Wie ein guter Film mit einer fantastischen Besetzung….

Am Anfang stand die Idee: Die größten Rockhits aller Zeiten mit einem der weltbesten Orchester, und Rockgrößen, die Geschichte geschrieben haben. Und jeder singt den Titel, den er schon immer mal singen wollte. Oder der großartig zu ihm passt. Oder einen seiner eigenen Songs. Mike Batt hatte sie alle zusammengebracht, so unterschiedliche Leute wie John Farnham, Kim Wilde, Joey Tempest, Status Quo, Roger Daltrey oder Brüllwürfel Lemmy von Motorhead. Und dazu das Royal Philharmonic Orchestra. Das Ergebnis hieß Philharmania Vol.1. Wie das magnum Opus entstanden ist, hat Mike Batt mir bei einem Mittagessen irgendwann 1998 verraten. Ich hatte ihn damals für die WELLE, den privaten Rundfunk interviewt, und es war ein höchst vergnüglicher Termin, bei dem er mir auch einige großartige, sehr englische Witze erzählte – die ich leider vergessen habe. Und über Art Garfunkel (für den er „Bright Eyes“ geschrieben hatte, hat er mir eine schöne Anekdote erzählt: Er war mit Garfunkel zum Essen verabredet, und der erschien dann auch pünktlich, allersdings hatte er einen halben Bart, die andere Hälfte war rasiert. Batt fragte ihn also, was das zu bedeuten habe, und Garfunkel habe geantwortet: Oh, er sei ein bisschen spät drangewesen, und habe auf keinen Fall zu spät kommen wollen zu einer Verabredung mit dem Komponisten seines größten Hits…. Von dem Interview sind damals vielleicht drei, vier Schnipsel gesendet worden. Das Transkript (von dem ich heute nicht mehr wiess, warum ich es angefertigt habe) wurde – auch in Auszügen – nie veröffentlicht. Aber jetzt und hier. Here we go…..

In der ersten Phase der Überlegungen- gab es da eine Liste von Songs mit dazugehörigen Sängern? Oder hattest Du bestimmte Stimmen im Kopf und hast Dir dann passende Songs überlegt?

Ganz allgemein waren die Künstler wichtiger als die Songs. Manchmal liefen die Gespräche so ab: Wir hätten gerne, dass Du einen Song singst, welchen hättest Du denn gerne? Oder soll ich etwas vorschlagen? Oder möchtest Du einen Deiner eigenen Songs singen? Manchmal schauten wir auch die Liste der Songs an, die ich schon zusammengestellt hatte, und wenn sie sich nicht sicher waren, sagte ich: Wie wäre es mit dieser oder jener Nummer? Ich sagte dann beispielsweise zu Roger Daltrey, er solle doch bitte „Pictures of Lilly“ singen. Ach, das habe ich schon gesungen, und ich glaube nicht, dass es besonders gut war, winkte er erstmal ab. Was natürlich völliger Blödsinn ist. Und dann hab ich auf der Liste geschaut und „The Boys of Summer“ (von Don Henley) vorgeschlagen, weil ich diesen Titel immer gerne in einer rockigen Uptempofassung gehört hätte. Und er war begeistert.

Gab es Leute, die Du gerne dabeigehabt hättest, aber nicht kriegen konntest?

Bis zu einem gewissen Grad muß das natürlich geheim bleiben, über solche Dinge reden Musiker nicht gerne. Aber es gab Leute, die sagten, ich würde gerne mitmachen, aber im Augenblick kann ich nicht. Steve Winwood hat sich für nächstes Jahr angeboten.

Und welchen Song hattest Du für Steve Winwood vorgesehen?

Gar keinen, Ich wollte einfach Steve dabeihaben. Weil ich denke, dass er ein fantastischer Sänger ist.

Als ich die CD angehört habe, war natürlich das Aha-Erlebnis, als ich Lemmy „Eve of Destruction“ singen hörte- was eine perfekte Kombination darstellt. Wie hast Du ihn dazu gekriegt, da mitzumachen? Ich kann mir ja vorstellen, dass die Motorhead-Fans nicht so wahnsinnig begeistert sind, ihren Lemmy zarte Songs mit Orchester singen zu hören

Wenn Lemmy den Eindruck hätte, seine Fans würden so denken, dann würde er genau diese Leute nicht für seine richtigen Fans halten, glaube ich jedenfalls. Denn die ganze Moral des Rock’n’Roll ist doch einfach nur, immer das zu tun, was einem gerade Spaß macht. Ob man in einem Eimer Wasser Kopfstand macht oder eben mit einem Sinfonieorchester arbeitet. In diesem Fall, Entschuldigung Lemmy, für „Eve of Destruction“ galt jedenfalls: Zuerst dachte ich an den Song, dann an Lemmy. Ich brauchte jemanden, der ein kleines bißchen außer Kontrolle ist., vielleicht sogar ein bißchen betrunken. Ich kann mir auch kaum jemand anderes vorstellen- vielleicht noch Shane McGowan von den Pogues…  

… aber der ist vielleicht ein bißchen….

