Von Bubblegum bis Metal

Die Story erschien erstmals 2012 im ROCKS

 

Für die einen waren The Sweet grell geschminkte Bubblegum-Poser, die musikalisch nicht viel draufhatten und als willfährige Marionetten des Songschreiberduos Chinn & Chapman vergängliches Radiofutter am Fließband raushauten. Die anderen drehten ihre Singles um und kauften die Langspielplatten, denn da tat sich eine musikalische Welt zwischen Deep Purple und Led Zeppelin auf. Swett Gitarrist Andy Scott hält Rückschau auf die beiden Seiten der Medaille

 

„Ich habe uns immer beschrieben als Kreuzung aus Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich und Led Zeppelin“ schmunzelt Andy Scott. Soviel zur Kurzfassung, damit schalten wir um zur Langfassung. Sommer 1970: Die Band Sweet – damals bestehend aus dem Sänger Brian Connolly, Bassist Steve Priest, Drummer Mick Tucker und Gitarrist Mick Stewart ist mit ihrem Latein am Ende: Ihre bisherigen Singles haben nicht den erhofften Durchbruch gebracht, Gitarrist Stewart wirft das Handtuch. In diesem Moment treten zwei aufstrebende junge Songschreiber auf den Plan: Nicky Chinn und Michael Chapman. Phil Wainman, Produzent der erfolglosen Singles, arrangiert ein Treffen, zur gleichen Zeit wird Andy Scott der neue Gitarrist der Band. Der erinnert sich: »Wainman hörte in Brians Stimme ein kommerzielles Potential. Ich glaube nicht, dass er in ihm einen Superstar sah, sondern eher eine Stimme, die man formen konnte. Er war nicht der Typ wie Robert Plant, der sagt: So singe ich, du kannst es mögen, oder es sein lassen«.

Die erste Hit-Single ›Funny Funny‹, erschienen im Februar 1971, ist Bubblegum in Reinkultur, und ziemlich ähnlich dem Archies-Hit „Sugar Sugar“. Die vier Sweet Musiker lassen die Finger von den Instrumente, das besorgen Studiomusiker, die „Süssen“ singen. Dass sie mehr können, wissen sie, vor allem Scott, der bei seinem ersten Treffen mit den Hitfabrikanten selbstbewusst auftritt und Chinn und Chapman die A-Seiten anbietet, aber gleichzeitig die B-Seiten für die Band reklamiert. »ich glaube, sie haben gelacht. Sie dachten wohl, wir könnten keine Songs schreiben«. ›Done me wrong all right‹, die Flipside der zweiten Single ›Co Co‹ ist bereits ein stampfender Hardrocker.

Sogar Radio-DJ John Peel macht sich später in seiner Show einmal einen Spaß daraus, Sweet B-Seiten vorzustellen und die Hörer raten zu lassen, wer da spielt. Andy Scott amüsiert sich noch heute, dass vielleicht ein Dutzend von 1000 Teilnehmern die richtige Lösung einschickten. Optisch setzten The Sweet 1971 und in den folgenden Jahren kreischend farbenfroh um, was ihre A-Seiten musikalisch bieten: Mit Make up, extrem bunten Klamotten, Glitzerstaub schwimmen sie auf der Glam Rock Welle, die gleichzeitig Gary Glitter, T Rex, Slade und David Bowie nach oben spült. »Wir wollten nicht aussehen wie Free. Die sahen immer aus, als wären sie gerade aus dem Bett gekommen«.

Die Konzerte von Sweet in der Anfangsphase sind der Versuch, beide Welten zusammen zu bringen: Sie spielen B-Seiten, Coverversionen von Deep Purple, Led Zeppelin, The Who und die Hits am Ende des Sets. »Das schien zu funktionieren, und im Lauf der Zeit wurden unsere Auftritte risikoreicher«. Mit dem Mut zum Risiko wächst das Selbstbewusstsein: 1974 ist das Jahr, in dem sich die Band von ihren Hitfabrikanten Schritt für Schritt abzusetzen beginnt. »Nicht etwa, dass wir uns zusammengesetzt und gesagt hätten: Wir müssen Chinn und Chapman jetzt loswerden«. Aber da ist der Drang, ein wirkliche Hardrockalbum aufzunehmen. Die Gelegenheit ergibt sich, als sie mit den Aufnahmen zu Sweet Fanny Adams beginnen.

