One Of A Kind: Kein Egotrip

Er kann offenbar nicht genug kriegen: Deep Purple-Keyboarder Don Airey feiert am 21. Juni seinen 70. Geburtstag. Ruhestand ist allerdings ein Fremdwort für ihn. Kaum tut sich ein Zeitfenster in der Tour der Stammband auf, spielt er sich mit seiner eigenen Band vierzehn Tage quer durch die europäischen Clubs. Obendrein erscheint Ende Mai noch eine neues Soloalbum mit dem Titel One Of A Kind

Erstveröffentlichung im ROCKS Magazin 2018

»Es ist eine Gewohnheit. Wenn man’s nicht macht, vermisst man es. Es hat etwas von Drogenabhängigkeit«, lacht er. »Jack Bruce hat mir mal erzählt, dass er einmal ein Jahr lang nichts gemacht hat, und danach zwei Jahre lang gebraucht hat, um wieder Fuss zu fassen. Wenn man sein professionelles Level halten will, muss man immer vor Publikum spielen.« Das neue Album ist – mehr als alles, was Airey bislang unter seinem Namen veröffentrlicht hat, ein Bandalbum und damit alles andere als der Egotrip eines selbstverliebten Tastnvirtuosen. »Wir haben vor allem auf Melodien Wert gelegt, und versucht, es nicht allzu progressiv klingen zu lassen, immer wieder zum eigentlichen Song zurückzukehren.«

Entstanden ist es in kreativer Zusammenarbeit mit seinem langjährigen Sparringspartner Carl Sentance, derzeit hauptamtlich Sänger von Nazareth. Airey ist voll des Lobes für den 56jährigen Waliser. »Sänger können notorische Problemkinder sein, und Carl hat auch seine Momente. Ich habe ja immer Ideen für Songtitel, leider hört er mir nie zu. Aber ist ein sehr cleverer Texter und er ist ein totaler Profi. Schau ihn Dir doch einfach an: Er sieht schon aus wie dieser Alles ist möglich-Typ. Er hat Narareth zu einer anderen Band gemacht in den zwei Jahren, seit er bei ihnen eingestiegen ist. Er ist der Chef auf der Bühne. Und er ist ein sehr guter Gitarrist. Wenn er mit der Gitarre und ich mit der Hammond zusammenkommen, dann fliessen die Ideen nur so. Wir haben noch mindestens 40 weitere Songs, die wir noch nicht aufgenommen haben.«

Weitere Ideen steuerte Gitarrist Simon McBride (Snakecharmer) bei, der schon bei der letztjährigen Airey-Tour brillierte. »Vor zweieinhalb Jahren ungefähr haben wir auf eineigen Festivals gespielt, damals hatten wir zu ersten Mal mit Simon McBride gearbeitet. Nach zwei Tagen hatten wir ungefähr 15 Songs. Die habe ich dann zuhause weiterentwickelt. Das lustige ist ja, dass all diese Songs unter Zeitdruck geschrieben wurden. Ich war sehr beschäftigt mit Deep Purple und noch ein paar anderen Sachen. Immer, wenn ich etwas fertig hatte, habe ich versucht habe, alle zum Aufnehmen zusammen zu trommeln, nach dem Motto: Ah, morgen könnten wir was machen.« Zeitdruck ist aber nicht unbedingt der Musik abträglich. Davon ist Airey fest überzeugt. »Wenn man unter Druck schreibt, weiss man, was funktioniert und was nicht.« Als Beispiel nennt er den epischen Track ›Victim Of Pain‹, den einzigen wirklich progressiven Titel des Albums. In dem Carl Sentance Rob Halford Tribut zollt, der für ihn ein wichtiger Einfluss als Sänger ist. »Da hatten wir ursprünglich nur den Riff und den Vers. Mehr gab es nicht. Das Intro ist dann erst im Studio entstanden, als Simon ein bisschen herumspielte. Und diese Orchester-Section entstand am Morgen der Aufnahmesession um sechs Uhr früh. Sorry, wenn Du Dir das anders vorgestellt hattest, und ich Dich jetzt desulillusioniere«, lacht der Blitz-Arrangeuer, und »denk mal, die Beatles habe das White Album geschrieben, als sie in Indien mit dem Maharishi zusammen waren. Da waren sie 30 Tage lang, und in denen haben sie 35 Songs geschrieben. Und mei Gott: Was für Songs das sind!«

Wenn Airey mit seiner Band on tour ist, werden in der Regel ein Mischung aus seinen Solowerken, die allfällige Deep Purple Hommage und zur Freude eines mitsingbereiten Publikums Rainbow-Hits plus etwas wilde Jazzrock-Fusion aus seiner Colosseum II-Zeit gegeben. »Das Problem dabei ist, dass das sehr schwer zu spielen ist, in der Originalband waren ja mit John Mole, Gary Moore und John Hiseman. Man verlangt ziemlich viel von einem Musiker, der diese Sachen spielen soll.« Grundsätzlich gilt die Vorgabe, die Stücke aus Don Aireys jahrzehntelanger Karriere möglichst nahe am Original zu spielen. »Wenn man Songs verändert, dann ist das meistens eher eine Verschlechterung als eine Verbesserung. Der Trick ist, sie in der gleichen Qualität wie das Original zu spielen. Wenn wir da nicht nahe rankommen, lassen wir es lieber bleiben.«

Wenn es um orgellastige Stücke geht, gehört dazu unverzichtbar der Original Hammond Sound. Auch in kleine Clubs würde der Fan der Hammond A 100 nie mit einem digitalen Keyboard oder ohne Leslie auf die Bühne gehen. »Es gibt aber nur noch wenige Hammonds, und auch kaum mehr Leslies, was sogar noch wichtiger ist. Gelegentlich stirbt irgendwo ein alter Mann, der noch eine Hammond besitzt und seine Frau sagt dann: Was soll ich damit? Dann verkauft sie die Orgel. Ich habe vier oder fünf davon, aus den Jahren 1963 oder 1964, und sie klingen alle verschieden. Sie haben ihre eigene Identität, genauso wie Les Paul Gitarren. Aber es wird immer schwieriger, Ersatzteile zu kriegen. Es wird sie vielleicht nicht mehr lange geben. Wenn man sie pflegt, dann halten sie aber ewig.«

Blieb noch die Frage nach dem Mann in Schwarz, der Dons Stammband neun Jahre vor seinem Einstieg verlassen hatte. Kürzlich hat Ritchie Blackmore verlauten lassen, er könnte sich vorstellen, noch ein letztes Mal mit Deep Purple auf die Bühne zu gehen. Don Airey ist darüber hörbar amüsiert: »Es ist nicht die Frage, ob wir das wollen oder nicht. Es ist eher eine Frage, ob das praktisch machbar ist. Ritchie hat ja – soweit ich weiss – gesagt, er würde gern eine Show spielen. Wenn man überlegt, was alles bewegt werden muss, damit das Wirklichkeit wird. Nein. Deep Purple ist heute eine Band, die ständig On The Road ist, da sind so viel Variablen drin, und man müsste auch proben. Ich bin überzeugt, Ritchie wäre der Erste, der sagt: Hey, ich bin zu viel zu beschäftigt, um das zu machen.«