Ein Zeichen gegen alles Hässliche
Bandfotos: Copyright Rachel Barrett
Seit 42 Jahren sind Pendragon eine britische Progrock-Institution. Ihr neues Album Love Over Fear ist die endgültige Rückkehr zu den hochmelodischen, harmonischen Wurzeln der Band. Nick Barrett und seine Mitstreiter setzen ein Zeichen gegen alles Hässliche in der Welt und liefern als Ausrufezeichen gleich noch eine akustische Version des Albums mit.
Im Booklet der Deluxe Version fällt ein Bandfoto auf, auf dem Nick Barrett Nutella aus einem Glas löffelt und sich dabei das Gesicht einsaut wie ein Kind. Ja, das hat durchaus etwas zu bedeuten, lacht der Sänger, Gitarrist und Songschreiber: »Es bedeutet, dass ich Nutella mag. Nein, im Ernst: mich spricht es an, einfach etwas Kindisches zu machen. Ich nehme meine Arbeit absolut ernst, aber auf der anderen Seite gibt es so vieles, über das ich lachen kann. Das war der Grund für das Foto. Es wird doch stinklangweilig, immer nur auf vier Typen zu starren, die mit verschränkten Armen dastehen.«
Pendragon sind sich über vier Jahrzehnte stilistisch treu geblieben, haben aber dabei geschickt neue Einflüsse zugelassen, ihre Musik im Detail verändert. Da gab es Opern-Flair in The Masquerade Overture, die Alben Pure und Passion überaschten in Teilen durch ungewohnte Heavyness. Auf Love Over Fear gint es nun mit ›360 Degrees‹ einen beinahe reinrassigen Folksong. »Das ist schon untypisch für uns«, erklärt Barrett. Initialzündung war der Song ›Nostradamus‹ vom eigenen Album The Window Of Life. »Das hatte einen ähnlichen Beat, und ich dachte, wir sollten mal wieder etwas in diese Richtung machen. Ich dachte an Bands wie The Pogues oder The Waterboys, folkiger Stoff mit Violinen und Mandolinen.« Inspiriert dazu wurde Barrett schließlich auch von seinem direkten Lebensumfeld: Der Landschaft von Cornwall, wo er lebt, von den Menschen und der Musik. »Hier gibt es eine sehr starke Folkszene. Da hört man im örtlichem Pub viele dieser Instrumente. Da trifft man auch mal einen Typen, der zum Akkordeon Shanties singt.« Barrett lebt in Bude, nahe der Küste und rund 20 Kilometer entfernt vom berühmten Tintagel Castle, wo der Legende nach König Artus gezeugt wurde. »Ich liebe das Meer, und ich habe viel Zeit auf dem Meer verbracht. Das beeinflusst die Musik, inspiriert mich und hilft bei der Arbeit. Es ist ein großartiger Ort zum leben und kretaiv zu sein.«
Der Löwenanteil der Musik auf Love Over Fear markiert wohl die Abkehr von den Modernisierungsversuchen der vergangenen Jahre. Es dominieren Harmonie und Schönheit, als habe der Komponist alles Graue verbannt. »Es entsteht aus dem Wunsch, etwas Schöneres schaffen zu wollen, angesichts des Zustandes, in dem die Welt sich gerade befindet. Wir haben eine Polarisierung der Gesellschaft, auch durch das Internet. Die Art, in der sich die Menschen streiten über Themen wie Brexit, Trump, links, rechts – das ist so wütend und aggressiv. Und da ist es vielleicht ganz gut, wenn man mal etwas hat, was einem nicht irgendeine sozio-politsche Agenda in die Fresse haut. Sondern einfach nur unterhaltend und ermutigend ist.« Barrett wollte beim Schreiben der Musik seinen eigenen Hörerlebnissen der 70er Jahre nachspüren: Pink Floyd, Genesis, Camel. »Ich rede nicht über die Musik als solche, sondern über das Gefühl beim Hören von Alben wie Moonmadness oder A Trick Of The Tail. Die Musik, die Covergestaltung – das war purer Eskapismus. Man konnte mit Musik wirklich der Welt entfliehen.«