Chinn und Chapman sind nicht verfügbar, sie sind in den USA. »Also fingen wir an mit Phil Wainman aufzunehmen. Ich hatte einen Haufen Songs geschrieben und es gab ein paar gute Chinn & Chapman Songs. Als die beiden schließlich aus Amerika zurückkamen und wir das Album fertig hatten, waren sie einerseits beeindruckt, andererseits aber nicht gerade begeistert. Sie hatten das Gefühl hatten, die Kontrolle über uns verloren zu haben. Für mich war das ganz einfach: Ihr wart nicht da, also haben wir weitergemacht«. Sweet Fanny Adams erscheint im April 1974 und definiert den Sweet – Album Sound, zu dessen Markenzeichen auch die extrem hohen Backgound Chöre gehören, die später auch ein „Hinhörer“ bei Queen werden.

Noch während der Aufnahmen wird Brian Connolly bei einer Schlägerei schwer verletzt. »Jemand hat mir erzählt, er wollte nur Zigaretten holen. Naja, es war Brian, er hatte sicherlich auch was getrunken. Er hat wohl etwas gesagt, was jemand in den falschen Hals gekriegt hat. Vielleicht hat er die Freundin von einem Typen angesprochen, und der fand das nicht komisch. Das nächste, an was er sich erinnert, war, dass er von allen Seiten getreten wurde. Und dann flüchteten sie und liessen ihn schwer verletzt zurück.

Sie hatten ihn auch am Kopf getroffen und am Hals. Er nahm die Verletzung möglicher schlimmer wahr, weil ihn ein Gedanke umtrieb: Kann ich überhaupt jemals wieder singen?« Dadurch fällt ein gemeinsamer Auftritt mit The Who im Juni 1974 flach, worüber sich Andy Scott noch heute ärgert: Pete Townshend hat die Band persönlich eingeladen, eine Show im Charlton Athletic Football Ground zu eröffnen. Die anschließende Tour auf der Insel wird ebenfalls abgesagt, damit ist für die Band eine Chance vertan, sich als „ernsthafte Musiker“ in ihrer Heimat zu beweisen.

Mit den Singles ›Fox On The Run‹ und ›Action‹, die im Frühjahr und Sommer 1975 erscheinen, erbringen die Musiker den Beweis, dass sie selbstgeschriebene und -produzierte Hits landen könne, ›Action‹ findet später seinen Widerhall im Schlussteil von Queens Hit ›Bohemian Rhapsody‹. Plagiat? So eng sieht das Andy Scott nicht, er sieht das eher als einen Verweis darauf, dass die zitierenden Künstler das Original mögen. »Ich verstehe auch diesen ganzen Songwriter-Nonsens nicht, als etwa George Harrison verklagt wurde, weil ›My Sweet Lord‹ und ›He’s So Fine‹ (ein Hit der Chiffons von 1963) das Gleiche sein sollen. Ja, es gibt ein paar Noten, die sehr ähnlich sind, aber das sind doch Aufnahmen mit einem völlig anderen Klang.

Oasis haben sich immer wieder Stückchen von den Beatles geborgt, einer der größten Hits von Robbie Williams klang nach einem James Bond Thema, und vor einigen Jahren wurde der Gitarrenpart von unserem ›Love Is Like Oxygen‹ in einem Rap-Hit benutzt«. Umgekehrt hat Scott in einem Interview einem englischen Journalisten den Satz in die Feder diktiert: »Ich habe eine ganze Menge Jeff Beck und Hendrix in einige der billigsten und garstigsten Pop-Singles aller Zeiten eingebaut, und keiner merkt’s«. Als da wären? »Naja, zum Beispiel der Schlussteil von ›Ballroom Blitz‹, wenn es in den Fade Out geht, dass ist eine Art Light-Version von Jeff Becks ›Goo Goo Barabajagal‹, dann das Intro für ›Teenage Rampage‹. Das ist definitiv Jimi Hendrix. Es gibt einfach keine neuen Gitarren-Licks, jeder borgt sich was von jedem«.

