Steve Morse hatte ich bei den diversen „Deep-Purple-Interview-Runden“ der vergangenen Jahre für das ROCKS Magazin noch nie am Telefon gehabt, deshalb war ich besonders gespannt auf das amerikanische Mitglied dieser urenglischen Institution. Anfangs schien es, als würde es nicht klappen, denn am vereinbarten Termin ging einfach keiner ans Telefon. Die nette Promoterin des Labels rief dann im Lauf des Tages zurück und erklärte, Steves Akku sei leer gewesen (also der seines Telefons)….. Dann also auf ein Neues, am nächsten Morgen um die gleiche Zeit. Nun hatte ich mich eh schon gewundert, dass es zur ursprünglich vereinbarten Zeit bei ihm zuhause Mitternacht gewesen wäre. Wow, was für ein Arbeitsethos, dachte ich mir. Als wir uns dann schließlich begrüßten, fragte ich nach, und Steve meinte, jetzt sei es bei ihm aber schon drei Uhr morgens, er sei in der vergangenen Nacht mal eben von A nach B (weiss nicht mehr von wo nach wo) geflogen. Ich war beeindruckt. Wegen mir? Nachts um drei telefonieren? Ja klar, das sei doch Ehrensache, und das mit dem Akku am Tag vorher, das sei ihm sowas von peinlich….. Ich war gerührt, und bin es bis heute. Das Interview – das dann am 23. Januar lief – war dann sehr gut. Hier ist es, wie gehabt: Fast im Wortlaut.

TZ Steve, wann wurde dir klar, dass es noch einmal ein Deep Purple Album geben würde?

SM Ich war mir nicht sicher bis zu dem Zeitpunkt, als Roger und ich irgendwann zusammen jammten, und er sagte: Das hier sollten wir nicht vergessen, fürs nächste Album, und ich ihn fragte: Wie meinst Du das? Ich dachte, wir hätten unser letztes Album schon gemacht. Und Roger meinte, nein. Wir machen das jetzt! Wir lieben die Band alle, und fühlen uns miteinander wohl. Aber man sollte eben nicht abwarten, bis wir alle tot auf der Bühne umfallen.

TZ Bob Ezrin hat jetzt zum dritten Mal in Folge ein Deep Purple-Album produziert. Wie siehst Du seine Rolle?

SM Vorneweg: ich bewundere seine Arbeit, und ich habe mich damals sehr stark dafür gemacht, dass er uns produziert. Die anderen kannten ihn ja damals nicht. Ich denke, wir brauchen eine Art Richter, einen Entscheider. Damit wir uns nicht streiten. Wir habe ausufernde Diskussionen, wenn wir mit dem Komponieren anfangen. Und jetzt können wir sagen: Schauen wir mal, was Bob dazu meint, er soll es entscheiden. Okay, weiter. Wenn er dann dazu kommt, dann wird alles einfacher. Er sagt: ich mag das, ich mag das nicht, lasst es uns so probieren.

 

TZ Am Anfang hast ja nur Du ihn gekannt, inzwischen hat siche ein Arbeitsbeziehung entwickelt – oder auch mehr. Gibt’s da Unterschiede im Umgang mit den einzelen Musikern?

SM Er kommt auch im Studio sehr gut mit Ian Gillan zurecht. Ian war manchmal eine sehr private Person, wenn er im Studio arbeitete und Bob weiss genau, wie er mit ihn umgehen muss, wie er seine Energie aktivieren kann. Ian fehlt es nun wirklichh nicht an Ideen. Er sprudelt geradezu davon, ich im übri

gen auch. Aber bei mir muss die Band entscheiden, ob es Deep Purple Material ist oder nicht. Und Bob muss mir sagen, ob es zum Song passt. Es gibt nur wenig, was nicht ideal für mich wäre Bob ist nicht so der Gitarrenfreak, aber er weiss, dass ich ein musikalischer Typ bin und er appelliert an mein Gefühl für Melodie, und das funktioniert immer.

TZ Wie ist es mit Dir? In der Dokumentation zur Entstehung des Vorgängeralbums Infinite konnte man ja sehen, dass Bob eine sehr klare Vorstellung davon hat, was die Gitarre im Bandkontext anbelangt. Nicht immer einfach für Dich, oder?

SM Es ist immer gut, wenn man von Profis umgeben ist, die auch gern kritisieren können, was man tut. Auf der anderen Seite ist das natürlich etwas ungemütlich. Ich will nicht immer gesagt bekommen, was ich falsch mache. Aber wenn es um das fertige Produkt geht, ist das wohl der richtige Weg, um besser zu werden. Ich nehme geren Soli mit Roger und Bob zusammen auf, oder mit der Band und Bob. Dass ich ein Solo spiele, und hinterher schweigen alle, das passiert garantiert nie. Anders gesagt: ich kann nicht einfach meinen üblichen Stil spielen und mit dem besten Take eines guten Solos davon kommen. Das funktioniert nicht. Da gibt es Einwände, etwa diese: „Das klingt zu sehr nach deinem Soloalbum. Das klingt wie etwas, das wir letztes Mal schon gemacht haben“. Man muss schon stark, sein um mit Bob zu arbeiten. Das ist das musikalische Gegenstück zun Drill bei den Marines, Spezialeinheiten!

TZ Die Band hat sich in dem Vierteljahrhundert verändert, seit Du dabei bist. Die größte personelle Veränderung war wohl der Wechsel von Jon Lord zu Don Airey. Was hat das für dich – natürlich vor allem in musikalischer Hinsicht – bedeutet?

SM Mit Jon konnte ich vom ersten Moment an kommunizieren, ohne dass es viele Worte brauchte. Es war, als könne er Gedanken lesen und wüsste schon im Voraus, was ich vorhatte – und fand immer etwas Passendes dazu. Mit Don war es am Asnfang etwas schwierig. Es gab Auseinanderstezungen: „Ich will es so“. „Nein, ich will es aber so“. Wir sind ein bisschen aneinander geraten, als wir mit Michael Bradford (Produzent der Alben Bananas und Rapture Of The Deep) gearbeitet haben. Aber jetzt kommen wir prima miteinander klar. Wir haben Jahr für Jahr besser gelernt, die Ideen des jeweils anderen zu verstehen, und jetzt verstehen wir uns auch blind. Und wissen, was der andere will.

TZ Nach meiner Einschätzung haben sich die Gewichte in der Band zwischen Gitarre und Keyboards verschoben, besonders seit Don an Bord ist. Sprich: Jetzt spielt der Keyboarder den Verrückten, der Gitarrist ist eher der brävere, songdienliche. Darf ich das so sagen?

SM Doch, das trifft es ziemlich genau. Ich versuche immer, der bodenständige Kerl zu sein, der das spielt, was der Song braucht. Und Don ist ein brillanter Solist, der all diese wirklich wilden Sachen improvisiert, die vollkommen abgedreht klingen, vor allem im Solo. Mir geht es mehr um melodische Phrasen.

TZ Roger Glover hat mir vor acht Jahren erzählt, dass er mit Dir ein interessantes Erlebnis hatte, als Du neu warst in der Band. Er hatte einen Part, den er nicht spielen wollte, weil er glaubte: Das kann ich nicht. Dann hast Du es ihm gezeigt – und es ging doch. Alle glücklich und zufrieden. Wie funktionieren solche Prozesse heute in der Band?

SM Man lernt in jeder Band was dazu. Ich schreibe Ideen immer sofort auf, wenn eine neues Stück Musik entsteht, oder ein Teil von einem Stück. Der Grund: Wenn ich etwas Kompliziertes notiere, dann weiß ich, dass ich es spielen kann. Aber wenn Don es schreibt, weiss ich, das es auf der Gitarre schwer zu spielen sein wird. Das ist nicht immer einfach übertragbar. Drum bin ich immer gern der erste, der ein Stück notiert hat, wenn es irgendwie geht. Und wenn Roger mir sagt: „Das klingt mir ein bisschen zu schwierig“, dann sage ich: „Lass es uns jetzt mal so spielen, wie es da steht, und dann schauen wir, ob wir es vereinfachen können. Gib uns fünf Minuten.“ Und es funktioniert, das habe ich mit vielen Musikern erlebt. Wenn sie sagen, sie können das nicht – fünf Minuten später geht es doch. Ich zerlege es dann in seine Einzelteile – und es geht. Ich mache so was gern mit Kollegen, ich empfinde es als Herausforderung, jemandem zu zeigen, wie leicht es ist, wenn man es mal in seine Einzelteile zerlegt.

TZ Du hast in einem Vierteljahrhundert inklusive dem kommenden sieben Studio-Alben mit der Band aufgenommen. Ist es nicht frustrierend, so wenig davon auf der Bühne spielen zu können?

SM Ja, das ist es. Aber es ist wie beim Fussball: Die anderen sind auf dem Spielfeld, du sitzt auf der Bank, und du weisst: Irgendwann kommt dein Einsatz. Du willst dein Bestes geben, aber erst einmal musst du das Team unterstützen. Alle Songs, die wir spielen, sind ein großer Spaß für einen Gitarristen. Trotzdem würde ich mehr von unseren neueren Sachen spielen, die wirklich gut funktionieren und auch gut beim Publikum ankommen.

TZ Hat sich deine Herangehensweise an Blackmore-Songs über die Jahre Verändert?

SM Ich versuche, in jedem Stück wiedererkennbare Teile beizubehalten, so wie er sie geschrieben hat. Ich habe großen Respekt vor der Musik, die er der Band gegeben hat. Sie hat das Leben vieler Menschen beeinflusst. Menschen, die zu unseren Konzerten kommen. Wir haben in vielen Ländern gespielt, in denen Deep Purple zu Ritchies Zeit nie aufgetreten ist, aber diese Leute kommen, um die Musik zu hören, die Ritchie gespielt hat. Sie haben die Band die ganze Zeit ja nur mit mir gehört, zumindest die jüngeren. Also: Auf der einen Seite bin ich ja kein Roboter, der seine Parts exakt nachspielt, auf der anderen Seie empfinde ich es auch als Verpflichtung gegenüber dem Komponisten, seiner Intention soweit wie möglich zu folgen. Aber ich möchte dabei einiges meinem Stil anpassen. Wenn ich es notengetreu spielen würde, käme das Gefühl nicht rüber. Das wäre keine Herausforderung für mich und ich wäre damit nicht besonders glücklich.

TZ Besonders auffällig fand ich immer deine ganz eigene Interpretation in den Strophen von „Perfect Strangers“. Da machst du ganz neue Klangwelten auf. Ist das die Herausforderung?

SM Ja, das mache ich natürlich gerne. Aber gerade bei der letzten Tour hat mich Ian Gillan mal au „Perfect Strangers“ angesprochen und meinte: Was du da in den Strophen spielst, macht mir das Singen ziemlich schwer. Es waren genau diese Stellen, die ihn irritierten, die ich jahrelang so gepielt hatte. (lacht). Also habe ich es in den letzten Monaten bleiben gelassen, und mache es nur dann, wenn er aufhört zu singen.

TZ Wenn Du deine Zeit in der Band Revue passieren lässt, wie hat sich die Musik aus deiner Sicht – und vielleicht auch durch Dich – verändert?

SM Das gute an dieser Band ist zu meiner großen Freude, dass es ihr immer scheissegal war, ob etwas im Radio gespielt wird oder im Musikfernsehen. Ich denke nicht, dass wir uns massiv verändert haben, aber es gab immer wieder interessante Experimente, wie „The Aviator“ oder „Sometimes I Feel Like Screaming“. Das war schon etwas anderes als man gewohnt war, aber sie haben sich da wirklich darauf eingelassen. Oder wie dann später, zuletzt bei „The Surprising“ Bei den neuen Songs weiss ich nicht so recht, sie haben die Titel alle geändert (lacht). Auf der anderen Seite vernachlässigen sie auch nicht den ursprünglichen Hardrock, der die Leute zu Fans gemacht hat.

TZ Du hast ja nach wie vor das Arthritis-Problem in der Hand. Wie gehst Du damit heute um?

SM Ich übe anders, ich habe mir eine andere Position der Hand angewöhnt, meine Ernährung geändert, ich nehme Medikamente. Ich nehme auch Schmerzmittel, wenn ich spiele und benutze eine Schiene, um die Hand ruhigzustellen. Ich versuche alles – aber ich werde möglicherweise früher mit der Musik aufhören müssen, als ich mir das wünsche. Es ist derzeit stabil, ich versuche es eben zu kompensieren. Wenn ich auf die Bühne gehe, möchte ich nicht, dass die Leute sich fragen: Was ist mit dem Kerl nicht in Ordnung?