Kleine Frau mit Riesenstimme
Ich weiss nicht, warum, aber ich hatte eine skandinavische Walküre mit festem Schuhwerk und dämonischer Ausstrahlung erwartet, als ich Tarja Turunen in einem kleine Hotel in der Karlsruher Karlstraße zum Interview traf, damals – 2007. Angetroffen habe ich eine mit blossem Auge kaum sichtbare, fast schon schüchterne Frau. Sehr sympathisch, und auf mich wirkte sie irgendwie sogar etwas unsicher. So, als wolle sie ständig fragen: „Meinst Du, ich schaffe das, mit meiner Solokarriere?“ Hat sie es geschafft? Ich habe sie etwas aus den Augen verloren. Das jedenfalls stand damals in den BNN:
Tarja Turunen mit erster eigener CD „Winterstorm“
In diesem Fall trügt der erste Eindruck nicht: Schon das Cover signalisiert: Ganz großes Kino, Tarja Turunen sturmumtost. Das Cover sendet ein zweites Signal in seiner ganzen opernhaften Dramatik, und dieses Signal transportiert die Botschaft: „Vorsicht Konzeptalbum“.
„Winterstorm“ heißt die CD, mit der sich die finnische Sängerin von ihrer Vergangenheit als Frontfrau von Nightwish absetzt. „Ich bin ein großer Fan der alten Vorstellung von einem Konzeptalbum“, bestätigt sie. Was allerdings nicht zwangsläufig bedeutet, dass eine Geschichte erzählt wird. Eher könnte „Winterstorm“ einen ordentlichen Soundtrack für einen noch zu drehenden Film abgeben. Da ist die klare, in alle Nuancen der schwer lastenden Musik fuhrwerkende Stimme, da sind die derben, monolithischen Gitarrenriffs. Im direkten Vergleich mit Nightwish wirkt diese Musik geradezu melancholisch entspannt, wenn man dieser Protagonistin hochfahrender Üppigkeit überhaupt solche Prädikate attestieren kann. Ausufernde, orchestral arrangierte Klanglandschaften beschwören dräuend einen inneren Zusammenhang, der durch die Musik, nicht durch die Texte entsteht. „Ich wollte, dass alles durch den Klang verbunden ist. Die Verbindung ist die Emotion“. Die schafft sie durch einen üppigen Sound, den sie „kinematographisch“ nennt. Bei der Umsetzung konnte sie auf prominente Hilfe aus der Filmmusik-Szene zählen. Hans Zimmer, der die Musik zu Kassenschlagern wie „Piraten der Karibik“, „Black Hawk Down oder „Gladiator“ erschaffen hatte, ließ die Sängerin in seinen Studios in Los Angeles arbeiten. Zwar kooperierte sie nicht mit dem Meister höchstpersönlich, aber mit seinem Arrangeur und Cheftechniker James Dooley, und Daniel Presley, ein Verwandter des King Of Rock’n Roll, stand ihr als Produzent zur Seite. Sie war schwer beeindruckt, vor allem auch davon, was Zimmers Leute in ihrem „Alltagsjob“ leisten: „Wenn man sieht, wie die mit den Bild arbeiten… so etwas möchte ich auch einmal können“. Das „erste eigene Album“ (für Tarja ist die feine Unterscheidung sehr wichtig) könnte die Hörer polarisieren: Für die einen mag es die anrührende musikalische Annäherung an nordische Landschaften sein, die anderen werden es als überschäumenden Zuckerbäcker-Kitsch empfinden. In sich stimmig ist das Werk jedenfalls. Und anders als Nightwish, die sie im Streit verlassen musste, klingt es in jedem Fall. „Es sind sehr unterschiedliche Songs, denn wir wollten kein Album machen, das in eine Kategorie geht. Ein solches Album würde nicht alles über mich erzählen, als Sängerin, als Komponistin“. Da muss die Frage erlaubt sein: Würde es auch so klingen, wäre es denn als Solo-Album der Band-Frontfrau eingespielt worden? Sie überlegt eine Weile, dann befindet sie resolut: „Ich glaube, es hätte nicht anders geklungen, denn Nightwish war ein Teil von mir. Es klingt eben einfach nach 15 Jahren musikalischer Entwicklung.“
Aufgenommen wurden Teile ihrer Vocal-Parts bei ihr zu Hause. Das nehme einiges an Druck weg, den sie in einem Studio eher verspüre. „Wenn ich mich nicht wohl fühle, kann ich nicht singen. Dann werde ich nicht offen.“ Die Arbeit beginnt aber schon vorher, bei der Auseinandersetzung mit den Texten. „Da muss ich mich tief reinknien, bevor ich überhaupt anfange, den eigentlichen Gesang zu üben. Dafür müssen erst Bilder im Kopf entstehen.“
Tarja könnte mit „Winterstorm“ neue Zuhörerschichten erschließen. Die Frage, ob sie nun den klassischen Bayreuth-Besucher für das Schaffen einer Heavy Metal Ikone mit Opernstimme begeistern kann (oder überhaupt will), lässt sie zwar unbeantwortet, aber sie erzählt: „Ich habe zwei Auftritte mit dem Material des Albums gehabt, einen in Berlin und einen in Budapest, und es gab da alte Leute in der ersten Reihe, einträchtig neben den Kids. Das ist eine schöne Erfahrung Ich finde wenn die Musik dich erreicht, ist es über die Gefühle“.
Tarja Turunen hat einige Semester an der Staatlichen Hochschule für Musik in Karlsruhe Operngesang studiert, aber sagt mit einer Mischung aus Understatement und Realismus „Ich bin noch nicht bereit, wirklich Opernsängerin zu sein. Dafür braucht es Ruhe, da sollte ich einmal fünf Jahre Auszeit nehmen“. Das Leben einer Opernsängern müsset auch völlig anders aussehen. „Die sagen mir immer: Du bist wahnsinnig: Wenig Schlaf, die vielen Reisen, da gerät doch alles aus der Balance“. Sie kennt Mittel dagegen, un kommt so bisher auch ganz gut über die Runden: „Man braucht einen ‚good spirit’, positives Denken, Sport, Gesangsübungen, und an freien Tagen sollte man wirklich nichts tun.“ Und überhaupt: „No Sex, no Drugs, no Rock’n’Roll, ich bin ein Sklave meines Instruments”, lacht sie. Und dann ballt sie die Fäuste: „I’m fighting for my dreams all the time”
Mehr zu Tarja unter den Rubriken Konzertkritiken und CD-Kritiken