Opulente Geisterstunde
Nach einigen Jahren, in denen sich die Kaiserslauterner Progressive Metal Band Vanden Plas vor allem auf die Arbeit für große Theaterinszenierungen konzentrierte, erschien 2019 mit The Ghost Experiment – The Awakening ein weiteres Bandalbum. Schon ein Jahr danach legt das Quintett mit Illumination den zweiten Teil vor, der neue Facetten der Musik des Quintetts offenbart.
Bandfotos: Copyright Janik Wagner
Die Geschichte hinter den beiden Alben basiert auf einer tatsächlichen Begebenheit, auf die Andy Kuntz vor einigen Jahren stieß, dem sogenannten Philip-Experiment. Ein Forschertaem in Toronto hatte damals verucht, allein durch die Kraft der Gedanken einen Geist heraufzubeschwören, den sie Philip nannten – und damit nachzuweisen, dass Geisterscheinungen nur ein Produkt menschlicher Fantasie sind. Von dieser Geschichte ausgehend erschuf Kuntz seine Hauptperson Gideon Grace, die eine dramatischen Kampf gegen die Mächte der Finsternis führt.
Konzeptalben dieser Art werden von Hörern ganz unterschiedlich rezipiert: Während die einen sich in die Texte vergraben und darüber auch tatsächlich mit der Band kommunizieren, lassen sich die anderen von der Kraft der Musik einfangen. Für Andy Kuntz, der als Texter nach eigenem Bekunden 2000 bis 2500 Stunden (»meist nachts« ) in ein solches Werk investiert, sind die Texte wichtig, »und ich freue mich, wenn die Leute sagen: Das gefällt mir, oder ich kann es emotional nachvollziehen. Mir ist aber nicht nur das gesungene Wort als solches wichtig, sondern auch, was es an Gefühlen auslöst. Mir macht es nichts, wenn jemand vollkommen egal ist, was ich sagen will, aber er findet, dass es gut klingt. Denn der spürt wahrscheinlich, dass ich daran glaube, was ich singe. Dann ist für mich die Mission schon erfüllt.« Nachdem der erste Teil des Konzeptwerke The Ghost Experiment – The Awakening, der jene Fans, die sich intensiver mit den Inhalten auseinandersetzen, mit einem Cliffhanger zurückliess, folgt nun im zweiten Teil Illumination die Auflösung. Dass die Geisterbeschwörung sich über zwei Alben erstrecken würde, war ursprünglich nicht beabsichtigt, aber »mir war diese Geistergeschichte wichtig. Als ich über dieses Experiment gestolpert bin, hat mich das dermassen angefixt und interessiert, dass auch da der Fundus an Material viel größer wurde als das, was ich früher für Konzeptalben benutzt habe und wir haben gemerkt, dass wir die ganze Gedankenwelt noch nicht ausgelebt hatten.« Das Label war mit der Verlängerung einverstanden, und die Band konnte nach Abschluss des ersten Teils weiterarbeiten. Sie schaffte es gerade noch rechtzeitig vorm ersten Lockdown im Frühjahr, den Großteil des Materials für Illumination einzuspielen. »Ich konnte noch vorher ins Studio – und die Band spielt teilweise – ausser dem Schlagzeug eh von zuhause einen ganz großen Teil ein. Erst am Ende, als wir noch zusätzliches Material brauchten, musste ich mir ein Heimstudio einrichten und habe dann von zuhause ein paar Sachen eingesungen. Aber mit der Technik von heute ist das eher ein kleines Problem.« Die technische Unterstützung durch den bewährten Produzenten Markus Teske machte es nöglich. Der stellte das nötige Equipment für Andy Kuntz‘ Heimstudio zusammen, kommunizierte beim Aufbau via Face Time mit dem Sänger und leitete anschliessend die Aufnahmen aus der Ferne. »Mein Heimstudio war dann wie der Aufnahmeraum hinter der Scheibe im richtigen Studio. Gut, direktes Feedback ist mir lieber, das war mir ein bisschen zu steril. Wenn ich dem Markus ins Gesicht gucke, dann weiss ich schon, ob es ein guter Take war, oder ob ich es nochmal singen soll. Das hat mir schon gefehlt. Aber wenn man das jetzt weiss für die Zukunft, eröffnet das auch neue Wege. Da könnte ich mir zuhause was einrichten und bessere Bedingeungen schaffen. Das war jetzt unter Zeitdruck das bestmögliche. Wir wollten eben abliefern und den Rest noch in den Kasten kriegen.