Dies Enge in der Brust

Anne Chaplet las aus „Russisch Blut“. Bücherschau, Buchcafé im Regierungspräsidium, 23.11.2004.

„Der Krimi ist, wenn er gelingt, auch ein Gesellschaftsroman“, sagt Anne Chaplet und rennt bei ihrer (überwiegend weiblichen) Zuhörerschaft offene Türen ein. Eigentlich will sie sich bei ihren Lesungen ums Lesen drücken, bekennt sie. Darum bricht sie zunächst eine Lanze für ihr Genre. Es gebe mittlerweile auch in Deutschland eine Entwicklung zu einer Kriminalliteratur, die weit über „heitere Frauenkrimis“ hinausgehe. Und: „Ich glaube auch nicht an den Jungs-Krimi, in dem ein Hubschrauber nach dem anderen explodiert“.

Im Gegenteil. Bei Anne Chaplet explodiert überhaupt nichts. Sie glaubt an die Entwicklung einer Geschichte im Mikrokosmos eines verschlafenen Nestes wie Klein-Roda. Dort kann man als Autor einen Stein fallen lassen, und dann auf das Echo hören. Sie entwickelt ihre Dorfbewohner, lange, langwierig. „In diesem Moment beweisen sie sich, oder sie zeigen ihr wahres Gesicht“. Der Roman „Schneesterben“ kreist zunächst um den Klatsch der Dörfler, der in Mutmaßungen über den Tod eines Jungen auf dem OP-Tisch kulminiert. Gleichwohl detailliert, bleiben die Beschreibungen der Sorgen und Nöte der Protagonisten merkwürdig distanziert. Der Zuhörer erfährt etwas, aber ob er etwas spürt, riecht, schmeckt, von dieser (nicht ganz klischeefreien) dörflichen Enge? Die pointierte Dramatik, mit der Chaplet liest, hilft der Spannung nur ansatzweise auf die Sprünge. Selbstredend endet der Vortrag da, wo es spannend wird, bevor die „entscheidende Leiche“ gefunden wird.. So machen das Krimiautoren, das Publikum weiß das, aber der Büchertisch ist ja nahe. In ihrem aktuellen Roman „Russisch Blut“ verknüpft sie die Lebensgeschichten zweier Frauen und die Geschichten zweier Kriege: Die eine, Mathilde, ist Anfang 1945 auf der Flucht aus Ostpreußen, die andere Kathalina, ist aus dem jugoslawischen Krieg geflüchtet und gerade im Begriff, eine verlotterte Tierarztpraxis im Ostharz zu übernehmen. „Ich wollte über ein Schloss schreiben, und ich wollte über Adlige schreiben“, bekennt Anne Chaplet. Schloß Blanckenburg also. Deutsche Geschichte und deutsches Drama bündele sich dort, sagt sie, und in der Tat. Alles in diesem Buch ist von schicksalsträchtigem Raunen unterlegt. Voller Andeutungen, voller Symbolik und voll schwer lastender Sprache. Da werden Kühe mit Tränen in den Augen losgebunden, da spürt Mathilde „die Unruhe des Pferdes wie ein Echo der eigenen Angst vor dem unbekannten Verhängnis“. Tief durchatmen, jetzt. „Sie spürte ihre Brust eng werden.“ Kathalina wird es sechzig Jahre später oft ähnlich ergehen. Das Dorf ist eng, die Brust ist eng, und irgendwann gibt es eine Leiche, die in der Enge des Stalles zu engen Kontakt mit einem Gaul aufgenommen hatte. Gibt es einen Schatz auf Schloss Blanckenburg? Welche Rolle spielt der alte Graf, dessen Rückkehr von den neuen Besitzern des Schlosses so ungeschickt verborgen wird? Fragen, die die Tierärztin umtreiben. Man kann sich das ganz gut als einen dieser „Tatort“ –Krimis mit dräuenden Wolken über zerzauster Landschaft in matten Graugrün-Tönen vorstellen, ohne Kommissar eben. Nicht alle Zuhörer wissen, dass Anne Chaplet das Pseudonym und Alter Ego der Sachbuchautorin und Journalistin Cora Stephan ist. Das zumindest klärt sie im Buchcafè auf. Die Antwort auf die Frage, ob sie jetzt endgültig zur Krimiautorin konvertiert sei, fällt ambivalent aus: „Never say never.“ Aber momentan sei der Kriminalroman bis auf weiteres das Zentrum ihres Schaffens.