Bloss keine Nostalgieveranstaltung
Diesen Artikel habe ich 2005 für Melodie & Rhythmus geschrieben, im Vorfeld eines dieser hocherfreulichen BAP-Jubiläen. 2006 wurde BAP 30. Dazu gab es das Album „Dreimal zehn Jahre“, am 14. Januar 2006 begann die Jubiläumstour in der Kölnarena. Zum Erscheinen der Doppel CD gab es eine Präsentation, bei der auch einige der musikalischen Gäste (Thomas D., Marta Jandova, Henning Wehland) vorbeischauten. Wolfgang Niedecken und Michael Nass hatten anschließend viel Zeit, um über Vergangenheit und Zukunft, Erwartungshaltungen und Pläne, Ost und West zu reden….
Ohne Dieter Müller hätte es BAP nie gegeben. Bei der Fußball-EM 1976 gab der Kölner sein Nationalmannschafts-Debüt. Die Bundesrepublik lag gegen Jugoslawien mit 2:1 hinten. Müller kam in der 79. Minute und schoss drei Tore. „Das sorgte für große Begeisterung im Hause Niedecken, die Feierlichkeiten zogen sich bis in den Morgen“ Herr Niedecken hatte einen entsprechenden Brummschädel, und war zu schwach, dem frühen Anrufer am 18. Juni 1976 abzusagen. „Das war der Saxophonist unserer ehemaligen Schülerband, der erzählte, er hätte ein Haus geerbt und wir könnten im Stall proben.“ Das war die Geburtsstunde der kölschen Rocklegende BAP, die 1979 als „Wolfgang Niedeckens BAP“ ihre erste LP aufnehmen sollte. 29 Jahre und fünf Monate nach jenem Anruf sind eine Doppel-CD und eine DvD erschienen, am 14. Januar 2006 startet die „Dreimal zehn Jahre“-Tour in der Kölnarena.
Die Idee des Albums war, die Bandgeschichte chronologisch mit den repräsentativen Songs abzubilden, und dabei so zu tun, als seien die Songs gerade in der aktuellen Besetzung entstanden. Vieles klingt ungewohnt, ohne die typischen BAP-Trademarks aufzugeben. So kommt „Anna“ kommt gänzlich ohne Reggae-Grooves aus, „Fortsetzung folgt“ ist härter und schneller, „Kristallnaach“ ist dynamischer, gitarrenlastiger geworden. Der Sound ist durchgehend direkter, roher. Näher an dem, wie BAP schon auf der SONX-Tour klang. Respekt vor den Klassikern und gleichzeitig Aufbruch ins nächste Jahrzehnt. Das steht als ungeschriebenes Gesetz über dem ganzen Projekt. Wolfgang Niedecken wirkt am Erscheinungstag des Albums wie jemand, der sich nicht mehr fragen muss „ob ich jetzt’ do bin, wo ich hinjewollt han“. Da sitzt jemand, der genau weiß, wie er mit seinem bisherigen Lebenswerk umzugehen hat: „Du gehst nicht ‚Verdamp lang her’ zwischen Tür und Angel an, weil die weißt was dieser Song für viele Leute bedeutet. ‚Kristallnaach’ ist auch so einer, ‚Du kanns zaubere’ auch. Uns zu Hilfe kam natürlich, dass wir diese Stücke durch die Jahrzehnte immer wieder anders gespielt haben, dass wir ja nie unsere eigene Coverband waren.“
Ziemlich mutig war es, als erste Single die Neubearbeitung von „Frau ich freu’ mich“ zu veröffentlichen. Die klingt ganz im Gegensatz zum 81er-Original völlig entspannt, fast „cool“. Ist aber alles andere als ein Einknicken vor den Ansprüchen des Popradios, wie voreilige Fans schon vor der Veröffentlichung des Albums in Internet-Foren unkten. Vielleicht ist es gerade dieses Stück, mit dem Wolfgang Niedecken exemplarisch die Herangehensweise erklären kann. „Irgendeiner sagte mal: Der Text handelt vom Autofahren, und die Musik handelt vom Bremsen. Der hatte recht. Diese ganzen Breaks, die da drin sind, diese ganzen Toto-artigen Dinger, dieses Gefuddel zwischendurch, diese Kleinstmelodien. Das ist komplett das Gegenteil von einer nächtlichen Fahrt nach einem harten Tag, wo man sich freut, zu seiner Süßen zu kommen.. Du brüllst nicht rum und vor allen Dingen trittst du nicht ständig auf die Bremse Das haben wir beherzigt, und deswegen ist diese Version einfach nur logisch.