Mit gestärktem Selbstbewusstsein entern sie in der zweiten Jahreshälfte 1975 die Münchner Musicland Studios, um mit Reinhard Mack aufzunehmen. Der Mann, der später das Electric Light Orchestra aufnehmen und als Co-Produzent bei Queen fungieren wird, ist in den Liner Notes des Albums Give Us A Wink allerdings nur als Toningenieur aufgeführt. »Er fragte mich, ob er uns produzieren könnte, und ich antwortete, da sollte man wirklich drüber nachdenken. Weil wir gut miteinander auskamen, und weil Give Us a Wink einen ganz eigenen Sound hat. Aber die anderen meinten: Wir haben eben erst unsere verdammte Freiheit erlangt, gerade jetzt sollten wir nichts abgeben, an niemanden«.

Die Band ist experimentierfreudig, der Toningenieur zieht mit. Sie basteln gemeinsam einen Led-Zeppelin-ähnlichen Sound für die Drums, beispielsweise für das siebenminütige ›The Healer‹, das eher ein Trip denn ein Song ist. Heavy, ohne wirkliches Strophe-Refrain-Strophe Schema und mit einem hypnotischen Groove ausgestattet. Im Gegensatz zur durchkomponierten Hitsingle ›Action‹ entwickelt die Band viele andere Stücke aus einem Gitarrenriff oder einem Drum-Pattern. »Ich erinnere mich, dass wir im Studio zusammenspielten, und uns immer Zeichen gaben, wenn die Tonart wechseln sollte«. Ausserdem findet sich auf dem Album das tonnenschwere, metallische ›Cockroach‹ mit einem fiesen Text, in dem eine Frau mit einer Kakerlake gleichgesetzt wird: »Wenn man einen Riff wie diesen aufnimmt, dann sollten die Lyrics so stark und so – sagen wir mal – so eklig wie möglich sein«, meint Scott nur.

Am 24. März 1976, Sweet sind auf US-Tour, es ist die letzte Nacht im Santa Monica Civic Center und zur Zugabe erweist ihnen Ritchie Blackmore die Ehre eines Gastauftritts, fünf Tage nach dem Tod des Ex-Free-Gitarristen Paul Kossoff, der an diesem Abend mit seiner Band Back Street Crawler ebenfalls hätte auftreten sollen. Scott erfährt vom Tod des jungen Gitarristen durch Ritchie Blackmores Tour-Manager, den er zufällig trifft. Spontan lässt er anfragen, ob der Mann in Schwarz nicht Lust auf einen gemeinsaem Kossoff-Tribute habe. Er hat. Sie spielen ›All Right Now‹, Scott und Blackmore teilen sich das Solo.

»Es fehlte die Ehrlichkeit«, hat Andy Scott vor Jahren über das Folgealbum Off The Record gesagt, das Sweet von Oktober 1976 bis Januar 1977 in London aufnehmen. Der Tonträger schlingert in jedem Fall etwas unentschlossen zwischen hart rockender Kante und überproduziertem Pomp. »Wir haben dafür einige Songs ausgegraben, die es nicht auf die Vorgänger geschafft hatten«. Dennoch: Beim Hören der CD-Wiederveröffentlichung sei ihm aufgefallen, dass es doch besser klinge, als in seiner Erinnerung, urteilt Andy Scott heute. Aber Off The Record ist eben auch ein „Vertragserfüllungs-Album“ für die Plattenfirma RCA, der Wechsel zu Polydor steht bereits im Raum.

