Clockwork Angels
Roadrunner / VÖ: 8.6.2012
Stillstand auf höchstem Niveau
Im Frühjahr 2010 gibt es zwei Tracks des Albums vorab, 2011 verkündet Neil Peart, das Album solle sein künstlerischer Höhepunkt werden. Im Februar 2012 macht Pearts Freund Kevin J. Anderson öffentlich, dass das Album-Konzept einen jungen Mann in widerstreitenden Kräften von Ordnung und Chaos seinem Traum folgen lässt, und dass er daraus einen Roman machen werde.
Wer so angefixt grundstürzend Neues von dem über Jahrzehnte innovativen Trio erwartete, der muss zwangsläufig enttäuscht werden, denn 2007 haben Rush mit Snakes and Arrows eine kongeniale Zusammenfassung ihre bisherigen Häutungen geliefert. Damit haben sie ein stilistisches, spieltechnische und klangästhetisches Hochplateu erreicht, aus dem es nur zwei Auswege gibt: Entweder eine völlig radikale Neuorientierung oder die ins immer kleinere Detail gehende Verfeinerung. Genau darum scheint es zu gehen, und und deshalb hat man wohl auch wieder den Produzenten von 2007, Nick Raskulinecz, dazugeholt. ›Caravan‹ eröffnet mit etwas dunklerer Stimmung, die aber nicht Grundfarbe wird. Schon mit ›Bu2b‹ geschieht eines dieser Wunder, das nur Menschen vollbringen, die sich über jede Nuance ihrer Arbeit im Klaren sind: Da platziert Geddy Lee auf einem grollfinsteren Riff seine Gesang so, dass der Zuhörer sich wärmstens umarmt. Der Titelsong dagegen ist ein Chamäleon: Ständig wechselt die Kulisse, ohne die Grundierung aufzugeben. Die andere Seite der Detailarbeit heisst: Einfach mal loslassen. In ›Headlong Flight‹ gibt Peart mit einem für seine Verhältnisse vollkommen ungewohntes Standard-Rock-Drumfill das Startzeichen für Lifesons Gitarrensolo, das von momentaner Eingebung zu leben scheint. Vorm geistigen Auge entsteht das Bild eines grinsenden Mannes, der auch ein bisschen schwitzen darf. Und vielleicht lächelt Neil Peart sogar. Und dann ist da noch ›The Wreckers‹. Vorm finsteren Szenario, dass die Lyrics heraufbeschwören, erklingt eine Musik von so betörender Schönheit und verzweifelter Hoffnung, dass man… ja was? Dass man ›Time Stand Still‹ vom 87er Album Hold Your Fire auflegen möchte, der genau auf die gleiche Art berührt. Das ist sehr viel – und eigentlich mehr, als man realistisch erwarten durfte.
8 1/2 / 10