Notiz: Dieser Artikel entstand mit einer ziemlich aufwändigen Recherche für das Magazin des SWR im Jahr 2004. Die Zeischrift gibt es leider nicht mehr, vielleicht ein Symptom dafür, dass der von mir hoch geschätzte Öffentlich-Rechtliche Rundfunk immer mal wieder an der falschen Stelle spart. Jedenfalls gab mir die gelegentliche Arbeit für diesen Auftraggeber die Möglichkeit, hinter die Kulissen interessanter Veranstaltungen zu blicken. Und da ich kein Bluesexperte bin, habe ich in diesem Fall auch noch einiges über diese Musik erfahren. Als Titelbild habe ich Joy Fleming gewählt, weil sie eine der ersten war, die beim Lahnsteiner Bluesfestival auf der Bühne standen. Und im übrigen habe ich den Artikel mit Fotos von Künstlern bebildert, die dort irgendwann mal aufgetreten sind. Die Fotos stammen – da aus meinem Archiv – aber nicht aus Lahnstein. So…. here we go.
Lahnstein Blues
Das „Blues Mecca Of The World“ hat Siegfried Schmidt-Joos Lahnstein genannt. Er muss es wissen, ist er doch immerhin der Urheber des Standardwerkes über populäre Musik: Des immer wieder aufgelegten „Rock-lexikons“. Draußen Kleinstadt mit 20.000 Einwohnern, Burgenromantik, Kopfsteinpflaster, rheinisches Schiefergebirge. Drinnen in der Stadthalle: Sehr gelb, sehr rot, sehr lila, sehr Seventies, der Teppichboden, man muss ihn gesehen haben. Menschen strömen herein in diese Stadthalle. Eine architektonische Zeitreise. Im Foyer stehen sie in Gruppen und diskutieren über das gerade Gehörte. Bier trinkt man hier aus Flaschen. Der Blues aber ist zeitlos.
„Wir im Lahnstein pflegen kein Bluesmuseum, sondern wir machen das, was am Anfang des dritten Jahrtausends gespielt wird“, sagt Christian Pfarr, der Projektleiter des Festivals. Bilder aus dem vergangenen Jahr: Man sitzt auf Stühlen. Todor Todorovic von der Blues Company fragt: „Habt Ihr Lust auf Party?“. Körper beginnen zu wippen. Stunden später erklärt Phil Guy den Menschen, dass Blues sexy ist, und da stehen sie dann wirklich auf den Stühlen. Der Teppichboden ist weit weg, aber die 1500 Leute sind ganz nah dran, keiner weiter von der Bühne weg als 15 Meter. „SWF-Blues-Festival: Querschnitt durch die Blues-Szene in der Bundesrepublik u.a. mit Inga Rumpf, Vince Weber und Joy Fleming Lahnstein, Stadthalle, 19 Uhr“ vermerkte die Pressemitteilung 1981 trocken. Joy Fleming weiß fast 23 Jahre später nicht mehr, ob sie auf den Stühlen standen, damals „Wenn ich einen Blues singe, sehe ich niemanden, der da unten steht.“. Es war die Premiere dieses Bluesfestivals, das 2004 seine 24. Auflage erlebt. Namen aus über zwei Jahrzehnten: Katie Webster, Hans Theessink, Taj Mahal, Phil Guy oder Mick Taylor. Nationale Größen wie Inga Rumpf oder Das Dritte Ohr, Blues-Urgesteine wie Grenzgänger. „Die haben uns machen lassen“, erzählt Tom Schroeder, der Mann der ersten Stunde und ein gut beschriebenes Blatt in Sachen Musik. . Schroeder war 1968 Mitinitiator der „Essener Songtage“, mit Freunden hat er 1975 das Mainzer Open Ohr Festival aus der Taufe gehoben. Ein anerkannter Experte in Sachen Song, Chanson, Jazz, Folk und Blues. Schroeder hat 2000 Radiosendungen gemacht bis zum Ruhestand im vergangenen Jahr. Seine „Selbsthilfegruppe Blues“ empfand Lahnstein damals als „aufwachende und aufgeweckte Stadt“ und fand „ein vorgewärmtes Klima, weil der Jazzclub Koblenz von einem Lahnsteiner gemacht wurde: Hans Rossbach“. Die „Selbsthilfegruppe Blues“ wusste genau, was sie abbilden wollte: „Der Blues ist ein Produkt aus Tradition und Innovation, international und durchaus bis ins regional“, sagt Tom Schroeder. Ein Blick auf das Angebot des 24. Bluesfestivals am 2. Oktober zeigt, dass der rote Faden nicht verloren gegangen ist. „Zum, einen versuchen wir die aktuelle schwarzamerikanische Szene zu repräsentieren. Mit einem Act, der derzeit bei Insidern eine besondere Aufmerksamkeit bekommt“, sagt Christian Pfarr. Das ist in der 2004 Auflage Michael Burks. „Wie ein Güterzug, der durch die Nacht rollt, pflügt Burks durch den Blues“, so steht es auf seiner Homepage, und die Musik bestätigt ausnahmsweise die Werbung. Souliger Elektroblues direkt aus der Stromquelle. Burks ist Ende 40, in einer Zeit aufgewachsen, in der Classic Rock angesagt war. Das hört man, nicht nur bei ihm: „So wie heute Blues klingt, bedient er die Erwartungshaltung der Leute, die Anfang der 70er Jahre Rock gehört haben. Damals war das Mainstream, der Classic Rock. Das ist nicht rational, das spüren die Leute, einfach“, erklärt Christian Pfarr.
