Der alte Spaß ist wieder da
Eigentlich waren sie nie so ganz weg, obwohl 2008 offiziell Schluss war: Fury In The Slaughterhouse waren immer wieder live präsent: 2013 und 2017 begeisterten sie zehntausende die Fans mit Konzerte in ihrer Heimatstadt Hannover. Und jetzt gibt es nach 13 Jahren tatsächlich ein neues Album voller Hymnen. Zuerst veröffentlicht in stark gekürzter Form im ROCKS Magazin.
FOTOS: Copyricht Olaf Heine
Es hätte so weitergehen können. Die Sechserbande konnte sich auf die ungebrochene Attraktivität ihrer Hits wie ›Time To Wonder‹ und ›Won‘t Forget These Days‹ verlassen. Die Musiker hatten Spaß, das Publikum wollte mehr Konzerte, für 2020 war eine Tour angesagt, die Corona-bedingt verschoben wurde. »Als das live wieder los hing, und wir merkten, es macht großen Spaß und die Leute haben Spß, haben wir uns um die ganze Arie mit Aufnehmen und ins Studio gehen rumgedrückt, weil wir eigentlich keine Lust drauf hatten. Die letzten Jahre vorher warten im Studio eigentlich immer eine schlimme Zeit. Das hat keine Spaß gemacht, das war uninspiriert, das hatte bei mir immer sowas von: Hefte raus, Mathearbeit. Also haben wir uns gesagt: Die Leute wollen eh alle nur ›Time To Wonder‹ und ›Won‘t Forget These Days‹ hören, also machen wir uns mal keine Gedanken drüber. Dann kam aber unser Management und meinte: Jungs, wenn ihr weiter so viel und so schön live spielen wollt, dann kommt ihr irgendwie nicht drumrum, mal wieder an eine neue Platte zu denken«, erzählt Gitarrist Christof Stein-Schneider. Die Idee stieß bei den Musikern zunächst auf wenig Gegenliebe
Da zog das Management den Produzenten Vincent Sorg als Joker aus dem Ärmel, zu dessen Kunden unter anderen die Toten Hosen, In Extremo und die Broilers gehörten. Stein-Schneider und Sänger Kai Wingenfelder fuhren zu einem Treffen mit Sorg. Der hatte sofort einen Stein im Brett bei den Musikern: »Er hat uns sofort erwischt, indem er sagte: ich mache keine Sessions, die länger als vier, fünf Tage sind. Denn die Bereitschaft eines Musikers, etwas gut zu finden, lässt nach vier bis fünf Tagen massiv nach. Damit hat er uns voll erwischt. Das war auch meine Erfahrung, wenn wir früher drei Monate im Studio rumgehangen haben. Am Anfang bist Du noch begeistert und dann hörst nur noch die Fehler und alles ist scheisse. Und dann kannste iegentlich wieder on vorne anfangen.«
Man vereinbarte eine Testsession und traf sich Ende 2019 im Studio im ländlichen Münsterland, und es funktionierte. Schon nach den Testsession stand das halbe Album in seinen Grundzügen, »und da stellten wir fest: Ach guck mal, das kann ja auch Spaß machen. Und so haben wir uns von Song zu Song gehangelt, bis wir feststellten: Ja, jetzt kommen wir nicht drum rum, lass uns ‚ne neue Platte machen, wir haben eigentlich schon die halbe Platte fertig. Erst dann sind wir an die Öffentlichkeit gegangen, weil wir selber dem Frieden nicht so ganz getraut haben.Vincent hatte schon einen großen Einfluss auf die Platte. Zum Beispiel, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben nicht alles auf einem AC 30 gespielt habe, sonderen einen Diesel-Verstärker benutzt habe, das ist ein großer Unterschied. Weil er gesagt hat: Probier