Bob Ezrin hat zum dritten Mal ein Deep Purple Album produziert. Der Mann, der Pink Floyds Jahrhundertwerk „The Wall“ gemacht hat, der verantwortlich ist für den Sound zahlreicher Alben von Alice Cooper und Kiss, hat 2012 zum ersten Mal bei Now What!? den Deep Purple-Sound geprägt. Mit Infinite und Whoosh! hat er diesen Sound – der aus dem Zusammenspiel der Band heraus entwickelt wurde – weiter verfeinert. Er wollte und will die Band so haben, wie er sie auf der Bühne erlebt hat. Er lässt sie alle Tracks zusammen aufnehmen, meist reichen einer oder zwei Durchläufe, danach kommen ein Paar Overdubs und Gesang dazu. Ezrin will, dass sich die Musiker gegenseitig beim Spielen anfeuern und heiß machen. Am 20. Januar 2020 hatte ich zum zweiten Mal Gelegenheit, mit ihm über seine Arbeit mit der Band zu sprechen. Es war mir eine Ehre. And as usual, it was a great pleasure…

Was war der Unterschied zwischen den Sessions für Infinite und denen für Whoosh?

Bei Infinite hatten sie ein paar Writing Sessions hinter sich, bevor sie nach Nashville kamen, und dann nahmen wir die besten Teile. Diesmal arbeiteten wir einige Sachen im Probestudio in Nashville aus, und daraus wurden einige der besten Songs für das Album.

Die Arbeitsweise, wie Du mit der Band umgegenagen bist, war aber dieses Mal im Prinzip die gleiche?

Die Methode war im Prinzip die gleiche: Die Performance ist das Wichtigste. Sie sind eine Live-Band. Das Wichtigste beim Aufnehmen war für mich, ihnen zu erlauben, als Band zusammen zu spielen, und die Voraussetzung dafür war, dass das Material wirklich geübt war, bevor wir ins Studio gingen. Dort konnte man es einfach laufen lassen, die Musik geniessen und fühlen. So kriegt man die beste Performance.

In einem Interview mit dem britischen Prog Magazine über die Produktion von The Wall mit Pink Floyd hast Du gesagt „Roger Waters muss der Sohn eines Zauberers sein“. Wie würdest Du dann Deep Purple einmordnen? Brüder eines Zaberers?

Ich glaube, das sollte man keine Vergleiche anstellen. Purple verdienen ihre eigene Kategorie. Ich nenne sie immer die liebenswürdigsten Gentlemen des Rock. Sie sind großartige Musiker, und sie gehen miteinander sehr höflich um, wenn sie über Musik reden und das, was zu tun ist.

Wenn Du Dich an die Zeit kurz vor Eurer ersten Zusammenarbeit erinnerst, bei Now What!?, was war der Ausgangspunkt, die Basis?

Als ich sie live gesehen habe, bevor unsere Zusammenarbeit begann, da hatten sie Passagen in der Show, da wurde gejammt. Vollkommen befreit von den Konventionen populären Songwritings. Da geht es nicht um Strophen und Refrains, sondern um das freie Fliessen erstaunlicher Musik. Es ist eine Unterhaltung zwischen Musikern, die über ihre Instrumente läuft. Das war der eindrucksvollste Moment der Show für mich. Ich wusste, ich wollte keine Zwei-Minuten-Songs, ich wollte sie jammen hören. Als wir uns trafen, sagte ich: Wenn ihr ein zeitgenössisches Rockalbum machen wollt, sied ihr bei mir an der falschen Adresse. Weil ich überzeugt bin, das das für euch irrelevant ist. Weil ich sicher bin, dass das, was Rockbands heute üblicherweise tun, nichts mit dem zu tun hat, was ihr macht. Ihr überwindet die Zeit, ihr seid weder zeitgenössisch noch historisch, ihr seid euer eigenes Genre, das ist vollkommen zeitlos. Wenn du starke Zitate brauchst, dann schreib doch: „Bob Ezrin sagt: Deep Purple sind ihr eigenes Genre. Wenn ich ihm einen Namen geben sollte, würde ich sagen: Rock Grandeur

Bedauerst Du eigentlich, dass es mit der Band erst 2012 zu einer Zusammenarbeit kam?

Oh ja, allerdings. Ich wurde damals vom Label gefragt, ob ich Interesse hätte, Made In Japan zu produzieren. (lacht sehr). Ich habe aber irgendwas anderes zu tun gehabt, was mich daran gehindert hat. Ich war schon ein Fan, aber ich habe auch ehrlich gesagt nicht erkannt, wie groß diese Platte werden würde. Als es rauskam, hat es so um die 12 Millionen verkauft, glaube ich. Also: ich meine, damals, nicht seitdem bis jetzt! Und ich habe mir gedacht: Verdammte Scheisse, ich hab‘s vergeigt.

So, zurück zur Produktion von Whoosh! Es ging los mit einem Treffen, von dem Ian Gillan auf seiner Facebook-Seite ine lustige Story erzählt. Wie lief das aus Deiner Sicht?