Das zweite Standbein schlägt eine Brücke vom Pop-Ruhm zur Blueswurzel. Keine ganz leichte Aufgabe, denn mit dem Aufkommen der New Wave just Anfang der 80er Jahre hat der Pop seine Blueswurzeln gekappt. Also ist es vielleicht typisch, dass mit George Fame in diesem Jahr einer auf dieser Startposition sitzt, der seine Pophits wie „Bonnie and Clyde“ vor weit über 30 Jahren produzierte. Auf der Hammond spielt er seine ganz eigene relaxte Blues-Variante, die sehr pastellfarben klingt: Blues, Swing und Funk zwischen jazzig Hingetupftem und Reggae-Feeling. Fehlt noch Zutat Nummer drei zum Blues Brew: Ein Projekt, das speziell für Lahnstein zusammengestellt wird. Diesmal ist es der gleichermaßen an den Ufern des Missisippi wie der Isar bewanderte Christian Willisohn. Seine 8-köpfige Rhythm’n’Blues Band verschmilzt Hammond Hitze, Gospel Glorie und Ragtime Riffs. „Southern Spirit“ heisst die Band und sollte der Garantierschein für amtlicher Südstaaten-Groove sein. „Blue Wave“ ist das diesjährige Motto. „Ein Wortspiel“, sagt Christian Pfarr. Wer genau hinhört, vernimmt das hintergründige Selbstbewusstsein des Mottos. „Einerseits ist das Mittelrheintal Teil der Unesco-Weltkulturerbekampagne. Und es gibt eine kleine Blueswelle durch Wenders und Scorsese. Vielleicht sollten sich alle Blueser schon mal einen Mittelklasse-BMW bestellen?“ Die Themen, sagt Pfarr, waren schon immer weitgefasstes Motto. Tradition. Wie die Auswahl der Künstler: „Eine gewisse Exclusivität“ sollte es schon sein. Nicht der Zufall oder die gerade aktuellen Tourpläne diktieren das Programm. Zumindest nicht als „Einkaufsargument“. „Bei Taj Mahal fragen wir natürlich, kommt der im nächsten Jahr, könnt ihr es so legen, dass es in den Tourplan passt. Wir können auch nicht jedem den Flug zahlen“, erinnert sich Schroeder. „Die Platte an sich genügt nicht, das ist ein schöner Anhaltspunkt“, sagt Christian Pfarr. „Man braucht ein Netzwerk an Leuten, auf die man sich verlassen kann“. Die die Künstler live anschauen. Leute wie Elfi Schleindl und Klaus Kilian. Elfi Schleindl ist die Toningenieurin des Festivals kommt überall rum und hört alles. Vor allem einen guten Blues-Performer. Klaus Kilian zählt auch zu diesen „Gewährsleuten“. Sein Wort gilt bei den Machern. „Der hat Sharrie Williams zuerst gesehen, der weiß dass ich auf Janis Joplin, auf expressive Shouter stehe“, sagt Tom Sshroeder. Tom Schroeder hat Taj Mahal gekriegt, im Jahr 2000. Einer von vielen großen Momenten in der Festivalgeschichte: „der hat eine umwerfende Wirkung als eigenständige Persönlichkeit, da wird man ehrfürchtig. Und Bill Ramsey hat unbegleitet ‚Sometimes I feel like a motherless child gesungen. Das sind Sachen, da steht auf einmal irgendwas im Raum steht, das man so nicht planen kann“, schwärmt Christian Pfarr. Internationale Stars, die deutsche Szene, Grenzgänger und auch das „Drumrum“ in Person des Moderators: alles drin in Tom Schroeders persönlicher Favoritenliste: Zu der neben Taj Mahal Inga Rumpf zählt. Thomas C. Breuer, Kabarettist, Bluesfreund und Blueshasser, der mit Ironie und Selbstironie die Moderation macht. Der vierte, der ihm wichtig ist: Arnim Töpel. Der Kleinkunstpreisträger des Mainzer Unterhauses sitzt am Klavier und lässt die eiserne Herrschaft von bösen Frauen und blauen Montagen im Blues vergessen. Ein durchaus funktionstüchtiger Bluespianoist, der die Zeitgenossen, die sich dieser „antiquierten Musikrichtung“ verschrieben haben, selbstironisch als verschroben und fortschrittsfeindlich beschreibt.
