Karlsruher Mythen live

Baden Beats Festival im Anne Frank Haus, Karlsruhe, 28.9.2008

„Ich habe kürzlich unseren Bandvertrag gefunden, vom 11. September 1975“, erzählt Horst Meinzer. „Da stand zum Beispiel drin, wieviel Strafe man zahlen muss, wenn man zu spät zur Probe kommt“. Es muss also wohl 1976 gewesen sein, rekonstruiert der Bassist von Prussic Acid, als die Band zum letzten Mal auf der Bühne des Anne Frank Hauses stand. Am vergangen Samstagabend war es wieder einmal soweit. Vier legendäre Karlsruher Bands der 60er und 70er Jahre ließen für über vier Stunden noch einmal ihre Musik von damals Gegenwart werden.

Im Anne Frank Haus herrscht Stimmung wie bei einem Klassentreffen. Selten ist mehr Schulterklopfen, selten enden Sätze so oft auf „…wie früher“. Oder fangen so an: „Früher waren aber mehr Frauen da“, bemängelt einer. „Früher wurde gekifft“, sagt ein anderer, dann wird wieder über Gitarrensoli und die Bedeutung der Hammondorgel im allgemeinen und im besonderen geredet. Was ist für die Musiker anders im Vergleich zu damals? „Wir machen das jetzt mit großer Gelassenheit, wir haben ja nichts zu verlieren, weil wir ja mit dieser Band nicht mehr Profis werden wollen“, meint Horst Meinzer.

„Die Leute, die früher zu Prussic Acid oder später Poseidon gegangen sind, die sind nicht zu Asgard gegangen oder umgekehrt“, wirft ein Kenner der ersten Stunde ein. „Und es gab die Musikerpolizei….“ Gemeint sind die Experten, die mit verschränkten Armen die Konkurrenz beobachteten. Heute kommen sie, um sich zu erinnern, und es muss nicht unbedingt genauso sein wie damals.  

Die Beethovens hatten es sogar einmal in den Starclub nach Hamburg geschafft. An diesem Abend sind sie (bis auf ein paar Small Faces Nummern) weniger Beat denn Rock. Sänger Frieder Nagel gibt den Rocker, ganz im schwarz und mit noch vorhandener Mähne, um die ihn sicher einige Kollegen beneiden. „PJ Proby… wer kennt den noch? Keine Sau!“ fragt er und die Band spielt „Hold Me“. Ah, so klang das also. Sie trauen sich sogar an eine Version von „You keep me hangin’ on“, die an Vanilla Fudge angelehnt ist. Und das alles „mit ohne Orgel“, wie Frieder Nagel scherzt. Die L’il Beans spannen als zweite Band des Abends den Bogen von den Eagles bis zu den Four Tops – und setzten vor allem auf mehrstimmigen Gesang. Als sie dann „I’m A Man“ zelebrieren, traut sich schon die eine oder andere Ausdruckstänzerin was. Allein: anno 2008 fehlt das Wallekleid.

Prussic Acid sind auf der Bühne, machen eine historische Kreuzfahrt von ihrer Interpretation des englischen Blues zum orgelschwangeren Brian Auger-Sound. Horst Meinzer erzählt viele Geschichten: wie sie zum Isle Of Wight Festival 1969 fuhren, um die Originale live zu hören, und von dem legendären Konzert in Karlsruhe, als sie die Frechheit besaßen, als Vorgruppe von Brian Auger dessen Stücke zu covern. „Er spielt heute noch, wir ganz selten“. Aber sie spielen, als täten sie nichts anderes. Prussic Acid klingt an diesem Abend wie eine Band, die ein paar Wochen Tourneeroutine hinter sich hat, inklusive beeindruckend musikalisches Drumsolo von Rudi Metzler. Wie war das? „Wir haben zweimal geprobt“.

Mit Asgard betritt dann kurz vor Mitternacht die Band die Bühne, die das epische auf ihre Fahnen geschrieben hatte, damals. Denen man ihre Pink-Floyd und Genesis-Verehrung anhört, und die eben keine Songs, sonder „Stücke“ spielen. Da zeigt Heinz Reinlein erstmal, wie viel Equipment ein Keyboarder damals brauchte, und dann die Kraft überbordender Orgelkaskaden im Verein mit flirrenden, gedehnten Gitarrensoli. Bis Sänger Peter Herrmann den ersten Ton singt, vergeht eine lange, lange Zeit. Aber so war das damals eben. „Wunderbar, euch alle zu sehen in diesen heiligen Hallen“ hat Horst Meinzer eine halbe Stunde vorher gesagt. Die „heiligen Hallen“ sind es wohl, die alle an diesem Abend einen. Musikerpolizisten jedenfalls werden weit und breit nicht gesichtet.

tz