Das Chamäleon. Phil Collins schaut zurück

Am 29. Januar 2016, einen Tag vor Phil Collins 65. Geburtstag, wurde mir eine telefonische Audienz bei einem meiner absoluten Favoriten auf dem Schlagzeughocker gewährt. 25 Minuten hatte man mühsam heraus gehandelt, ich hatte dann im Endeffekt inklusive Warteschleife und Gedrängel weiterer Interviewpartner effektiv 18 Minuten. Der Anlass war natürlich die damals anstehende Wiederveröffentlichung seiner Solo-Alben, aber ich konnte dann doch noch ein einige der Fragen unterbringen, die mich noch mehr interessierten. Also quasi neun Minuten für die entscheidenden Dinge des Lebens! Hartes Schicksal, aber ein bisschen was kam dabei doch rum, was Ihr hier im Wortlaut gerne nochmal nachlesen könnt. Here we go…..

Ich habe Fragen für vier Wochen und wir haben nur ein paar Minuten….

Phil lacht….

Ich versuche mir einen Fan vorzustellen, der auf Phil Collins, den Progrock-Drummer steht, auf Phil Collins den Popstar, den Schauspieler, den Produzenten…Wäre dir so jemand unheimlich?

Na, es war ein sehr aufregendes Leben, gerade weil ich so unterschiedliche Dinge gemacht habe. Schauspielerei, Genesis oder ich als ich. Dann die Big Band – es war so, dass eines mich sozusagen frisch gehalten hat für das andere, gerade weil es so verschieden war. Ich bin ziemlich glücklich, in alle diese Rollen geschlüpft zu sein.

Nun hast Du deine Soloalben wieder aufgelegt. Die Covers zeigen allerdings nicht den jüngeren, sondern den älteren Phil Collins. Welche Idee steckt dahinter?

Der eine Grund war, dass ich den Leuten zeigen wollte, dass ich wirklich in dieses Projekt involviert war, dass mein Fingerabdruck drinsteckt. Es war ja nicht nur eine normale Wiederveröffentlichungsgeschichte, bei der mal einfach nochmal das Ding neu verpackt. Ich wollte, dass die Leute wissen, dass ich voll dahinterstehe. Und dann kommt noch dazu: ich glaube immer noch an die Musik. Ich habe gerade mit einem Journalisten gesprochen, der war ganz ehrlich und meinte, „Dance Into light“ wäre ja wohl nicht mein bestes Album. Ich stimmte ihm da zu. Aber man kann nicht einfach ein Album weglassen, weil man es nicht so gut fand. Darum gibt es das ganze Paket, und ich hoffe, dass die Leute es wiederentdecken, oder zum ersten Mal entdecken. Denn es ist lange her, dass diese Platten zum ersten Mal veröffentlicht wurden. Jeder kennt „In The Air Tonight“, jeder kennt „Sussudio“, aber es gibt eine Unmenge Material, das es sich zu entdecken lohnt.

Hast Du irgendwelche Schätze entdeckt, die du vielleicht sogar selbst vergessen hattest?

Ich habe ja mich immer mit den Platten beschäftigt, wenn wir auf Tour gegangen sind. Ich kannte also das Material. Aber wenn ich mir die Sachen wieder anhörte, bestätigten sie meist meinen Glauben- etwa daran, dass „Both Sides“ meine Lieblingsplatte ist. Oder: heute früh auf dem Weg zum Sender hörte ich „In The Air Tonight“ zum ersten Mal nach längerer Zeit wieder, und war doch überrascht, wie zeitgemäß es klang. Es klang wie eine neue Platte, nicht wie etwas, das 35 Jahre alt ist. Das ist eine lange Zeit, und es klingt immer noch gut. Ich bin nicht stolz auf alles, was ich gemacht habe, aber ich bin stolz auf das meiste.

Warum hast du die Alben nicht remixen lassen? Das würde sich doch bei einer solchen Retrospektive anbieten?

Wir haben tatsächlich Pharell Williams gefragt, ob er das „Face Value“ Album remixen wollte. Aber er meinte: Warum sollte ich das tun wollen? Also, es kommt immer darauf an, wie tief man in so etwas einsteigen möchte. Wen du mal damit anfängst, dann denkst du plötzlich: Dieser Gitarrenpart könnte besser sein, oder: Vielleicht sollte ich diese Melodie nochmal neu singen, weil ich das jetzt besser kann, oder ich sollte am Text was verbessern. Oder sollte man nicht noch jemanden dazu holen, der das macht? Ich meine, wo hört das denn auf?

Ja ja, Steven Wilson hat mir mal erzählt, Ian Anderson wollte alle Saxofonspuren von Jethro Tulls „Passion Play“ löschen.

Phil lacht laut.

Du hast ja in Interviews immer gesagt, als du bei Genesis den Sängerposten übernommen hast, dass Du eigentlich Schlagzeug spielen wolltest, und nicht Sänger sein. Ich habe mal vor 20 Jahren mit Mike Rutherford geredet, und der erzählte mir: Wir haben nie so ganz die Texte verstanden, die Peter geschrieben hat.

… Ja, speziell von „The Lamb Lies Down On Broadway“.   

Was ich eigentlich fragen wollte: Wie war das, als du zum ersten Mal vor einem Publikum „Supper‘s Ready“ gesungen hast. Ohne dies ganzen theatralischen Elemente, mit Peters Text und diesem langen, langen Stück?

Bei der ersten Show spielten wir „Supper‘s Ready“ gar nicht. Das war in London, Ontario in Kanada, als ich zum ersten Mal alleine vorne stand und sang, nicht hinterm Schlagzeug sass. Das war ziemlich nervenaufreibend, aber ich habe mich relativ bald an den Gedanken gewöhnt. Weisst Du, eine Band klingt von hinterm Schlagzeug sehr anders als vorm Schlagzeug. Daran musste ich mich gewöhnen. Aber zu Supper‘s Ready: ich habe es tatsächlich genossen, das zu singen, das hat einige grossartige Teile. Und für die „Apocalypse in 9/8“ konnte ich mich ja wieder ans Schlagzeug setzten und mitspielen. Und es ist ein wahrer Genuss, den ganzen Schlussteil zu singen. Manchmal haben wir halt die Texte nicht verstanden, aber da mussten wir eben durch (lacht).

Deine Art, Schlagzeug zu spielen, hat sich ja im Lauf deiner Karriere sehr verändert. Mir fiel das besonders zwischen „Selling England By The Pound“ und „The Lamb Lies Down On Broadway“ auf. Letzteres war für mich etwas Revolutionäres. Ich weiss nicht, wie ich es sagen sollte, du hast das Drumset mehr ausgereizt, da war eine größere Tiefe und Breite in der Musik, trotzdem war es noch sehr differenziert und filigran….

Oh, das ist sehr freundlich, danke. Erst mal, denke ich, „The Lamb Lies Down On Broadway“ war das erste Album, das wir nicht in einem Studio aufnahmen – das machte schon einmal einen großen Unterschied aus. Denn wir spielten im Studio nie wirklich besonders gut. Da war immer so eine nervliche Anspannung. Man darf keine Zeit verschwenden, weil es Geld kostet. „The Lamb“ haben wir in einer Farm in Wales aufgenommen, und wir waren ziemlich entspannt. Ich kaufte mir einige zusätzliche Trommeln, ich hatte vier Timbales auf der rechten Seite und baute das ein, dann hatte ich noch ein Percusssion Rack. Das war ein bisschen erfinderisch, und machte auch auf der Bühne beim Spielen sehr viel Spaß. Und davon hat sich auch einiges auf die Aufnahme übertragen, vielleicht zum ersten Mal.

Peter Gabriel hat mal gesagt: In gewisser Weise ist Phil eher ein natürlicher Sänger als ich. Was könnte er damit gemeint haben? Empfindest Du das auch so?

Ich nehme an, das hat er schon vor längerer Zeit gesagt. Aber ja, da ist was dran. Weisst Du, er muss dafür was tun, dran arbeiten. Also aus der Sicht des Bühnenkünstlers war ich vielleicht natürlicher als Pete – wegen meiner Erziehung. Die war viel leichter, viel entspannter als das Public School Ding, das Peter hatte.