„Sie ziehen ein gepflegtes Selbstgespräch jedem Internet Chat vor“. Kein Wunder, wenn so einer eine Platte „Blues nach Vorschrift“ nennt. Blues-Puristen gibt es noch, sagt Christian Pfarr. Als Auslaufmodelle. „Das sind ähnliche Leute wie die, die in den 50er Jahren in schwarzen Rollkragenpullovern Miles Davis gehört haben, und ab den 70er Jahren nicht mehr.“ Das Pflichtenheft des Bluesers alter Schule liest sich so: strikte Orientierung am zwölftaktigen, Reduktion auf einfache Shuffle-Rhythmen, erkennbare Verbindung zum Country-Blues der Plantagenzeit. Keine verzerrten Gitarren, keine brüllenden Orgeln, no way. Jeder zieht seine Grenzen woanders: „Mir hat mal ein Freund gesagt: Taj Mahal, des is’ kei’ Blues mehr’, berichtet Tom Schroeder. Damit muss er und seine Nachfolger leben.
„Gewagte Programmzusammenstellung“ wurde den Lahnsteinern schon mal attestiert. Werner Lämmerhirt auf einem Bluesfestival? Schroeder erinnert sich: „Der hat selbst in seiner Ansage gesagt: ‚Der Tom hat mich gefragt ob ich auch ‚nen Blues spielen kann’.“ Eine Grenzsituationen nennt auch das Motto von 1988 „Harp and Harp“. Ein paar „richtige“ Bluesharp-Spieler ‚gegen’ Rüdiger Oppermann, den Mann mit der „richtigen“ Harfe. Der er auch blue notes entlockte. Dahinter steckt übrigens kein pädagogisches Konzept. „Man möchte etwas mit Freunden teilen. Wie einen guten Wein oder einen tollen Sonnenuntergang“, erklärt es Tom Schroeder. Was man gehört hat, diskutiert man beim Après Blues. Da saßen und sitzen Organisatoren, Musiker, Stammpublikum – von den Mainzer Blues-Profs bis zu musikinteressierten Politikern die ganze Nacht bei Wein oder Wasser, bei Bier oder Cola zusammen. „Scharping war die ersten Jahre immer da, seine Exfrau Jutta kommt immer noch“, erzählt Schroeder. Bei ihr trifft man sich auch im kleinen Kreis am Sonntag nach dem Festival zu Kaffee und Kuchen.
Vielleicht steht dann dieses Jahr der Blues Louis auf dem Tisch, die kleine Louis Armstrong Statuette, die Tom Schroeder für seine Verdienste um die heimische Musikszene überreicht bekommt. An einem anderen Tiusch sitzen dann vielleicht ein paar Spaßvögel, die der folgenden Rechnung von 2003 ein paar neue Zahlen hinzufügen können: Lahnstein in Zahlen: Mehr als 150 Bands und Solisten, 25.000 Zuhörer, 400 Radiostunden plus 5 CDs, vier davon mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik aus gezeichnet. Getrunken und gegessen 20.096 Liter Bier, 16,242 Tassen Kaffee, 7.489 Bockwürste, 9.012 Gummibärchen. Zerdeppert: 182 Gitarrensaiten, 106 Trommelstäcke, 12 Trommelfelle. Sonstige Verluste: 2 PCs, 1 Laptop, 2 Digitalkameras, 1 Mercedes T, 1 Kleinbus. Noch eine letzte Frage an Christian Pfarr – Thema: Ideelle Verluste. Gibt es da jemanden, den man unbedingt in Lahnstein auf der Bühne sehen möchte, der aber einfach nicht zu kriegen ist`? „Eigentlich nein“, kommt die Antwort nach einigem Überlegen. „Gut, Ike Turner oder Allan Toussaint wären nicht schlecht. Aber man hat nicht umsonst gelebt, wenn es nicht klappt“: