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass wir alle betrogen worden sind. Dass unsere Freiheit und unsere Demokratie nicht das sind, was sie zu seine scheinen. Weltschmerz, Weltschmerz, Weltschmerz.«
Setzte das Album A Feast Of Consequences von 2013 noch alle Stilmittel ein, die Fans von lautstarkem und überlebensgroßem Progrock-Drama lieben, ähnelt Weltschmerz eher einem breit angelegten Filmsoundtrack, einem intensiven, musikalisch unterlegten Gedankenfluss. »Ja, es ist viel kinematographischer«, bestätigt Fish . »Nach Feast Of Consequences – und ich war darauf sehr stolz – wollte ich meine Karriere mit einem Höhepunkt beenden. So, wie ich Marillion nach Clutching At Straws verlassen habe, das meiner Meinung nach das Beste war, was wir zusammen gemacht haben. Mir war ausserdem eines bewusst: ich hatte so viel Songs über Herzschmerz und Krieg geschrieben, dass ich mich nicht wiederholen wollte.« Die musikalische Grundstimmung von Weltschmerz hat sich im Verlauf des langwierigen Schreib- und Aufnahmeprozesses verfestigt. Der wurde immer wieder durch Rückschläge aufgehalten. »2016 wollte ich anfangen. Aber in dem Jahr starb mein Vater, und ich hatte eine totale Schreibblockade. In meinem Kopf kreisten ständig Ideen, aber ich konnte einfach nichts zu Papier bringen. So ging das ganze Jahr verloren.« Im daraufffolgenden Jahr plagten den Sänger schwere gesundheitliche Probleme, er musste sich zwei Operationen unterziehen. Erst Ende 2017 entstanden die ersten Texte, darunter ›Little Man What Now‹, inspiriert von Hans Falladas Roman „Kleiner Mann was nun?«. Der Song wurde zum roten Faden für die Klangfarbe des Albums. Fishs engster Kooperationspartenr war wie gewohnt Bassist Steve Vantsis. »Wir haben das Drehbuch für jeden einzelnen Song entwickelt, die Farben, die Gefühle. Stück für Stück haben wir das erarbeitet, zusammengefügt, Klanglandschaften entwickelt.« Vanzsis wird zusammen mit Calum Malcolm als Produzent genannt. Malcolm hat unter anderem für Mark Knopfler, Simple Minds, Big Country, The Blue Nile und Wet Wet Wet gearbeitet. »Mit Steve habe ich die Skelette erarbeitet, bevor er an Bord kam. Er hat dann einige Knochen entfernt oder ausgetauscht. Er hat das perfekt umgesetzt. Die Stimme ist immer so präsent, dass man jedes Wort versteht.« Malcolm war auch derjenige, der durch den subtilen Einsatz von Streichern und Bläsern der Musik den letzten Schliff verlieh. »Es war ein unbewusster Gruß an die Vergangenheit. In den frühen Tagen der progressiven Musik waren Streicher und Bläser ja gang und gäbe. Denke nur mal an die Moody Blues.«
Im Studio versammelte Fish teils bewährte Mitstreiter wie Gitarrist Robin Boult und Keyboarder Foss Paterson um sich, dazu spezielle Gäse wie den Drummer Craig Blundell (Steven Wilson, Steve Hackett), den Giarristen John Mitchell (Armea, It Bites, Lonely Robot) und Ex-Van der Graaf Generator-Saxofonist David Jackson. »Es war eine gute Mischung von Musikern. Es ging mir aber nicht darum, eine Art Best-Of-Album mit lauter berühmten Musikern zu machen. Die Aufmerksamkeit sollten ja nicht die Musiker bekommen, sondern das Album.« Das nun, sollte alles gutgehen, 2021 live auf Tour präsentiert werden soll, mit der dann das Ende der musikalischen Karriere eingeleitet werden soll. »Keine Ahnung, ob die Tour stattfindet. Niemand kann das wiassen. Es gibt im Februar Termine hier im Vereinigten Königreich, die von März diesen Jahres geschoben wurdee. Aber Covid macht auch was mit den Fans. Ich meine, wenn Roger Waters morgen in der Haddington Corn Exchange, meinem lokalen Veranstaltungsort hier im Dorf auftreten würde, ich würde nicht hingehen. Viele Leute denken genause wie ich. Leute, die in meinem Alter sind und nicht zu Konzerten gehen wollen.« Wann auch immer die Konzerte stattfinden werden, es sollen definitiv die letzten sein. Fish ist kein Megastar, verfügt über kein Vermögen. Seine Tourneen finden auf Club-Ebene statt, und das macht Touren für den heute 62jährigen zunehmend anstrengender. »Für Genesis ist das einfach. Die haben eine ganze Armee Physiotherapeuten und Personal für alles, Fünf-Sterne-Hotels, einen Gig alle fünf Tage. Ich fahre mit dem Nightliner, ich schlafe in einer Koje, während der Bus zur nächsten Stadt rollt. Nimm die letzte Tour: Wenn ich einen Tag frei hatte, haben die jungen Leute immer gesagt: Lass uns rausgehen und in der Altstadt Bier trinken. Ich habe die Altstadt 20 mal erlebt und ich kenne jeden Pflasterstein. Da bleibe ich lieber im Hotel, gucke Netflix und trinke eine Flasche Wein. Das habe ich sechs Wochen lang gemacht, ich war sechs Wochen von meiner Frau getrennt, habe meinen Garten zurückgelassen. Ja, okay: ich brauche Geld, und die zwei Stunden auf der Bühne waren fantastisch, jede Nacht, aber die übrigen 22 Stunde des Tages machen dich fertig.« Die weiteren Pläne für die Zukunft sind bislang noch vage: Fish hat in vielen Interviews betont, er sei ein Autor, der auch singt – nicht umgekehrt. Die geplante Selbstbeschränkung aufs Schreiben sieht er konsequenterweise auch als Befreiung: »Musik Dich auch sehr einschränken. Manchmal reicht ein Song einfach nicht, um das zu sagen, was man sagen will. Ja, ich möchte schreiben, aber ich möchte nicht eingeengt werden von einer Versform oder Taktmassen. Das war auch ein Grund, warum Weltschmerz das letzte Album sein sollte.« 2009 hat er angefangen, seine Autobiographie zu schreiben. 2014 hat er im ROCKS -Interview gesagt: »Es leben noch zu viele der Leute, die darin vorkommen.« Heute sagte er: »Es wird keine Autobiographie im engeren Sinn werden, eher eine Abfolge von Erinnerungen aus verschiedenen Phasen meines Lebens. Aber daran verschwende ich derzeit keinen Gedanken. Okay, ich mache immer mal wieder Notizen, aber es passiert derzeit nichts Substanzielles. Das hat Zeit. Ich denke, ich habe noch mindestens 10 Jahre, bevor mein Hirn abbaut«