Die Texte der Songs, die Genesis zu Beginn gespielt hat, haben sich nie um persönliche Dinge gedreht. Es nie um Liebe oder Beziehungen. Auch dann noch als, als Du der Sänger warst – zumindest zu Beginn: „Squonk“ oder „Robbery, Assault And Battery“ ist was ganz anderes als „Against All Odds“. Waren die ersten Sachen der Vorstellung geschuldet, dass man sich nicht zu weit von dem entfernen sollte, was Peter gemacht hat, oder war das ganz einfach so … natürlich?

Das war ganz natürlich,… also wir haben nie allzu viel überlegt oder über irgendwas nachgedacht (lacht). Es gab keinen Plan. Was immer entstanden ist – vorausgesetzt es war gut – war für uns in Ordnung. Wenn wir etwas hatten, an das wir nicht glaubten, bekam es nie jemand zu hören. Also „Follow You, Follow Me“, war der erste Lovesong, den ich gesungen habe. Aber den habe ja nicht ich geschrieben, das war ja Mike Rutherford. Wir habe uns langsam der Idee geöffnet, solche Gefühle in der Musik, in den Texten zuzulassen. Jetzt, da ich das gesagt habe, ist doch einer meiner absoluten Lieblingsmomente „Driving The Last Spike“ und der Text….

Genau nach dem Song wollte ich jetzt fragen. In der späten Phase deiner Karriere haben manche Leute kritisiert, dass Phil Collins-Alben wie Genesis klängen und umgekehrt. Das stimmt natürlich nicht, weil eben gerade ein Song wie „Driving The Last Spike“ auf einem Phil Collins-Album so sicher nicht stattgefunden hätte. Ich fürchte ja, niemand ausser mir kennt diesen Song…

— ich denke, das ist ein Beispiel dafür, wenn ich mal keinen Love-Song schreibe. Und darauf war ich sehr stolz.

Das ist eben eine Story über echte Menschen, kein Märchen…

Ganz genau. Ein realistisches Szenario.

Meinst Du, Genesis hätte nicht diese berühmte Pop-Rock-Supergroup werden können, wenn Steve Hackett dabei geblieben wäre? Oder ist das ein hypothetische Frage?

Du fragst mich was und gibst dir selbst die Antwort…. (lacht). Ich weiss es wirklich nicht. Das ist so schwer zu beantworten. Ich bin sicher, wir hätten anders geklungen, wenn er dabei geblieben wäre. Ich weiss auch nicht, wie Steve heute darüber denkt, dass er damals gegangen ist. Ob er vielleicht denkt, dass er doch besser geblieben wäre… ich denke, dass er sicher gern gefragt worden wäre, ob er an der Reunion-Tour teilnehmen will. Es ging ja darum: Entweder wir drei oder wir fünf….

Und jetzt noch die unvermeidliche Frage nach der Reunion zu fünft mit Peter Gabriel…

Nein, die wird es nicht geben. Ich könnte jetzt um den heissen Brei herumreden und dir was erzählen, aber klipp und klar: ich sehe das nicht….

Du hast Mitte der 70er Jahre mal ganz andere Dinge gemacht mit Brand X, das war schon Jazzrock – aber eben nicht dieser hochglanzpolierte. War das aus dem Gefühl heraus: so, jetzt mach ich mal was ganz anderes, als die Leute von mir kennen?

Nein, nein, das hat sich einfach so entwickelt…. Als ich in die Band kam, war das eine Art Soulband, und nach und nach stiegen Leute aus, und wir blieben übrig, und ja: es war seltsame Musik. Manche Sachen waren seltsamer als andere. Es war bizarrer Rock. Oh, ich kriege gerade ein Zeichen, wir müssen jetzt aufhören….

Okay, ich hoffe, nicht zu viele blöde Fragen gestellt zu haben!

Nein, nein. Es ist gut, mal Fragen aus der Perspektive eines Drummers zu hören!