“ Niedecken hat keine Angst vor Erwartungshaltungen. Er hält es so, wie er es als Kunststudent in den 70ern gelernt hat: „Ein Bild, ein Kunstwerk muss immer erst mal dem Künstler genügen. Alles was drüber hinausgeht, ist nebensächlich. Das Publikum hat ein gutes Recht, zu sagen ‚gefällt mir nicht’. Aber wenn du als Künstler von vornherein nur das tust, was das Publikum gerne hätte, bist du beim Rock’n’Roll nicht gut aufgehoben, dann wirst Du nichts Authentisches schaffen, und es wird dann ‚nur Pop’ sein. Rock’n’Roll ist für mich etwas anderes als Pop.“
Viel zum veränderten Charakter der Stücke haben die Gäste beigetragen. Neben Thomas D unter anderem Marta Jandova (Die Happy), Xavier Naidoo, Henning Wehland (H-Blockx), Meret Becker und Laith Al-Deen. Bei „Time is cash, Time is Money“ ist die Berliner Multikulti-Truppe Culcha Candela dabei. Die haben wirklich, erzählt Niedecken, „nachgeschaut, zu welchem BAP-Song sie jeweils geboren sind“. Da liegt der Verdacht nahe, die Plattenfirma ziele mit den „Jungspunden“ auf der Platte auf neue Käuferschichten geschielt. Keine Frage, meint Niedecken „Ne Plattenfirma bekommt ja solche Ideen nicht einfach, weil sie nett ist, sondern weil sie sich was davon verspricht.“
Zuerst war ihm die Idee, Gäste ins Boot zu nehmen, unangenehm. Wobei er eher an „Wegbegleiter aus drei Jahrzehnten“ und damit an „Nostalgieveranstaltung“ dachte. Schließlich funktioniert die Band jetzt erst so, wie er sich Rock’n’Roll vorstellt, nachdem 1998 „dreizehn Jahre Tauziehen“ mit Gitarrist Klas ‚Major’ Heuser zu Ende gegangen ware. „Bei allem Respekt – es war ‚ne Erleichterung.“ Und trotzdem: „Ich hab’ mit dem Major viele Sachen hingekriegt gerade auch aus der Spannung heraus, und Major war derjenige, der uns zum Rocken gebracht hat, große Verdienste für die Band.“ Um gleich alle Spekulationen bezüglich der Jubiläumskonzerte aus dem Weg zu räumen:: „Ich werde keinen einladen. Aber wenn einer Lust hat, mitzumachen, ist jeder aufgerufen, der bei BAP gespielt hat. Wir sind sehr gastfreundlich. Aber wenn da so eine Nummer abgeht Marke “Das war Ihr Leben“ – tut mir leid, ich bin noch nicht fertig.“
Deshalb gibt es auf der CD auch nur ‚aktuelle’ Gäste. „Das kann auch wieder nach vorne führen. Und vielleicht will der eine oder andere sich ja gern mit uns erwischen lassen.“ Keyboarder Michael Nass meldet sich zu Wort, und erinnert daran, wie Thomas D. (Die Fantastischen Vier) ins Studio kam, und geradezu ehrfürchtig sagte: „Hey, denkt daran: ich bin kein Sänger…“ Wenn ein schwäbischer Rapper einen kölschen Klassiker auf hochdeutsch einsingen soll, wie geht es dem dann? Irgendwann hätte ihn Wolfgang Niedecken vor vollendete Tatsachen gestellt, erzählt der Fanta 4 Musiker: „Plötzlich hieß es: Wir haben jetzt alle Lieder aufgenommen, und es ist noch eins da, übermorgen muss es fertig sein… und es ist ‚Verdammp lang her’“. Er schaffte es sogar noch, Wolfgang Niedecken zu einer (fast) komplett hochdeutschen Version zu überreden. Er würde sich auch trauen, die in Köln auf der Bühne zu singen. Sagt er jetzt, nach dem ersten Schrecken.
