Mein Herz, das schlägt sich noch ganz gut
SILLY in der Festhalle Durlach, Karlsruhe, 4.12.2010
Sie hatten schon immer das Zeug, die gesamtdeutsche Popwelt zu erobern, damals zu DDR Zeiten. Da war Silly eine Band, die wirklich das im anderen Deutschland so oft beschworene Weltniveau hatte und deren Musik man auch im Westen kaufen konnte. Hätte man es getan, hätte man gewusst, was die Musiker und ihre Sängerin Tamara Danz treiben: leicht schrägen Powerpop plus Texte mit Anspruch, leicht aufmüpfig. Aber damals interessierten sich im Westen allenfalls Spezialisten für Silly.
Auch die Nachwende-CDs gingen mehr oder weniger unter. Nun, 14 Jahre mach dem Krebstod von Tamara Danz sind Silly mit ihrer neuen Frontfrau Anna Loos wieder da, haben die CD „Alles rot“ abgeliefert – machen nichts grundsätzlich anderes als all die Jahre zuvor, und sind plötzlich eine gesamtdeutsche Band, die allenthalben die Hallen füllt.
So auch die Festhalle Durlach am vergangen Samstagabend. Und das Publikum kriegt, weswegen es (vermutlich) gekommen ist: Die geballte Ladung von neuen Songs, die im Konzert durch die druckvolle Präsentation einiges gewinnen: Weg von der doch eher glatten Albumproduktion hin zu mehr Rock. Was auch in der Struktur der Songs angelegt ist, denen man ihre Entstehung als „Lagerfeuer“ Versionen anhört. Allerdings zeigen die Songs in dieser Anordnung auch eine der Schwächen der aktuellen Silly Musik: sie ist eindimensionaler, vorhersehbarer geworden. Unüberhörbar wird der Unterschied, als das ostinate Thema von „Mont Klamott“ sich aus dem Nebel schält, diese zeitlupenhaft mächtige und doch ungreifbar verschwurbelte Großtat aus dem Jahr 1983, die einen Berg aus Trümmerschutt im Osten Berlins besingt. Das ist einer der Höhepunkte des Abends, und die Nagelprobe für Anna Loos. das Liegt ihr. Denn da muss sie Eigenes auffahren, das kann man nicht singen wie Tamara Danz. Loos ist geradliniger, mehr Rockstar als die gelegentlich doch etwas unterkühlt wirkende Tamara Danz. Andererseits: Danz war vor allem 80er Jahre, jetzt ist 21. Jahrhundert, und Silly führen vor, wie man die Transformation schafft. Mit Bergen und Aberbergen von Pophymnen: Aber zwischendrin darf Gitarrist Uwe Hassbecker noch ein paarmal die sägende Hackfressen-Dezibel-Gitarre anwerfen, und sich breitbeinig in Pose werfen. Das funktioniert auch wieder bei einer alten Nummer am überzeugendsten: „S.O.S“, dieser Song von 1988, der so treffend den Untergang der DDR prophezeit, schießt aus allen Rohren „Fresst und sauft und sauft und fresst“ – die Band ist auf Dienstgipfelhöhe, und Frau Loos strahlt wie das Honigkuchenpferd, während der Maschinenraum raucht. Dort steht, ein Mann wie aus einem Fantasy Film, der dynamische Jäki Reznicek am Bass, der zusammen mit Hassbecker beweist, dass hier rein handwerklich in der Toto-Liga gearbeitet wird. Der unvermeidliche Unplugged-Block geht in Ordnung, aber eigentlich ist es schade, dass hier von großartigen Songs wie „Asyl im Paradies“ nur verstümmelte Versionen angeboten werden. Letztendlich warten aber alle auf den Ohrwurm des Jahrhunderts, und es sieht aus, als passt alles: Frau Loos könnte es sich sparen, in ihr selbstverständlich knallrotes Mikro zu singen, das Publikum macht das schon. „In mir drin ist alles rot, das Gegenteil von tot. Mein Herz, das schlägt sich noch ganz gut“. Oh ja.