Besonders nahe kommt Love Over Fear diesen Inspirationsquellen in der akustischen Albumversion, die Teil der Deluxe Edition ist. Da finden sich ganze Passagen, die an die fliessenden Gitarren-Meditationen auf dem Genesis-Album Trespass erinnern. Eine mutige Entscheidung für eine Band, die bekannt ist für ihren kompakten Sound voll fetter Gitarrenriffs und überbordender orchestraler Keyboards. Da aber Barrett bereits große Teile der Musik auf akustischen Gitarren komponiert hatte und Bassist Pete Gee ein Spezialist für den Klang der zwölfsaitigen akustischen Gitarre ist, schien der Band dieses Experiment fast schon zwingend. »Jeder fand die Idee gut, das als Extra-Disc zu machen. Wir sagten uns, dass unsere Karriere ja nicht davon abhängt – also gingen wir ganz entspannt ran. Wir wollten aber nicht die gleiche Musik einfach auf akustischen Gitarren spielen. Also haben wir einige Teile extra für die Akustik-Version geschrieben. Wir haben einige Sachen die an Pat Metheny erinnern, verschachtelte Themen. Das hat ein richtiges Eigenleben entwickelt. Das wäre aber nichts gewesen, was auf das Hauptalbum gepasst hätte, hier konnten wir es uns erlauben.«
Erlauben will sich Barrett auch in Zukunft musikalische Einflüsse, die manchem Progrock-Nerd die Haare zu Berge stehen lassen. Er ist mit T Rex, David Bowie, Sweet und Slade aufgewachsen. Er mag Michael Jackson und George Michael genauso wie Motörhead. »Pendragon hat auf vielfältige Weise Elemente von Popmusik, und es gibt einige Puristen, die Pendragon nicht ertragen! Sie stehen sich doch selbst im Weg. Viele Leute sagen ja, sie mögen total komplexe, schwer zugängliche Musik, einfach um clever zu wirken. Ich war auf einem Gig einer Band, die ein komplett atonales Album gemacht hatte, und hinterher traf ich einen Typen und fragte ihn: Hast Du es genossen? Er meinte: Es war großartig, und man merkte, wie er ins Schwimmen geriet auf der Suche nach Gründen, warum er das so toll fand. Es wird überintellektualisiert, nach dem Motto: Niemand ausser uns darf das überhaupt mögen. Nur wir dürfen das, weil wir so intelligent sind. Ich mag es einfach nicht, wenn Leute snobistisch mit Musik umgehen. Das Leben ist zu kurz für Snobismus.«
Zu kurz auch für bandinterne Auseinandersetzungen. Zwar sitzt mit Jan-Vincent Velazco der mittlerweile sechste Drummer auf dem Stuhl, und Keyboarder Clive Nolan ist die Nummer vier an den Manualen – allerdings bereits seit 1986 dabei. Er bildet mit Barrett und Bassist Peter Gee das stabile Triumvirat der Band, das vor allem deshalb so gut läuft, weil Nick Barrett bei der Musik allein das Sagen hat. Das, so betont der, sei nun kein Geheimrezept, aber »man sollte wissen, dass jede Band anders ist. Manche können nur funktionieren mit der Kombination von zwei Leuten wie Jagger und Richards, Lennon und McCartney. Andere wie Genesis, bei denen alle sehr eng zusammenarbeiten. Pendragon ist wieder anders. Als Clive einstieg, sagten wir ihm, dass wir keinen weiteren Songschreiber haben wollten. Er meinte, das sei für ihn absolut in Ordnung, er habe dafür eigene Projekte. Pendragon hat in dieser Besetzung so lange funktioniert, weil es keine musikalische Schlacht zwischen zwei Leuten gibt, von denen jeder seine Sachen einbringen will. Peter macht auch sein eigenes Ding, und er ist heilfroh, dass ich hier die ganze Musik schreibe. Clive und Peter waren immer sehr loyal zu Pendragon. Sie bringen sich dafür im Live-Spielen ein. Es sind ihre Persönlichkeiten, die dann zu Tragen kommen.«