Die Jungs waren gerade in Nashville angekommen, ich glaube es war an einem Freitag. Wir fingen an zu arbeiten. Ich schlug vor, für Montagabend ein Dinner zu organisieren. Ich glaube, es war Ian Gillan, der fragte: Um was zu feiern? Ich sage: Na, dass wir alle noch am Leben sind. Darauf meinte Roger: In diesem Fall sollten wir es besser heute machen. Vielleicht schaffen wir es nicht garnicht bis dahin….

Deep Purple-Songs sind unter deiner Produktionsregie melodischer geworden, vor allem gibt es mehr eingängige Refrains. Auf andere Art eingängig als früher. Ist mein Eindruck richtig? Und steckt da ein Plan dahinter?

Dein Eindruck täuscht nicht, Es ist ganz wichtig. Wir machen Musik, wir sind nicht nur Passagiere in einem Zug, wir sind die Lokführer, wir haben uns was vorgenommen, wir haben Ziele und wir wissen, was wir hören wollen. Eine der wichtigsten Sachen für mich ist, dass die Songs sowohl musikalisch als auch inhaltlich etwas bedeuten, ein Gewicht haben. Und sie müssen die Menschen emotional berühren. Wir haben über die Jahre gelernt – und das ist kein Geheimnis, dass Wiederholung ein wichtiger Punkt ist. Deshalb ist ein Refrain genau das, was den Song zusammenhält. Er ist sozusagen die Zusammenfassung des Songs, und die wird immer und immer wiederholt, auf diese Weise bringt man die Menschen dem emotionalen und intellektuellen Erlebnis effektiver nahe. Um die Frage zu beantworten: Ja, das ist ein ganz bewusste Anstrengung. Es ist gut, dass sie jemanden wie mich haben, der mit etwas Abstand sagt: Schaut mal her: Dieser Teil ist stärker als jener, und drum sollten wird den öfter bringen. Es ist auch vorgekommen, dass sie einen Song hatten, bei dem der Refrain, den sie sich gedacht hatten, schließlich zur Strophe wurde.

Gibt es Songs, die dieses Schema verlassen?

Hier gibt es wieder welche, die von einem Teil zum nächsten springen, ohne auf die klassische Songform Rücksicht zu nehmen. Es gibt einen Song ‚Man alive‘, der hat eine komplett andere Struktur als man von einem typischen Rocksong erwarten würde. Er ist mehr wie ein klassisches Stück.

Wie hat sich denn die Beziehung zu den Musikern entwickelt, nachdem ihr ja jetzt in den vergangenen Jahren dreimal zusammengearbeitet habt?

Steve kannte ich ja schon schon lange. Wir hatten bei Kansas zusammengearbeitet, und waren über die Jahre in lockerem Kontakt geblieben. Ich bin ab und zu zu Dixie Dregs-Gigs gegangen, so etwas. Als ich Deep Purple traf, war für mich sofort offensichtlich, dass wir im Grunde Cousins in Classic Rock sind. Wir haben alle die gleichen Wurzeln, wir hatten viele gemeinsame Bekannte, unsere Wege haben sich oft gekreuzt, aber wir waren uns tatsächlich nicht begegnet. Wir sprachen sofort eine gemeinsame Sprache. Ich fühlte mich ihnen nahe. Mit Ian Gillan dauerte es etwas länger. Er ist manchmal sehr zurückhaltend, aber das ist nichts Untypisches für einen Frontmann, der damit seinen Lebensunterhalt verdienen muss. Der Sänger ist per Definition das verletzlichste Mitglied einer Band. Er hat eine Weile gebraucht, bis er mir ganz vertraute, aber dann hat sich eine tiefe Freundschaft entwickelt. Er war dann noch einmal hier, um Gesang für ein Soloprojekt aufzunehmen, und in der Zeit wohnte er bei mir zuhause. Und das ist wirklich nicht üblich. Meine Frau besteht eigentlich auf einer strikten Trennung von Beruflichem und Privatem. Aber Ian ist inzwischen ein Freund, die anderen sowieso.

Unter deiner Regie hat sich die Qualität der Songtexte nochmal verändert. Vor acht Jahren hat mir Ian Gillan erzählt, wie sehr Du ihn getriezt hast, damit keine 0815-Texte herauskommen. Und in der Dokumentation zur Entstehung von Infinite kann man sehen, wie Ihr zusammen um jedes Wort ringt…..

Texte sind für mich genauso wichtig wie die instrumentalen Parts, denn meine Definition von Songs lautet: Geschichten, die durch und mit Musik erzählt werden. Wenn du keine gute Story hast, kannst Du den Rest vergessen. Eine Geschichte zu erzählen, ist eine genauso große Herausforderung wie die Musik zu machen. Ich fürchte, die Leute wissen gar nicht, wie schwer es ist, einen guten Text zu schreiben. Was man auf der Dokumentation zu Infinite über die Arbeit am Text zu All I‘ve Got Is You‘ gesehen hat, war nur ein kleiner Ausschnitt der Arbeit, die wir in die Texte gesteckt haben. Und ich würde sagen, auf diesem neuen Album sind die Texte noch viel besser.

