Opulenz unterm Regenbogen

Rockoper „Everyman“ hatte Premiere am Theater Pforzheim, 14.2.2019

Fotos: Copyright Sabine Haymann

Aus 500 Lampen strahlt der Regenbogen, der das Bühnenbild dominiert – und ist damit Symbol für die Üppigkeit dieser Neuinszenierung der Rockoper „Everyman“, die am vergangenen Samstag am Theater Pforzheim Premiere hatte. Wobei Rockoper ein zu eng gefasster Terminus für dieses bunte Spektakulum ist. Musikalisch ist dieser „Everyman“ – komponiert von Mitgliedern der Kaiserslauterer Progressive Metal Band Vanden Plas eine in jedder Hinsicht aus dem Vollen schöpfende Mischung der Opulenz des Musical, dem Drama der Oper, der Leichtigkeit des Jazz, pop-affiner Balladenseligkeit und der Härte der Metal Musik.

Das Bühnenbild (Mattias Engelmann) bildet diese Größe adäquat ab: Es kleckert nicht, es klotzt. Bunt, schrill, so wie sich Everyman seinen persönlichen Garten der Lüste eingerichtet hat, aus dem er nun vertrieben werden soll, als Gott ihm den Tod schickt. Und siehe da: der Pforzheimer Gott ist ein Mädchen (Amelie Kunzmann), das aussieht wie bei der Erstkommunion, aber Everyman und den Zuschauer in ziemlich forschem Ton darauf stößt: So wie ihr lebt, bleibt für uns nichts übrig.

Die tragenden Rollen Tod und Everyman sind mit Vanden Plas-Sänger Andy Kuntz und Musical Star Chris Murray überzeugend passgenau besetzt. Murrays Everyman tritt auf als Geldscheine werfender Typ Promi-Schönheitschirurg mit Nebenberuf Skilehrer und wandelt sich zum von Selbstzweifeln und Verzweiflung zerfressenen Büßer. Murray kann die große Geste ebenso wie das verhuschte, zusammengekauerte Elend – und bedient dabei musikalisch die ganze Bandbreite der Inszenierung. Diese Stimme oszilliert jederzeit mühelos zwischen Oper, Musical und Rock.

Andy Kuntz‘ Tod dagegen sieht nicht aus wie ein Fürst der Finsternis – im Gegenteil: In Plateaustiefel und silbernen Anzug gewandet, wirkt er wie ein ungefährlicher Glamrocker der 70er Jahre, aber sein Gesang ist wahrlich markerschütternd, triumphal, siegesgewiss und verbindet Präzision mit jederzeit abrufbarer Eskalation.

Gegen den Tod wirkt der Teufel (Philipp Werner) schon fast zurückhaltend – dafür umwallt ihn die „teuflische Gesellschaft“ – das Ballett des Theaters – die durchaus imstande ist, beim Betrachter eine Art Lustangst zu erzeiugen. Auch die weiteren tragenden Rollen – allesamt Ensemble-Mitglieder – sind erste Wahl Die wandlungsfähige Lilian Huynen – die als Paramour die Opernsängerin und als Mammon die vulkangleiche Rockröhre gibt. Lisa Wedekind zurückhaltend und umso eindringlicher als vornehme Mutter und missachtete (vielleicht sogar misshandelte) Mrs. Charity – die Everyman an seine guten Taten erinnert.

„Everyman“ basiert auf einem englischen Moralstück des 15. Jahrhunderts, das die Vorlage für Hugo von Hoffmansthals „Jedermann“ war. Philipp Moschitz‘ Inszenierung will nicht auf die eindeutigen Urteile des Mittelalters hinaus, sondern verweist auf den Everyman in jedem von uns. Die Hauptfigur ist eben nicht nur der unsympathische Egoist, auch wenn sein asoziales Verhalten dem Zuschauer am drastischsten durch einen beklemmend grau in grau inszenierten Aufstand der Armen drastisch vor Augen geführt wird, die wie eine Geisterarmee des Lumpenproletariats aufmarschieren und von Everyman mit einer Münze für alle abgespeist werden.

Wenn die Inszenierung den Blick in Everymans Inneres öffnet, ist die Bühne meist leer, aber in der übrigen Zeit ist es ein ständiges Tosen, Wogen, Wirbeln (Choreografie Sven Niemeyer) im Einklang mit der Musik, dirigiert von Philipp Haag. Der den umfängliche Klangkörper aus Band, Badischer Philharmonie, Opernchor, Extrachor und Kinderchor des Theaters Pforzheim zu einer wirklichen Einheit verschmelzen lässt. Der Rockfan würde sagen: „es groovt wie Sau“, der Opernliebhaber ist erstaunt, dass diese Musik so harmonisch klingt. Die musikalische Opulenz spiegelt natürlich auch die Opulenz von Jedermann als Person wieder, der muss aus dem Vollen schöpfen, sonst kann man dieses Thema gar nicht bedienen“ hat Philipp Moschitz wenige Wochen vor der Premiere gesagt. Das Thema hat in seiner Inszenierung eine Vollbedienung erfahren, die vom Premieren-Publikum mit mehr als zehn Minuten dauernden Standing Ovations honoriert wird.