„Gavotte? Kennen Sie das? Gut!“

Folknacht mit Lismore, Niul und Bleizi Ruz. Ettlingen, Stadthalle, 21.11.2009

Seit dreiundzwanzig Jahren existieren Lismore aus Waldbronn, inzwischen sind sie geographisch so weit verstreut, dass ihre Konzerte eine Rarität sind. Bei der Folknacht in der sehr gut besuchten Ettlinger Stadthalle am Samstagabend waren sie der perfekte Auftakt für einen langen Abend. Ihre Mischung aus Francois Villon Bearbeitungen, traditionellen Tänzen und Eigenem spannt den Bogen über alle Gefühlszustände, die gut gespielte Folk-Musik transportieren kann.

Da ist die brummende Lebensfreude in der „Ballade vom angenehmen Leben“, da ist bittersüße Melancholie in „Ich hab mich in dein rotes Haar verliebt“, und da ist der Schalk, der auch und gerade immer wieder in Eigenkompositionen wie „Die Balz der andalusischen Quallen“ aufblitzt. Der Spaß beim Zuhören hat auch damit zu tun, dass hier mit zweieinhalb Dutzend kompetent gespielten Instrumenten immer neue, andere Klangfarben erzeugt werden.

Nìul aus Norditalien sind zuständig für den eher kammermusikalischen Teil des Abends – wobei auch ihre Musik durchaus tanzbar ist, und zudem die größte Vielfalt zu bieten hat: Da gibt es romantische Liebeslieder, aber auch das Lied von der jungen Frau, die den zudringlichen Grafen bei der Rast im Grünen einfach abschlachtet. Da gibt es Balladen und ungewöhnliche Arrangements. So etwas der getragene Gesang von Simona Scuri, der streckenweise allein von Alessandro Brascas Dudelsack unterstützt wird. Überhaupt Simona Scuri: sie ist mit ihren langen Erzählungen, ihrem trockenen Humor, und ihrem schönen Akzent der Publikumsliebling des Abends.

Bleizi Ruz schaffen zum Abschluss eine wiederum ganz andere Stimmung. „Ich habe ein bisschen Deutsch in der Schule gelernt, aber das war übergestern“, bricht Gitarrist und Sänger Eric Liorzou das Eis. Aber Worte sind bei dieser Musik kaum nötig, um den Funkenflug in Gang zu setzten. Wohl atmet ihre Musik den Geist des bretonischen Fest Noz, und schon nach den ersten Takten sieht man die wogenden Ettlinger Wahl- und Wuschbretonen mit Enthusiasmus bei traditionellen Tänzen. „Gavotte? Kennen Sie das?“ fragt Liorzou. „Gut. Dann Gavotte“. Aber Bleizi Ruz ist mehr: Da spielen sie einen schottischen Tanz, und man merkt, dass der Ländler überall in Europa – egal ob er aus keltischen Gegenden oder vom Balkan kommt – einen ähnliche Atmosphäre verbreitet. Da spielen sie einen mehrteilige Tanz aus der Zentralbretagne und nähern sich in der Komplexität des Arrangements mit traumwandlerisch lässigem Zusammenspiel durchaus den Arrangement-Kunststückchen des Progressive Rock.

Und immer schimmert diese spezielle bretonische Grundstimmung durch, die anders ist als die der übrigen keltischen Musikwelt: beschwingt und dunkel zugleich, mysteriös und doch klar, rhythmisch verschroben und verschoben aber für Eingeweihte dennoch tanzbar. So, wie Bleizi Ruz ihr Material bearbeiten, wird es zur reinen Hypnose, zur Vorlage für Träume von Wind und Meer. Man sieht es in den Gesichtern der Tanzenden. Nichts gegen die gediegene Ettlinger Stadthalle, aber wäre es nicht schöner, das Konzert fände irgendwo an einem windzerschlissenen Hafenpier in der Bretagne statt, wo man in windschiefen Häusern auf der Terrasse Crèpes isst und Cidre trinkt? Am besten in der Nähe von Brest, wo diese Band 1973 gegründet wurde.

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