Reden wir mal über mögliche kulturelle Unterschiede: Du bist Kanadier, vier der Herren sind Briten, mit Steve Morse haben sie einen amerikanischen Gitarristen….

Ja, sie machen sich immer über ihn lustig. Entschuldigung, mach weiter….

Worauf ich hinaus will: Ist das typische englische Musik? Klänge das das anders, wenn es fünf Amerikaner wären?

Ich glaube, was sie machen, kann man nur als englische Band machen. Und mit Steve funktioniert es, weil er eine sehr internationale Sensibilität hat… so könnte man es sagen. Sein Stil ist kosmopolitsch und verwurzelt in einer Kombination von klassischer Musik, Bluegrass, Filmmusik, keltischer Musik und natürlich Rock. Er ist der perfekte Gitarrist für eine solche Operation. Und keine Frage: Der Klang der Rhythmussection ist eindeutig britisch. Ich glaube, man hätte keine Band, die so klingt, irgendwo anders zusammenstellen können. Und es musste in den 60er-Jahre passieren, es gab keine andere Zeit. Denke mal drüber nach: Als diese Gentlemen Teenager waren, konnten sie gar nichts anderes machen als Musik. Es gab kein Internet, keine sozialen Medien, sie hatten zwei Fernsehkanäle und dort gab es nur Dinge, die für sie langweilig oder bedeutungslos waren, dann gab es noch das Pub um die Ecke. Also blieb ihnen als Ventil für ihre Energie nur Sport oder Musik, oder eine andere künstlerische Betätigung.

Und das sah bei Deep Purple aus Deiner Sicht wie aus?

Sie haben alle ihre Teenager-Jahre damit verbracht, zu üben, zu üben, und wieder zu üben. Sie haben vier oder fünf Stunden lang jede Nacht in Bars gespielt, sie haben Songs nachgespielt, und so gelernt, was eine gute Komposition ausmacht. Wie ein Song klingt, welche Reaktion er vom Publikum bekommt. Und wenn sie ihre eigenen Songs spielten, konnten sie sehen, ob die den selben Applaus bekamen, wie die Covers – oder eben nicht. Wenn es nicht funktionierte, gingen sie nach Hause und arbeiteten daran, dass die eigenen Sachen besser wurden. Und dass sie genauso viel Applaus bekamen wie ein gecoverter Beatles-Song. Und dieser Prozess hat sie so gut werden lassen, wie sie heute sind.

Ich habe verschiedene Mitglieder der Band schon gefragt, ob sie sich vorstellen könnten, das musikalisch interessante, aber von einer sehr schwachen Produktion gebeutelte Rapture Of The Deep von 2005 nochmal neu mischen zu lassen. Jetzt frage Ich mal einen erfahrenen Produzenten: Würdest Du das gern tun?

Ich mag ja auch den Gedanken, einiges von meinem eigenen Schaffen noch einmal zu überarbeiten. Gut, also wenn sie mich bitten würden, das zu machen, wäre ich auf der Stelle da. Weil ich auch dieses Album liebe. Anderseits frage ich mich auch, ob das nicht den wahren Geist, die ursprüngliche Natur des Albums beschädigen könnte? Das wäre die Frage. Als Kiss mich baten, Destroyer neu zu mischen, war ich glücklich. Denn ich kannte die Stellen, bei denen ich nicht das hinbekommen hatte, was ich gehofft hatte. Ich hatte das Ziel X, aber es wurde eben nur X minus. Zum einen, weil ich nicht die technischen Möglichkeiten hatte, und zum anderen auch noch nicht die Erfahrung, ich war ja noch sehr jung. Aber die Gelegenheit zu bekommen, sich noch einmal an das zu erinnern, was man vorhatte und es schliesslich zu vollenden, das ging in Ordnung. Und ich hatte dabei nicht das Gefühl, die eigentliche Natur dieses Albums zu zerstören. Es war einfach jetzt nur das, was es ursprünglich schon hätte sein sollen. Einfach etwas kraftvoller. Also, zur Frage zurückzukommen: ich bin nicht sicher, ob ich der richtige wäre für einen Remix von Rapture Of The Deep.

So, letzte Frage, und die ist eigentlich Klischee, aber sie muss natürlich kommen. Wie siehst Du die Chancen, dass es nach Whoosh! Noch ein weiteres Deep Purple Album geben wird?

Ich denke, es wird sehr sehr schwer für sie sein, einfach aufzuhören. Ich hoffe wirklich, dass ich nächstes Jahr wieder einen Anruf kriege und sie mir sagen: Wir haben uns überlegt, es wäre Zeit, ein neues Projekt anzugehen. Ich wäre im nächsten Augenblick da, denn ich denke, wir sind ein gutes Team zusammen. Es ist eine große Freude, es ist aufregend und inspirierend und es hält mich in Schwung, weil es viel Aufmerksamkeit und Sorgfalt erfordert, und genas so etwas habe ich gern. ich hoffe wirklich von ganzem Herzen, dass sie weitermachen. Aber ich kann diese Frage nicht beantworten.