Rübe ab! Komplett“

„Erlösung“ mit Matthias Egersdörfer und Martin Puntigam im Tollhaus, Karlsruhe, 22.3.2017 Foto Copyright Tollhaus (Foto von 2021)

Den Matthias Egersdörfer kennt Wikipedia als Kabarettisten „mit unverkennbarem Hang zur Cholerik“, Martin Puntigam wird gelegentlich ein Hang zum Zynismus nachgesagt Zusammen aber, so behaupten der Franke und der Wiener, wollen sie in ihrem Programm „Erlösung“ ganz brav sein und jedweder Bosheit abschwören. Das Ergebnis des Versuchs war am vergangenen Mittwochabend im Tollhaus zu bestaunen.

Es beginnt ganz harmonisch mit ausufernden gegenseitigen Liebesschwüren. Doch schon nach Minuten schleichen sich Neid und Missgunst ein, als sie sich gegenseitig ihre Erfolge als Solist vorzuhalten beginnen. Was also tun? Der kleinste gemeinsame Nenner ist immer noch der Sketch. Puntigam gibt den leicht schmierigen Flirt-Trainer, der dem noch schmierigeren Grobian Egersdörfer Benehmen beim Anbaggern beibringen will, auf dass er sich nicht mehr grunzend vor die Frauen stelle und einfach „Ficken!“ sage. Der nimmt die Herausforderung an und sagt „Ficken, bitte!“. Man muss das gesehen haben, um zu begreifen, wie geschickt auf dem Grat balanciert wird, der zwischen künstlerisch wertvoller Zote und Comedy-Dreck liegt. Wobei der Franke den Wiener über weite Strecken in die Rolle des Wasserträger abdrängt. Vielleicht täuscht der Eindruck aber auch, und Egersdörfer ist einfach nur lauter. Kaum ist das Publikum auf Temperatur, kommt erwartungsgemäß die kalte Dusche der Beschimpfung. „Das ist doch nur Botox für die Arschgesichter“, brüllt Egersdörfer vollends entfesselt. Wo es doch ein so schöner Abend hätte werden können mit besinnlichen Texten. Wie dem vollkommen sinnfreien Text über den Klingelboy, den man als Parodie auf die literarischen Mode der Buchnabel-Betrachtungsliteratur lesen darf. Irgend was mit einem abhanden gekommen Vater oder so und was das mit dem Klingelboy macht. Eigentlich wollte er den Text ja gar nicht vorlesen, mäkelt der Deutsche und der Österreicher wirkt ständig, als müsse er sich für alles entschuldigen.

Nach der Pause tut er das – mit einem üppigen Champagner- und Austern-Mahl. Dabei entsteht eine völlig andere Stimmung als im ersten Teil: Es entwickelt sich ein absurder Dialog von der Religion bis zur Weltrevolution fein balanciert zwischen Annäherung und schroffer Abstoßung der Protagonisten. „Jeden Sonntag fresst ihr Katholischen ein Stück vom Heiland?“, fragt der Protestant hinterhältig, und der Katholik kontert: „Ja aber das wächst wieder nach“. Wie der Wunsch nach der Weltrevolution, immer wieder mantraartig bebrüllt von Egersdörfer: „Rübe ab, komplett!“ Der Kollege googelt indes die 500 Köpfe, die rollen sollen, während der Zuschauer sich ganz unschuldig fragt: Beginnt die Revolte wirklich auf der Kabarettbühne?Worauf die zwei da oben selbstredend keine Antwort geben. Wo bleibt da die Erlösung? Puntigam sieht sie in den Kindern, in denen man doch weiterlebe, Egersdörfer plädiert für Kannibalismus. „Sag mal, Martin, willst Du mich essen?“. Im „Abspann“ läuft „The Power of Love“ von Frankie goes to Hollywood, wie schon zu Beginn. Es klingt wie die Erlösung von der „Erlösung“.