Ein wahrer Mensch

Fischer-Z alias John Watts mit Solo-Konzert im Tollhaus, Karlsruhe, 27.5.2022

Zeitlos oder aus der zeit gefallen? John Watts, der ohne Band aber unter dem Bandnamen Fischer-Z am Donnerstagabend im Tollhaus Station machte, lässt solche Fragen obsolet erscheinen. Denn Watts ist ein Unikat. En lärmendes und zugleich bis zur Selbstentblößung gefühlvolles. Lärm, so haben wir im 21. Jahrhundert gelernt, verkauft sich am besten als monolithischer Block, durch tausende Prozessoren gejagt und als eine Art Breitwandfilm in Gehörgänge geprügelt. Watts’ Lärm aber ist ein ein anderer, weitab vom Mainstream: der nämlich stammt aus dem 20, Jahrhundert und ist pure Anarchie.

Wenn er im ersten Teil der Show die Songs des Erfolgsalbums „Red Skies Over Paradise“ von 1981 aufs Notwendigste reduziert, gewinnen sie eine Intensität, die vor allem von der stimmlichen Präsenz des 67jährigen lebt. Als Gitarrist ist Watts so etwas wie der Neil Young der Popmusik, aber bar jeder solistischer Ambitionen. Befreit von den halbwegs stabilen und festen Song-Arrangements der Band dekonstruiert er etwa das unsterbliche „Cruise Missiles“ („die Band hat es sowieso nicht gut gespielt“). Da wackelt der Groove, das sendet die Gitarre unangenehme aber passende Geräusche zum Text, der vom damaligen Gleichgewicht des Schreckens handelt, und über allem thront diese Stimme, die etwas zu sagen hat. Die aber nie in Gefahr gerät, wie ein Prediger oder allwissender Weltverbesserer zu klingen.    

Er strahlt das Charisma eines Mannes aus, der es ernst meint, ohne den Zeigefinger zu erheben. Er beherrscht den Spagat zwischen optimistischer, sogar tanzbarer Musik und Texten voll von unaufdringlichen, im weitesten Sinne politischen Statements, ähnlich wie New Model Army – nur ohne anschwellende Zornesader.Nur weniges, was in den 80er Jahren als hip galt, ist so gut gealtert und reiht sich in diesem Konzert ein in einen Kontext voll zeitloser Musik. Die sich auch im zweiten Teil de Konzertes fortsetzt: Hier kommen von Fans oft gewünschte Songs zum Zug, die er in den nachfolgenden Jahrzehnten entweder als Solist oder unter seinem Namen veröffentlichte. Die zeigen die Kontinuität seiner Art, Songs zu schreiben. Nicht geändert hat sich auch die Grundhaltung des skeptischen Optimisten, die in Perlen wie „I Smelt Roses (In The Underground)“ aufblitzt.

Das Publikum weiss das zu schätzen. Die Karlsruher sowieso, die offenbar alle schon beim legendären Fischer-Z Auftritt beim „Fest“ 1993 dabei waren, als er bei strömendem Regen in die klatschnasse Menge abtauchte. Watts dankt es ihnen mit dem Lob, sie seien „bright, intelligent, arty and cosmopolitan people“. Am Ende gibt es Standing Ovations für den Mann, der vor ein paar Jahren auf dem Album „This Is My Universe“ gesungen hat Can music change the world?“ Wer beim Konzert im Tollhaus war, weiß die Antwort: Nein, aber sie kann helfen, die Welt besser zu ertragen.

Thomas Zimmer