….zu betrunken? Das kann schon sein. Also: Ich hatte zweimal in meinem Leben mit Lemmy gesprochen. Das erste Mal, als ich als Arrangeur für eine Platte arbeitete, lange bevor Lemmy bei Hawkwind einstieg…. da war ich etwa 18, es war in den Trident Studios in London, und es war eine absolut lächerliche Pop-Platte, die jemand da aufnahm, und er sollte darauf singen. Und das zweite Mal war 10 Jahre später bei der Weihnachtsparty des New Musical Express, wo ich sehr betrunken war und er sehr, sehr sehr, einfach unfaßbar betrunken. Ich faxte ihm nach Los Angeles, wo er lebt. Es war wohl dort vier Uhr morgens. Ich dachte mir, das wird jetzt ein paar Tage dauern, bis eine Antwort kommt. 10 Minuten später kommt ein Fax in krakeliger Handschrift zurück: „Fantastisch, schön von Dir zu hören. Das Schicksal hat uns zusammengeführt. Lass es uns tun. Wann!?“ Also weiß ich jetzt, dass man Lemmy am besten um vier Uhr morgens per Fax erreicht, weil er da gerade nach Haus kommt.

Welchen Einfluß hatten die Sänger auf die Arrangements? Konnten die sagen. Ich will das Orchester ein bißchen mehr im Hintergrund… wie bei dem Status-Quo-Titel beispielsweise, bei dem das Orchester ja nur eine Statistenrolle spielt .

Also grundsätzlich kann ein Künstler, der mit mir arbeitet, alles sagen. Und ich kann es ignorieren, wenn ich will. Der Titel von Quo ist der ungewöhnlichste, die Ausnahme auf dem Album Ich fragte ihren Manager, ob sie einen Song beisteuern wollten. Er sprach also mit ihnen- mit dem Ergebnis, dass sie so etwas normalerweise nicht machen würden. Nun waren sie aber gerade im Studio gewesen und hatten „Not fade away“ aufgenommen, sie hatten also den Basic-Track schon und boten mir an, den Song zu nehmen, wie er war, das Orchester draufzusetzen und das Ganze zu mischen. Also haben sie mir diesen Track praktisch geschenkt, ohne ihn extra aufzunehmen. Und weil es so ein einfacher Rocksong ist, hielt ich mich zurück, weil ich es sonst möglicherweise verdorben hätte.

Was mir sehr gut gefällt, ist die Version von „Because The Night“ – gesungen von Kim Wilde. Ich wußte garnicht, dass sie eine so ausdrucksstarke Stimme hat. Ich habe sie vorher noch nie so singen gehört.

Das kommt von der Kohlsuppe, die sie zu der Zeit getrunken hat. Sie kam bei mir vorbei, drei Tage nachdem die englische Presse ihr sehr übel mitgespielt hatte. Sie fotografierten sie beim Einkaufen im Supermarkt, und sie war etwas übergewichtig, weil sie gerade ein Baby bekommen hatte. Also hatte sie das Recht, ein bißchen dicklich zu sein. Sie arbeitete nicht, sie nahm keine Songs auf, sie war einfach nur Mutter. Die Presse machte ein großes Ding daraus, und sie war auf Diät und trank nur Kohlsuppe. Aber das war es natürlich nicht, was sie so singen ließ. Jedenfalls: Kim suchte sich „Because the Night“ aus. Ich hatte eigentlich einen anderen Song für sie vorgesehen, aber sie wollte unbedingt diesen singen. Ich hatte meine Bedenken, denn ich dachte, es ist ein sehr einfacher Song, aber er hat diese wunderbare keltische Strophe in einer Art Moll-Tonart – und es klang sehr dramatisch. Deswegen hatte sie recht, diesen Titel zu nehmen.

Ich möchte noch eine Frage stellen, die ich auch schon Art Garfunkel vor Kurzem gestellt habe. Es scheint ja Ähnlichkeiten zwischen Euch zu geben. Ihr habt beide niemals eine agressive Seite in eurer Musik offenbart. Klar, es gibt einige Uptempo-Nummern auf verschiedenen Platten- aber gibt es wirklich keine aggressive Seite von Mike Batt?

Also zu erst einmal: Es gibt eine agressive Seite von Art Garfunkel! Aber ich werde dir darüber nicht mehr erzählen. Er ist ein großartiger Mensch und ein hervorragender Sänger. Und es gibt auch eine aggressive Seite von Mike Batt. Ich benutze sie konstruktiv. Ich denke, wenn Du dir ein Album wie „Schizophrenia“ anhörst, kannst Du sie entdecken. Natürlich sind Songs wie „Lady of the Dawn“ oder „Bright Eyes“ sehr soft. Aber eben auch sehr kraftvoll. Du musst jemandem nicht eine elektische Gitarre auf den Kopf schlagen, um aggressiv zu sein. Jemand hat einmal zu mir gesagt, Garfunkel hätte keinen Schmerz in seiner Stimme. Aber das ist eben seine Art zu singen. Er hat diese klare Stimme und der Schmerz spielt sich hinten im Hals ab. Er ist ein ganz anderer Sänger als ich. Ich wurde natürlich wegen der neuen Single „Bright Eyes“ gefragt, ob ich mich mit Garfunbkel messen wolle. Natürlich nicht, habe ich geantwortet, niemand kann sich mit Garfunkel messen, denn er ist wie er ist. Und all die anderen Coverversionen auf „Philharmania“ versuchen auch nicht, beser zu sein als die Originale. Es sind einfach nur meine Interpretationen. Sie sind enfach anders.