« Das Album wird in seiner musikalischen Dramaturgie den erzählten Inhalten gerecht: Da sind die großen Hymnen wie ›When The World Is Falling‹ oder ›Under The Horizon‹, wie sie seit jeher ein Markenzeichen der Band sind. »Das kommt von mir. Ich suche immer die große Hymen, den absoluten Hook.« Manchmal bietet der Sänger mehrere Varianten an, danach beginnt der gemeinsame Entscheidungsprozess zusammen mit Gitarrist Stephan Lill und Keyboarder Günter Werno, den Hauptverantwortlichen für die Komposition der Musik. »Wir überprüfen uns dabei gegenseitig. Stefan hat ein sehr gutes Gespür für eine gute Gesangslinie. Beim ersten oder zweiten Hören spürt er, ob die greift oder eher nicht so.«
Es gibt aber auch Ungewohntes auf dem neuen Album zu hören: ›Black Waltz Death‹ überrascht durch mysteriöse, finstere Chöre, durch den scharfen Kontrast leiser und lauter Teile und eine geradezu hypnotisch anmutende Steigerung in einem langen Instrumentalpart auf rhytmisch ungewöhnlicher Grundierung. Andy Kuntz gefällt das Bild einer langen, schier nicht enden wollenden Treppe, an deren Ende Erlösung wartet. »Ja, du steigst eine endlos lange Treppe hoch und du denkst, du kommst nie an. Und schliesslich stehst Du oben. Es ist wie bei einer Wanderung auf einen 2500er, wenn du denkst, es kommt die letzte Kurve. Und dann siehst Du den Gipfel. Die Chöre sind bewusst wie Carmina Burana gestaltet. Du würdest normalerweise bei einem solchen Chor auch einen schweren, heavy-treibenden Song hören, Beethoven Heavy sozusagen. Aber wir haben mit 7/8 Rhythmen gearbeitet und es teilweise wie einen Walzer anmuten lassen, manchmal auch mittelalterliche Gefühle erweckt. Das steht als Kontrast komplett dagegen und ist trotzdem mit den Gesangslinien zusammen so, dass es noch Vanden Plas ist. Ich finde, das ist einer der Songs der letzten Jahre, bei dem eine ganz ganz große Bandbreite bedient wird, und den man uns trotzdem als Band abkauft.« Die musikalische Idendität als Band, die Alben produziert und live spielt, unterscheidet sich von der Rolle, in die die Musiker bei ihrer Theaterarbeit schlüpfen. So bot beispielsweise die von Günter Werno, Stephan Lill und Andy Kuntz geschaffene Musik für die Rockoper Everyman, die im vergangen Jahr mit großem Erfolg am Statdtheater Pforzheim aufgeführt wurde, eine aus dem Vollen schöpfende Mischung der Opulenz des Musicals, des Drama der Oper, der Leichtigkeit des Jazz, pop-affiner Balladenseligkeit und der Härte des Heavy Metal. »Wir sind auf der Theaterbühne – auch wenn das einige unserer Hardcore-Fans vielleicht nicht hören wollen – deutlich progressiver als in dem Genre, in dem wir uns als Band bewegen. Ich liebe es, so breitbandig fürs Theater schreiben zu können, aber ich würde es nicht unbedingt unter dem Banner Vanden Plas als Band tun. Da limitieren wir uns bewusst, und ich finde das auch richtig. Es muss zum Beispiel einen gewissen Härtegrad haben. Im Theater darf es dafür etwas edelkitschig sein, weil das ja auch optisch gefüllt wird. Das kann man ja mit einer Platte gar nicht bewirken.«. Was zur Vanden Plas-Musik gehört und was nicht, darüber sind sich die Musiker einig. Jeder Song, jede Melodie, jedes Riff durchläuft eine bandinteren Qualitätskontrolle. »Wir haben viel kompositorische Erfahrungen gesammelt. Damit können wir einschätze, was wir uns trauen können. Dieses Mal wollten wir bei einigen Songs wirklich an Grenzen gehen. Manchmal sagt man: Hier müssen wir ausdünnen, oder umgekehrt: Hier braucht es mehr. Da ist jeder sehr kritisch mit sich selbst, und vor allem auch uneitel. Günter hat seit 15 Jahren eine Idee, die er immer wieder anbietet. Ich finde die richtig sensationell, aber er sagt immer: Nein, ich bin noch nicht überzeugt davon. Das hat bisher noch keinen Platz auf einer CD oder in einer Rockoper gefunden. Ich habe auch schon Refrains rausgeschmissen, von denen ich anfangs vollkommen überzeugt war, weil ich gemerkt habe, die passen nicht mehr zu dem Song. Und jeder von uns weiss, dass man dem anderen nichts wegnehmen will, wenn man Einwände hat., sondern dem Ganzen etwas geben will.«