18.2.2022

Foto Copyright: Manuel Liechti

Gerade habe ich gelesen, dass Endo Anaconda gestorben ist. Ihr fragt sicher: Wer ist dieser Mann? Endo Anaconda war ein Schweizer Rundum-Künstler, der auch ab und zu mit seiner Band Stiller Has in Karlsruhe im Tollhaus auftrat. Ein Schweizer, der imstande war, mir meine sturen Vorurtiele gegen die Schweiz und ihre Bewohner auszutreiben. Ich habe ihn ein einzige Mal live erlebt, 2015. Und wenn ich meinen Text von damals wieder lese, glaube ich sogar, ihn verstanden zu haben. Rauche er in Frieden.

Stiller Has 2015 im Tollhaus Karlsruhe.
Stiller Has wird von einem „Büro für kulturelle Besonderheiten“ an die örtlichen Konzertveranstalter vermittelt, und jawohl: Da ist diese Schweizer Band, die in Mundart singt, genau richtig. Denn während bei vielen „Mundartbands“ die Mundart selbst schon die ganze Botschaft ist, ist dieses Quartett in vieler Hinsicht etwas Ungewöhnliches. Man schaue sie nur an, wie sie auf die Bühne des Tollhaus schlurfen. Der Sänger, der sich Endo Anaconda nennt. Dem man das gelebte Leben aus einem Kilometer Entfernung ansieht. Der eine Stimme hat, die ihn schon bei der Begrüßung als einen ausweist, der dazu geboren ist, große Geschichten zu erzählen. Der Gitarrist René „Schifer“ Schafer, der mit durchgehend stoischem Blick die musikalischen Landschaften festzurrt, in denen sich das Quartett bewegt: Blues, Country, ein bisschen Tango, die Intensität guter Rockmusik. Der Trommler Markus Fürst, gelegentlich hyperaktiv und damit Gegenpol zur Bassistin Salome Buser. Die aussieht, wie eine entsprungene Zirkusartistin, die bei diesen bösen alten Männern Unterschlupf gefunden hat.
Endo Anaconda, der bürgerlich Andreas Flückiger heißt, ist ein selbstschwingender Tanzbär, der um die Vergnügen und Höhenflüge des Lebens weiß, aber auch um die Absurdität es Daseins. Der ein hoffnungsloser Träumer und doch Realist ist, ohne dabei zum Zyniker zu werden. Und wenn, dann zum tendenziell fröhlichen: „früsch tätowierti Pensionäre
grille schwiinshäls, we si fiire. Vollkaskorocker fahre uf der Harley
trotz de duregmechete Bandschybe“. In einem anderen Song kokst sich Pinochhio zu Tode. Solche starken Bilder malen im deutschen Sprachraum allenfalls der Kölner Gerd Köster oder der Wiener Ostbahn Kurti, und es scheint kein Zufall, dass sie alle in einer Sprache singen, die ausserhalb ihres geographischen Umlandes keine Sau versteht, die aber alles drastischer und plastischer klingen lässt.
Stiller Has wurde 1989 von Anaconda „als verspätetes Dada-Schlangenei in die heimische Kulturmagerwiese“ gesetzt, aber keine Angst, da ist nichts Abgehobenes. Zudem macht der Sänger es dem Publikum leicht: fast zu jedem Song liefert er die hochdeutsche Übersetzung auf das musikalische Intro und – oh Wunder – meist glaubt man dann für die kommenden Minuten, Schwyzerdytsch zu verstehen. Es ist aber auch gar zu schön. Etwa da, wo andere lustige Spottliedchen über die schnarchende Partnerin singen würden. Da bemüht der gar nicht so stille Has blutige Bilder. Zu eher gemütlich rumpelnder Musik zählt er nicht Schafe, sondern „metzgert“ sie gleich zuhauf.
Auf der anderen Seite bekennt er „Ich bin eine Romantiker“ und besingt herzzerreissend die Jugendliebe Elisabeth. Die in der Zeit wurzelte, als man noch einen Kaugummi unter die Schulbank klebte und eine Woche später wieder hervorholte. Vor 45 jahren hat er ihr Foto mit dem Kaugummi ins Poesiealbum geklebt und da ist es immer noch, und auch sie „s’gliche fräche Lache, uns gliche Strubblhaar“.
„Toti Sigarette“ ist eine schonungslos ironische Abrechnung mit einer jener speziellen Nächte und man fragt sich unwillkürlich: Hat der Mann das alles so selbst erlebt? Wenn nicht, wie schaft er es, einen in dieses völlig verwüstete Hotelzimmer zu entführen, sodaß man förmllich die Alkoholpfützen riecht, durch kalte Asche watet, die Drogenreste verstecken will und anfängt mitzuzittern vor der Polizei, die auch schon im Raum aufgetaucht ist. Es passt jedenfalls zu einem Mann, der vor zwei Jahren nach einem Aufenthalt in der Intensivstation einer schweizer Zeitung erzählte, er habe dort von Krankenschwestern in schwarzen Strapsen geträumt.