Wie stehen eigentlich die Chancen, die neuen Songs, wenigstens ausschnittsweise, einmal live zu sehen?

Ich würde schon gerene eine Live-Tour mit diesem Konzept machen. Dabei stellt sich allerdings eine Frage: Was erwartet das Publikum? Erwartet es, vierzehn Stars nebeneinander auf der Bühne aufgereiht, und jeder von ihnen gibt einen Song aus dem Album zum Besten? Ich hoffe nicht, denn sonst müssten wir alle Bankrott anmelden. Naja, die anderen vielleicht nicht, aber ich…. denn ich muss sie ja bezahlen. Ich denke, „Philharmania“ ist ein Konzept, das auch mit „nur“ drei Stars und einigen anderen Musikern gut funktionieren könnte. Es könnte auch ein Konzert sein, zu dem du die ganze Familie mitnehmen kannst….

Im Bezug auf das finanzielle Risiko hatten ja Peter Maffay und Fritz Rau ähnliche Befürchtungen, als sie das Tabaluga-Märchen auf die Bühne brachten.

Immer wenn Du etwas Neues oder sehr Ehrgeiziges wagst in diesem Business, hat es auch etwas Beängstigendes. Du gehst Risiken ein, und du weißt, dass du tief fallen wirst, falls Du keinen Erfolg hast. Peter Maffay hat mich nach Hamburg zu seiner Tabaluga-Show eingeladen. Es war fantastisch, und ich wünschte mir, meine Kinder hätten dabeisein können. Tabaluga ist aber nicht nur deshalb so erfolgreich, weil es die ganze Familie anspricht, sondern weil es eine hohe Qualität hat. Und die Leute wissen einfach, wenn sie zu einem Maffay Konzert gehen, dass sie etwas für ihr Geld geboten bekommen. So etwas läuft nicht nur über Marketing, das muß einfach eine gewisse Qualität haben. Und dann gehen die Leute auch wieder hin, weil es das letzte Mal gut war..

Letzte Frage zum aktuellen Stand der Dinge: Das hier ist „Philharmania Vol.1“. So steht es auf dem CD-Cover. Also wird es mit Sicherheit einen zweiten Teil geben??

Jemand hat mich gefragt, während ich mit den Aufnahmen noch beschäftigt war, ob es einen zweiten Teil geben wird. Das ist gerade so, als wenn man eine Frau während der Wehen fragt, ob sie noch ein weiteres Kind haben möchte. Sie wird antworten: lass uns doch erstmal sehen, wie es mit diesem hier läuft. Aber natürlich, der meiste Schmerz ist schon wieder vergessen, und ich werde sicher noch einen zweiten Teil machen, deshalb steht ja auch Vol. 1 au der CD.

Hast Du schon mal daran gedacht, nur mit Gitarre oder Klavier aufzunehmen? Deine eigenen Songs würden sich ja auch für eine so intime Bearbeitung hervorragend eigenen?

Ich habe mit dem Gedanken gespielt- allerdings nur mit Klavier und Gesang, denn ich liebe es, zum Klavier zu singen. Ich bin gerade dabei, ein Album aufzunehmen, das auf diesem Konzept basiert. Und natürlich mit einem Sinfonieorchester. Es wird „Bright Eyes “ heißen, darauf werden nur Songs sein, die ich ursprünglich für andere Leute geschrieben habe. Mit dem Unterschied, dass ich diesmal selbst singen und mich auf dem Klavier dazu begleiten werde. Da wird u.a. „Caravan Song“, „A Winter’s Tale“ und „I feel like Buddy Holly“ drauf sein. Und ich werde das Album promoten, indem ich Konzerte geben werde, bei denen ich nur Klavier spiele und singe, vielleicht noch begleitet von einem Streichquartett. Live spielen ist etwas, was ich sehr gerne mache.

Frustriert es Dich eigentlich manchmal, dass andere Stars mit den Songs, die Du für Sie geschrieben hast, große Erfiolge feiern, und Du im Hintergrund stehst. Gerade jüngere Leute, auch meine Kollegen hier, kennen ja nicht mal Deinen Namen!

Man gewöhnt sich daran. Du verstehst, dass Du nur der Hersteller der Munition bist und nicht der Soldat. Ich habe verschiedene Identitäten: Meine Identität als Songschreiber habe ich akzeptiert, und die spielt sich nun mal nicht in der ersten Reihe ab. Aber ich mag es eben auch, live zu spielen. Wenn andere in England meine Songs spielen- ob es nun David Essex, Art Garfunkel oder Cliff Richard ist, dann sagen sie auch vorher immer, wer den Song geschrieben hat. Also bin ich nicht unglücklich darüber. Im Gegenteil.