doch mal den. Ich finde, man hört schon, dass wir Fury sind, weil Kai ist als Sönger ein deutliches Nummernschild dieser Band. Aber es ist auch die Art, wie Rainer Schlagzeug spielt.. und Vincent hat uns da mal eine bisschen modernere Joppe angezogen. Wir haben also nicht mehr unser altes Leinenjäcken aus den 70ern an, sondern bielleicht ne modische vegane Plastikjacke. Er hat uns ein bisschen im Klang bearbeitet. Olli Roth, kennste ja auch, der sagt immer Let The Muic do the Talking. Es geht also nicht drum: Wrr bringt ein Solo an, von wem ist der Song, sondern einfach darauf achten: Wo will dieses Lied hin. Weil Songs eigentlich wissen, wo sie hinwollen. Un da ist es als Musiker und Produzent die Aufgbae, drauf zu hören, statt selbst dran zu zerren. Einfach mit offenen Ohren beim Stück bleiben. Das ist unglaublich, wie manche Stücke sich im Lauf von den vier, fünf Tagen verändert haben: Da gehört‘s jetzt hin. Das ist nicht ein Stück drauf, bei dem ich das Gefühl habe, da müsste jetzt noch weiter gebastelt werden.«
Ende 2020 arbeitete man im Studio in selbstgewählter Isolation. Für Verpflegung war gesorgt, die Amps konnten aufgedreht werden. Mane arbeitete zusammen un doch mit allen notwendigen Vorsichtsmassnahmen. Gemischt wurde anschliessend via Zoom-Konferenz. »Die Arbeit an den Songs war ganz anders als früher. Da war es oft so, dass einer sagte: der Song ist doch schon fertig, und der andere meinte: Nee, aber der Refrain ist doch scheisse. Heute läuft es anders: Da haben wir einen neuen Refrain gemacht, anstatt drüber zu diskutieren. Das war einfach eine sehr positive Erfahrung. Es ist gerade großartig, und dass die jetzt auch noch so einen Erfolg hat. Da springt man natürlich so ein bisschen umeinander wie so‘ne kleine Schülerband. Und wir haben als Band wieder gemerkt, wie es ist, zu sechst an einem Strang zu ziehen. Wir haben ja alle mit unseren Soloprojekten mehr oder weniger erfolgreiches und schönes Zeug gemacht. Aber dieses Gefühl, die alte Gang ist wieder zusammen, das hört man dieser Platte an. Als wir uns da zum Proben trafen, hatten wir schon so das Gefühl: Wenn wir sechs unS in einen Raum stellen, dann klingt das nach Fury. Das wussten wir plötzlich wieder zu schätzen, und dass das keine Last ist, sonder ein großes Geschenk, und dass wir das damals 2006, 2008 gar nicht mehr bemerkt haben. Viele Streitpunkte hatten sich einfach erledigt. Der Unterschied ist jetzt, dass wir die Dinge jetzt dirket ansprechn, wenn es Punkte gibt, über die man sich auseinandersetzten muss.
Now ist ein Album geworden, dass die bewährten Qualitäten der Band auf den Punkt bringt: da sind sie wieder, die großem Hymnen mit hohem Wiederekennungswert, die den Erfolg der Band in den 90er Jahren begründeten. Breitwandige Gitarrenfronten (›Sometimes‹), extrem eingängige Refrains (›Letter To Myself‹) und eine fast durchgängige positive Grundstimmung zeichnen das Album aus. In ›The Beauty‹ darf es auch mal ein Hauch Irish Folk sein und der Titelsong ist ein richtggehender Muntermacher mit einem augenzwinkernden Reggae-Groove. ›Sorry‹ markiert das andere Ende des Spektrums: Eine nebelverhangene Ballade, die von der drohenden ökologischen Katastrophe handelt.
