Die Kerze brennt noch an beiden Enden

Fish, Substage, Karlsruhe, 9.11.2018

Torch, der Bürger vom Legoland, der Mann mit einer Allergie gegen Perrier, Tageslicht und Verantwortung, das Mitglied der „Morgendämmerungs-Patrouillen-Bruderschaft“: so beschreibt sich der Helden des Marillion-Albums „Clutching At Straws“ von 1987 im Song „Incommunicado“. Torch, dieser Typ, der – inspiriert von Jack Kerouac die Kerze an beiden Enden anzündet, wird vom nunmehr 60 -jährigen Fish bei seiner laufenden Tour noch einmal wiederbelebt. Und sein damals nur schlecht maskiertes Alter Ego kehrte das Innerste seines Schöpfers nach aussen. Die Exzesse von Alkohol, Sex und Macht. Die Qualen des Künstlers, der an einer Schreibblockade leidet, zerrieben von seinen Dämonen, zermürbt von Selbstmitleid und Antriebslosigkeit – das waren die Themen von „Clutching At Straws“ das zusammen mit einigen Songs vom 2019 erscheinenden Album „Weltschmerz“ das Gerüst der laufenden Tour bildet.

Antriebslosigkeit kann man dem realen Fish wahrlich nicht vorwerfen. Älter geworden ist er, der riesige Schotte, der auf der Substage Bühne am vergangen Freitagabend mit den Beschwerden des Alters kokettiert und einen Gutteil des Programms auf einem Barhocker sitzend durchlebt und durchleidet. Sein Torch treibt ihn immer noch um, und er wütet nach wie vor – hoffentlich in geringerem Mass gegen sich selbst als früher. Die magisch schöne Musik von damals ist wie nur ganz Weniges aus den 80er Jahren von zeitloser Brillanz, zumal sie von der heutigen Band hochkompetent, aber einen Tick weniger elegant gespielt wird. Was ihr durchaus gut tut.  Der Sänger selbst interpretiert die alten Stücke in tiefergelegten Tonarten respektabel, obschon gelegentlich die pathosschwangere Dramatik der Originalaufnahmen fehlt, weil diese vielen Stürmen zermürbte Stimme in hohen Tonlagen einfach keine Kraft mehr hat. Aber wen schert‘s? Was die Stimme nicht mehr hergibt, macht Fish mit Leidenschaft und Musik gewordenem Herzblut wett. Zudem da ja noch Doris Brendel (die im Vorprogramm mit ihrer Band recht konventionellen Progrock gab) als angenehme vokale Stütze aushilft. Die neuen Stücke von der zum kommenden Album vorab veröffentlichten EP „A Parley With Angels“ passen thematisch und in ihrer düsteren Grundstimmung perfekt zu „Clutching At Straws“, obwohl sie musikalisch weitgehend frei von Progrock-Strukturen sind. Sie setzen stattdessen auf klangmalerische Intensität, Groove und die suggestive Kraft der Texte – insbesondere das von Hans Falladas „Kleiner Mann was nun?“ inspirierte „Little Man What Now“, das dem Publikum zehn Minuten Aufmerksamkeit abverlangt – die Fish dank seiner natürlichen Autorität von seinem Publikum auch bekommt. Genauso wie für seine berühmt-berüchtigten Bühnen-Rants, diese Ein-Mann-Revolten gegen das Böse und den Dreck der Welt– exemplarisch verortet in „fucking Trump“ und „fucking Brexit“. Keiner in der Band und der gesamten Crew, versichert er schon ganz zu Anfang des über zweistündigen Konzerts, habe für den Brexit gestimmt. Nicht nur das klingt wie ein Exorzismus.