Ein Hochamt des Classic Rock

Birth Control, Jubez, Karlsruhe, 27.5.2022

Da freut sich eine Band wirklich, endlich auf der Bühne des Jubez zu stehen. Eigentlich hätte das Konzert am 14. März 2020 stattfinden sollen – jenem Tag, von dem an wegen Corona nichts mehr ging. Die deutsche Rockinstitution, die vor 56 Jahren gegründet wurde und seither zahlreiche Stil- und Besetzungswechsel erlebt hat, ist vom ersten Moment auf Betriebstemperatur.

Der bewährte Live-Klassiker „The Work Is Done“, der schon das Live-Album 1974 eröffnete, lässt mit seiner sämigen Gitarre/Orgel-Verzahnung den Frühsiebziger-Sound der Band leuchten. Gitarrist Martin Ettrich – der sich im Laufe des Konzerts immer wieder schier schwindlig spielt – und Keyboarder Sascha Kuhn erweisen sich mit ihrem warmen Sound als würdige Verwalter des Erbes ihrer Vorgänger.

Sänger Peter Föller bringt mit Soul in der Stimme eine andere Klangfarbe ein als der 2014 verstorbene singende Schlagzeuger Bernd „Nossi“ Noske. Föllers buntes Hippie-Onkel-Outfit und seine Bühnenpersönlichkeit stehen optisch dafür, was die Band musikalisch bietet: Tief verwurzelt in der Improvisationslust der 70er-Jahre – auf der einen Seite. Auf der anderen steht das bis ins Detail durcharrangierte, vertrackte „Plastic People“ aus der Progressive-Rock Phase der Band mit seinem Hang zu disharmonischer Melodieführung, hier mit hochkonzentrierter Lässigkeit und dennoch höchstem Druck auf dem Kessel gespielt.   

Sascha Kuhns perlende Rhythmus- Orgel in „Right Place Wrong Timeist ein ebenso wärmendes Detail wie Martin Ettrichs Talk-Box– überflutetes Gitarrensolo in „Titanic“. Die besondere Kunst der beiden liegt aber auch darin, sich immer wieder dezent zurücknehmen zu können und damit den mit Noten vollgestellten Songs Luft zum Atmen zu geben.

Die Band, die ihre Konzertreihe gerade begonnen hat, agiert so geschlossen wie ein Einheit, die bereits monatelang tourt. Was auch der Rhythmusabteilung geschuldet ist. Manni Von Bohr schiebt die Musik mit technischer Finesse voran. Gespielt auf einem Drumset, für das er sicher einen Stadtplan braucht und das er auch mit einem hochkomplexen Solo bereist. Wüsste man nicht, dass Bassist Tim Rashid kurzfristig und ungeprobt (!) für den verhinderten Hannes Vesper eingesprungen ist – niemand würde es ahnen.

Es ist eine Achterbahnfahrt, dieser Ritt durch die Bandgeschichte. Doch es ist diese gelassene Abgeklärtheit, basierend auf erstklassigem Handwerk plus der hör- und sichtbaren Freude, alles das in einem Konzert unterbringen zu können, die die unterschiedlichen Stilistiken zu einer überzeugenden Einheit formt. Dass das Konzert mit „Gamma Ray“ aus dem Jahr 1972 endet, das Jahrzehnte lang in jeder Rock-Disco Tanzbefehl war, versteht sich von selbst. Dass die ultralange Version gespielt wird – von Peter Föller als „Bewegungstherapie“ angesagt, ebenso.