Rocken bis der Arzt kommt
Niotiz: Im Frühjahr 2019 erreichte mich ein Anruf der Stadtredaktion der Badischen Neuesten Nachrichten, für die ich im allgemeinen wenig unterwegs bin. Es gebe da ein großartige Band, bestehend nur aus Ärzten, die träten nur selten auf, aber wenn, dann oho! Mit denen sollte ich mich doch mal ins Benehmen setzen, denn nur ich könne das….Was ich auch tat, und ich war überrascht. Dass die spielen können, war eh klar. Aber da ist die ernorme Bandbreite des Repertoires und nicht zuletzt das „furchterregende“ Outfit mit Fake-Tattoos und allem, was einen echten Rocker eben so auszeichnet. Mein Bild von Ärzten war vorher ein anderes (okay, mal von dieser Berliner Band selbigen Namens abgesehen). Und vor allem: Spaß! Here we go….
Fotos: Copyright Nicole Heil
Ein Abend Anfang Mai im Karlsruher Substage: Der Laden ist voll, das Publikum tobt. Auf der Bühne schafft sich eine Band durch ein Repertoire von knüppelhartem Metal über Pop bis hin zu Schlagern. Die Herren und Damen sehen aus, wie eben Rocker aussehen: Lederklamotten. Tattoos – die ganze stilechte Optik. Erst nach fünf Zugaben geht die Party zu Ende. Aber halt: Wie hiess die Band nochmal? Like A Surgeon? Zu deutsch: Wie ein Chirurg. Man reibt sich die Ohren und staunt.
Ja, diese Band besteht durchweg aus Ärzten für Visceralchirurgie, Gefäßchirurgie, Anästhesie, Innere Medizin und Radiologie. Gegründet für eine Abschiedsfeier eine Chefarztes vor zwölf Jahren, ging es 2010 für die nach eigenem Bekunden „nicht ganz ernst zu nehmende Cover-Rock-Band“ richtig los mit einem Auftritt im Radio Oriente. Weitere folgten, und nun füllt die inzwischen mehrfach umbesetzte Band mühelos das Substage.
Als Konzertbesucher bei dem Fest der Karlsruher Kliniken im Substage war jeder willkommen, aber es wurde keine öffentliche Werbung gemacht. Denn es geht den Musikern zunächst um ein kollegiales Gemeinschaftsgefühl: „Es ist ungewöhnlich, dass große Kliniken so ein Fest zusammen machen, und das gewollt und unterstützt von der Geschäftsführung ist“, sagt Sänger Steffen Münch, Oberarzt für Chirurgie. Intern gibt es zwar Diskussionen, ob die Band nicht auch etwa auf der Cafébühne beim „Fest“ gut platziert wäre, aber Gitarrist Daniel Gärtner – im „richtigen Leben“ Adipositas-Chirurg – sieht das kritisch. „Wir füllen das Substage. Nicht, weil wir die musikalischen Überflieger sind, sondern weil wir als Ärzteband wahrgenommen werden. Es macht Spaß, diese Sonderrolle zu haben.“
„Seriöse Chirurgen, die im OP stehen, und plötzlich in einer anderen Rolle auftreten, das macht auch den Reiz fürs Publikum aus“, findet Trompeter Benno Schulte, niedergelassener Facharzt für Innere Medizin. „Wenn Patienten sehen, dass wir Hobbies haben, mit denen sich der eine oder andere identifizieren kann, kommen wir etwas vom unnahbaren Ärzte-Status weg“, meint Steffen Münch. Geeignete Musiker zu finden für die Band, die regelmäßig probt, ist kein Problem. „Musikalität ist unter Ärzten durchaus verbreitet. Zwar nicht unbedingt schwerpunktmässig Rock, aber in meiner Heimatstadt gab es zum Beispiel eine Chefärzte-Jazzband“, erzählt Daniel Gärtner. Er findet sein Hobby auch unter ärztlichen Gesichtspunkten perfekt: „Dass man zur Probe geht und abschalten kann bei dem Stress, den man sonst so hat, ist auf jeden Fall auch ein Gesundheitsaspekt.“
Dementsprechend wollen die Musiker sich bei den Proben und Konzerten keinem Stress aussetzen. „Wir wollen uns nicht als tolle Musiker darstellen. Es geht um die Leidenschaft und wir habe immer eine neue Setlist, wir wollen das halbe Set jedesmal austauschen, Und wenn da mal ein Ton danebengeht – sei‘s drum.“ Die Setlist des Auftritts im Mai liest sich fast abenteuerlich: neben richtig hartem Stoff von Iron Maiden, Rage Against The Machine oder Papa Roach stehen Popnummern wie „Come On Eileen“ oder „Walking On Sunshine“ auf dem Programm, und ganz am Ende im Zugabenblock steht „Griechischer Wein“.
„Wir kennen keine Grenzen“, sagt Steffen Münch. „Unser gemeinsamer Nenner ist die Rockmusik, wir haben aber auch schon mal das Kufstein-Lied gesungen“. „Abr in einer ironisch gebrochenen Version“, merkt Daniel Gärtner an. „Bei uns wird demokratisch entschieden“, wirft einer in die Runde, worauf alle in schallendes Gelächter ausbrechen. „Manchmal muss man über seinen Schatten springen“, sagt Benno Schulte. Steffen Münch fand „Atemlos“ von Helene Fischer grenzwertig. „Das war zum Glück vor meiner Zeit“, lacht Schulte und fügt verschmitzt hinzu: „Wir Bläser könne ja dann mal rausgehen. Wir verstehen, dass es im Kern eine Rockband ist. Und wenn wir wieder reinkommen, sagen die Leute: ah, die Bläser sind wieder da, jetzt könne wir auch wieder kommen.“ Daniel Gärtner bekennt sich als Metal, Rock- und Grunge -Fan. Steffen Münch mag die „nicht ganz so abgefahrenen Sachen. Guns and Roses, Whitesnake, Foo Fighters.“ Er hat es als Leadsänger in der Hand. Wenn er sagt „das kann ich nicht singen“, gibt es ein Problem. „Die Iron Maiden-Songs muss der Drummer singen“.
Apropos Iron Maiden und Konsorten: Angesichts der hohen Dezibel-Zahlen sei die Frage gestattet, ob Ohrenärzte mitmachen dürfen. „Ohrenärzte haben wir nicht. Die würden das vielleicht kritisch sehen“, kommt die Antwort sehr fröhlich. Und wie wäre es mit einem Psychiater? Die Frage sorgt wieder für große Heiterkeit und die einhellige Meinung: „Okay. Aber nur, wenn er uns nicht therapieren will.“