Mitte der 90er-Jahre war die Band in den USA unterwegs, und das Video zum Song ›1995‹ lässt nicht nur nostalgische Gefühle aufkommen. »Natürlich ist toll, die alten Bilder zu sehen: Volles Haar und knackige Jungs, die alle einen an der Waffel haben. Für mich ist aber der wichtigste Satz in dem Song der letzte: ›I survived‹. Deshalb bin ich heute noch hier, weil ich 1995 überlebt habe«, sagt der Gitarrist. Schließlich liefern die Hannoveraner mit ›This Will Never Replace Rock’n’Roll‹ ein lautstarkes Bekenntnis zu handgemachter Gitarrenmusik ab, inklusive stadiontauglichem Refrain. Der Song baut auf einem Gitarrenriff auf, mit dem Christof Stein-Schneider und Kai Wingenfelder schon vor 20 Jahren »rumgespielt« haben, »als die ganze Techno-Sache und die Maschinenmusik aufkam. Wir hoffen jedenfalls, dass es ein Propagandaschild ist: Krachige, laute Rock‘n’Roll-Gitarre. Laut, unkontrollierrt, brummend, verzerrt. Und es hat eben auch dieses Gemeinschaftliche, dieses Fussballchorartige: Zusammen irgendwas grölen, weil es Spaß macht, zusammen irgendwas zu grölen.«
Little Steven hat ja mal gesagt, Rockmusik führe inzwisvchen eine Art Kellerassel-Dasein. Das passt ja auch irgendwie zu diesem trotzigen Song. »Wir müssen uns mit den HipHoppern bei den Chartplatzierungen halt rumschlagen. Mir ist das nicht so wichtig, aber es gibt ein paar in der Band, die das eher sportlich sehen. Vielleicht hat er ja recht, der Little Steven, vielleicht ist es ja auch für was gut. Ausserdem sehe ich aber die jungen Leute, die so gut Gitarre spielen in den Musikschulen, weil sie alle Smoke On The Water als ersten Song lernen. Insofern glaube ich da nicht dran. Mag sein, der öffentliche Fokus ist jetzt auf elektronischem Gedüdel. Aber am menschlichen Bedürfnis zum gemeinsamen Musizieren wird kein Trend rütteln.«
Die Aufbruchstimmung des Albums findet ihren optischen Ausdruck im Cover, das einen Boxer in Lauerstellung zeigt. »Dieses Symbol des Boxers ist ja nicht nur die Wehrhaftigkeit, sondern es bedeutet auch, geduldig zu sein und auf den richtigen Moment zu warten: Wir wissen zwar nicht genau, was unsere Musik jetzt konkret mit dem Boxer zu tun hat, aber das trifft genau das Gefühl, das wir gerade haben mit dem, was wir tun« – so wie der Albumtitel: »Gerade in dieser Seuchenzeit, in der wir produziert haben, hatte ich das Gefühl: Es gibt zwei Zeiten: Das ist now und not now, und die einzig wichtige ist now. Nimm die Momente, wie sie gerade vorbeikommen! Gesundheit kann innerhalb von einer Stunde umschlagen und du bist tot. Mit diesem Boxer kam unser Grafiker um die Ecke, dem sein Schwiegervate hat ihm alte Dias gezeigt, der war Boxer beim Boxclub Altena. Dieses Symbol de Boxers ist ja nicht nur diese Wehrhaftigkeit, oder das Angreifen können, sonder es bedeutet auc, geduldig zu sein und auf den richtigen Moment zu warten: Wir wissen zwar nicht geau, was unsere Musik jetzt konkret mit dem Boxer zu tun hat, aber das trifft genau das Gefühl, das wir gerade haben mit dem, was wir tun.
Dazu gehört auch, flexibel zu sein, sich auf die jeweilige Situation einzustellen. Im Sommer wird die Band unter dem Motto »Now Or Never 2021« coronakonforme Liveshows spielen, bei denen das Publikum in Strandkörben sitzt. »Es ist eben nicht wie diese komischen Autokonzerte. Für Blechdosen spielen ist echt eigenartig. Ich muss auch mal den Hit ziehen vor den Veranstaltern, die das wagen. An allen Ecken und Enden sprießen Ideen aus dem Boden, wie man das angehen könnte. Das ist einer der positiven Aspekte dieser Zeit. Wir können es nicht ändern, also müssen wir kreativ werden.«