Respekt vor dem Repertoire von BAP hatte auch Michael Nass, als er 1999 zusammen mit Jens Streifling in die Band kam. Michael Nass stammt aus Borna und wurde schon im Augustheft von „Melodie und Rhythmus“ 1983 als Musiker wahrgenommen: Da stand über die junge Band P 16 zu lesen, die aus „Schulrock“ entstanden war: „Die Jungs stehen auf Musik von Pankow, Rockhaus, City, Nena, Spliff u.a.“. Mit u.a. muss wohl auch BAP gemeint sein. Klar, sagt Michael Nass heute: „Wir haben auch Stücke von ihnen nachgespielt. Vor allem ‚Do kanns zaubre’ kam wunderbar an“. Als er über 15 Jahre später „beim ersten Konzert mit BAP auf der Bühne war, und Jürgen (Zöller) zählte ‚Do kanns zaubre’ ein, war es, als stünde ich im falschen Film. Und da vorne stand Wolfgang Niedecken und eben nicht ‚unser Sänger’. Das war Gänsehaut pur“. Michael Nass bringt heute bei BAP die Rock’n’Roll-Schweineorgel ins Spiel, vor allem auf der Bühne „Ich habe mir eine Hammond B 3 gekauft, als ich bei BAP eingestiegen bin.“ Damit schafft er die erdverbundene Atmosphäre für Helmut Krummingas Gitarrenspiel „Helmut kann die Stones-Bibel runterbeten“, grinst Nass. Ihm geht es wie den anderen in der Band um echte Instrumente, „die eine Seele haben“. Dazu gehört auch das Harmonium, das für das neue Intro von „Jraaduss“ eingesetzt wurde. „Wolfgang hat das mal gekauft, es musste erst repariert werden, aber dann war es immer noch verstimmt“. Ein Riesenaufwand, dazu zu spielen, aber dafür gibt es jetzt ein „naturbelassenes“ Harmonium auf der CD. „Ich fühle mich zu Hause, wenn in einer Musik echte Emotionen drinstecken. Das kann eine Breitwandproduktion sein, oder etwas nur mit Violine und Gitarre. Ich habe das Glück, unterschiedlichste Sachen machen zu können“. Sagt’s und erinnert sich mit Freuden an eine Weihnachtsplatte von Manfred Krug, für die er 2001 die Bläser und den Kinderchor aufgenommen hat. Nein, er muss nicht immer selbst spielen. Neben seiner Arbeit mit BAP ist Michael Nass gut beschäftigt mit Filmmusik, arbeitet beispielsweise mit Axel Donner. Sounddesign, Aufnahme, Musikmischung, so was macht er gerne. Einen kleinen Teil zum großen Ganzen beitragen, Leute treffen, die ähnlich unterwegs sind. „Ich habe beispielsweise ziemlich oft mit Uwe Hassbecker zu tun, der ist eben auch sehr vielseitig, wir machen uns zusammen immer eine schöne Zeit.“
Mit BAP hat sich für Michael Nass ein Kreis geschlossen, als sie 2003 das Video zu „Unter Linden in Berlin“ im leeren Palast der Republik aufzeichneten, dort wo die Band 1984 hätte spielen sollen, die Tour aber am Vorabend absagte. Der Song arbeitet noch mal die Ereignisse auf, als den DDR-Verantworlichen der Song „Deshalv spill mer he“ zu heiß wurde, und sie die Band drängten, ihn wegzulassen. „Wir haben mitgekriegt, sie hätten die Konzerte selbst abgesagt. Und wir dachten, irgendwas ist da komisch, das muss eine Finte sein, aber das konnte man sich nur zusammenspinnen.“, erinnert sich Michael. „Aber wenn eine angesagte Band es sich leisten konnte, abzusagen, das ließ ja auch eine Haltung erkennen“
Wolfgang Niedecken findet die Entscheidung heute noch richtig. Aber „meinem heutigen Kenntnisstand entsprechend wär’s natürlich anders gelaufen, denn ich hätte dieses Stück erst gar nicht schreiben müssen. Die Leute in der DDR wussten, warum wir da gespielt haben. Ich habe aber geglaubt, es braucht das Stück, aber darum war die Entscheidung richtig, uns das nicht verbieten zu lassen. Wir haben damit auch eine Entwicklung gestoppt, die verlogen war. Es fuhren plötzlich Gott weiß welche Westrocker in den Osten und haben sich da am Nasenring vorführen lassen.“
Ein bisschen Nostalgie muss aber nun doch sein. Also. Wolfgang Niedeckens BAP-Sternstunden in drei klaren Sätzen: „Ich weiß, wie überraschend es war, als wir zum ersten Mal außerhalb von Köln gespielt haben, in Wuppertal. Vor 200 Leuten, die jedes Lied mitsangen. Da war ich mindestens so verblüfft wie ein paar Jahre später als wir in der Schweiz standen und viertausend mitsangen und dann wieder paar Jahre später, als wir in China vor neun mal 18.000 Menschen standen, die noch nie was von Rock’n’Roll gehört hatten aber instinktiv mitgingen. Gerade dieser Dreisprung sagt eigentlich alles. Wir haben uns immer wieder wundern können. Und das soll auch bitte so bleiben. Wenn wir alles schon wissen, was nächstes Jahr läuft, dann wird es furchtbar langweilig. Ich will’s gar nicht wissen. Ich will mich in die Situationen begeben und dann wird immer wieder was passieren, und es wird faszinierend sein.“ BAP hat 2006 oberste Priorität, soviel steht fest. Ob es eine Never Ending Tour im Geiste des Meisters Bob Dylan geben wird? Wer weiß. Sommerfestivals und eine „Kundendiensttour“ im Herbst auf jeden Fall, nach dem Motto: Überall spielen, wo eine Steckdose ist sind auf jeden Fall drin.