1978 soll noch einmal da Jahr von Sweet werden: Mit der neuen Plattenfirma im Rücken nehmen sie im Chauteau Herouville Studio nahe Paris und im britischen Clearwell Castle auf. Aber Brian Connollys Alkoholprobleme werden immer mehr auch zum Problem für die Arbeit der Band. »Wir merkten, dass Brian nicht alle Songs singen konnte, also übernahm Steve Priest einige, und ich einen oder zwei. In der Zeit, in der man sich hinstellt und versucht, es jemandem beizubringen, kann man sich auch ans Mikrophon stellen und es selbst machen«.

Für Brian Connolly, den Motor der Band in den Anfangszeiten, ist diese Zeit der Anfang vom Ende. Conolly, der Trinker. Der Mann, der sich immer wieder selbst in Schwierigkeiten bringt. Der 1997, mit 51 Jahren an den Folgen seine Lebensstils stirbt. Andy Scott sagt, er habe oft und lange über Brian nachgedacht. »Ich glaube, ich kann dazu jetzt etwas Gültiges sagen. Als ich in die Band kam, war Brian definitiv der Anführer. Er hat alles gemacht, vielleicht nicht in musikalischer Hinsicht. Aber er organisierte alles. Wenn es ein Problem mit dem Transporter gab, löste er es.

Wenn Auftritte ausgemacht werden sollten: Er machte es. Er wusste immer, was lief – und der war charmant, es war auch großartig mit ihm auszugehen. Sobald wir Erfolg hatten, hatten wir ein Büro, weil wir ständig unterwegs waren. Ich glaube, damit ist etwas in seinem Leben verlorengegeangen, als andere das übernahmen. Dann wurde er geselliger und Du wusstest bei ihm nie, wieviel er getrunken hatte, genauso war es mit Mick Tucker. Bei mir war das anders, da hast Du es sofort gemerkt, wenn ich einen zu viel intus hatte. Drum hatte ich wohl auch einen Stop-Schalter, er nicht«. Im Frühjahr 1978 touren Sweet mit Bob Seger and the Silver Bullet Band. Der Auftritt in Birmingham, Alabama wird zum Desaster. Der Sänger ist vor 20.000 Menschen rasend betrunken. „Er hatte absolut keine Ahnung, wo oder wer er war“, schreibt Steve Priest in seiner Autobiographie. Nach einem Song wird Connolly von der Bühne gezerrt . Am 23. Februar 1979 wir sein Ausstieg aus der Band offiziell verkündet, er plane jetzt eine Solokarriere. Damit ist die bekannteste und erfolgreichste Sweet Besetzung am Ende angekommen.

Andy Scott hat Sweet in unterschiedlichen Inkarnationen weiter betrieben, in diesem Jahr ist auch wieder ein neues Studioalbum New York Connection erschienen – mit teilweise unerwarteten Coverversionen (Black Keys, Springsteen, Dead Or Alive und selbstredend The Who) Vielleicht schließt sich hier en Kreis: Das Album bringt klangtechnisch die Pop-Sweet mit den Rock-Sweet zusammen – und das kam so: »Mein Sohn, er ist jetzt mein Toningenieur, hat ein bisschen mit Loops und Songs herumgespielt, dann kam ihm der Who Song ›Join Together‹ über den Weg gelaufen, der passte auf diesen Sweet-Jungle-artigen Rhythmus, und ich hatte das Gefühl, da könnte man was draus machen. Die Band hat es gehört, und gemeint. Lasst uns ins Studio gehen und schauen, was passiert. Wir haben den Drummer dazu gebracht, so ähnlich wie ein Loop zu spielen. Dann haben wir den Song neu arrangiert und in Deutschland auf die Bühne gebracht, dann haben wir ihn im Internet veröffentlicht, und nach einer Weile hatten wir schon drei, vier Songs. Also schien doch noch etwas Leben in dem alten Hund zu sein! Ich hatte eigentlich geglaubt, die Band würde nie wieder etwas aufnehmen. Zumindest schien niemand dran interessiert zu sein. Dann machst du so etwas, und schon tut sich fast eine neue Karriere auf«.