Besser als die Stones
Als Gitarrist George Kooymans und Bassist Rinus Gerritsen 1961 in Den Haag „The Tornados“ gründeten, die sie ein Jahr später zunächst in The Golden Earrings, dann in Golden Earring umbenannten, hätten sie sich wohl nicht träumen lassen, das die Band 50 Jahre später noch immer existieren würde – und das seit 1970 in der gleichen Kernbesetzung mit Sänger Barry Hay und Drummer Cesar Zuiderwijk. Das Tempo allerdings ist langsamer geworden bei den Mittsechzigern: Tits’n Ass ist das erste reguläre elektrische Studioalbum seit neun Jahren.
Es habe keinen Streit in der Band gegeben, wiegelt George Kooymans gleich ab, und »das Gefühl, es könnte das letzte Album sein, hatten wir nie«. Die Zeiten hätten sich einfach geändert. Früher schrieb man schon auf Tour fürs nächste Album, der Druck war größer. Immerhin ist seit Millbrook USA (2003) mit Naked III (2005) das dritte Unplugged-Album erschienen, und 2006 demonstrierte Live in Ahoy in Ton und Bild, dass die Herren immer noch eine nationale Institution sind. George Kooymans hat zudem 2010 mit dem amerikanischen Gitarristen und Sänger Frank Carillo ein wunderbar trockenes, roots-rockiges Album gemacht.
Carillo ist einer der Gastmusiker auf Tits’n Ass, in seinem Studio war auch schon Millbrook USA aufgenommen wurde. 2008 fing Kooymans mehr oder weniger gezielt an, Songs zu schreiben. Er ist schon von Anfang an für den Löwenanteil der Musik zuständig, Barry Hay für die Texte. Schlugen sich die beiden zusammen in den 70er Jahren die Nächte mit allerhand inspirationsfördernden Genussmitteln um die Ohren, läuft das heute ganz anders. Schon allein aufgrund der Tatsache, dass Barry Hay jenseits des Atlantiks auf der Antilleninsel Curacao lebt. »Man muss Barry begeistern. Ich meine, ich kann ihm 30 Ideen rüberschicken, aber wenn er nichts draus macht, muss ich einfach warten, bis er aus der Deckung kommt. Nach ein paar Songs, die ich ihm geschickt hatte, kamen schon einige Zeilen, und da wusste ich: jetzt sind wir auf dem richtigen Weg«.
Der nächste Schritt war die Kontaktaufnahme mit Chris Kimsey. Der Engländer, der als Produzent und Toningenieur mit so unterschiedlichen Künstlern wie Peter Frampton, Marillion, The Cult, New Model Army oder den Rolling Stones gearbeitet hat, hatte aber offenbar andere Sound- Vorstellungen als die Band. Für Kooymans jedenfalls klang das zu sehr nach Rolling Stones: »Seine Mixe waren schon in Ordnung, sie waren schmutziger und klangen sehr direkt. Wir wollten aber einen etwas „größeren“ Sound. Der Gitarren klangen auch zu undefiniert, also haben wir es noch einmal in meinem Studio neu abgemischt«.
Das Direkte, Unmittelbare, auf das Kimsey hinauswollte, ist in der fertigen Abmischung dennoch zu spüren. Denn eigentlich ist Tits’n Ass ein im Studio eingespieltes Livealbum, bei dem lediglich Gitarrensoli und etwas Percussion später hinzugefügt wurden. Für die Athmosphäre sind auch die beiden Gäste wichtig (neben Frank Carillo steuert Jan Roymaans eine wohlige Hammond-Grundierung bei). Carillos Slide-Gitarrenspiel verleiht dem Album eine amerikanische Note. »Als wir die Demos aufgenommen haben, habe ich mich mit ihm zusammengesetzt und wir fingen an über die Arrangements zu reden. Er hat mein Interesse an Roots-Musik geweckt. Ich glaube, das hört man auch ein bisschen auf diesem Album«.
Die Band aber bleibt ein Quartett. Erweiterungen gab es immer, waren aber nie von Dauer: So spielte in den späten 70er Jahren der damals in Holland schon legendäre Bluesgitarrist Eelco Gelling als Sparringspartner von Kooymans die zweite Gitarre, zuvor hatte man mit Keyboarder Robert Jan Stips (bekannt auch von The Nits) einen anderen Sound probiert. Stips ist bis heute immer wieder Gast bei großen Live-Auftritten, aber »man hat diese Leute gerne ein paar Jahre dabei, aber es ist schön, auf die Basics zurückzukommen, und zu sehen, was man zu viert machen kann«. Warum dieser harte Kern seit so langer Zeit funktioniert, »das fragen mich natürlich viele Leute« lacht Kooymans. »Man muss nicht wirklich eng befreundet sein,. Wir leben ja auch alle an unterschiedlichen Orten. Aber man hat doch all die lachhaften Auseinandersetzungen hinter sich gelassen, die man hatte, als man jünger war. Die Sachen, an denen Bands zerbrechen: Frauen, Drogen oder Schnaps. Oder alle drei«. Mit einem „amerikanischen Album“ wäre eine USA-Tour eigentlich ein naheliegender Gedanke. Aber Kooymans winkt ab. »Es müsste sich lohnen. Da ginge es nicht mal darum, Geld zu verdienen, aber man sollte zumindest keines verlieren! Frank Carillo spielt auch kaum zu Hause. Selbst wenn sie für relativ wenig Geld spielen würden, da kommt einfach keiner zu den Gigs«. Golden Earring haben sich seit 20 Jahren nach und nach von dem Druck befreit, irgendwo da draussen in der Welt etwas beweisen zu müssen. »Es ist doch egal, ob du in Schiedam spielst oder in Biloxi, Missouri. Hier können wir uns um 23.30 Uhr wieder vor den Fernseher setzen«, hat Bassist Rinus Gerritsen vor Jahren einem Interviewer erzählt.
In dieser komfortablen Situation muss man erst einmal sein: Inspiriert von den MTV-Unplugged Konzerten und misstrauisch beäugt von der Plattenfirma veröffentlichten sie 1993 The Naked Truth. Drei Tage lang spielte die Band für das Album vor jeweils rund 80 Gästen im Grand Café de Kroon in Amsterdam. Das Album wurde ein Riesenerfolg, seither stehen deutlich mehr kleine akustische Gigs als große elekrifizierte auf dem Tourplan. Aber zunächst hatte George Kooymans richtig Angst: »Ich hatte gestrichen die Hose voll, weil wir nie vor einem Publikum Sachen wie Radar Love akustisch gespielt hatten. Es wurde noch furchterregender, als wir in die Theater gingen. In einem Café gibt es ja einen Geräuschpegel. Aber in einem Theater, da ist absolute Stille….oh Mann. Aber man wird eine bessere Band, weil man wieder anfängt, genauer auf den anderen zu hören. Man kommuniziert anders als bei voll aufgerissenen Verstärkern«. Auf die Art, Songs zu schreiben, hatten diese Erfahrungen keinen Einfluss, sagt Kooymans. Sein Material entstehe sowieso seit Jahren auf der akustischen Gitarre, und es gibt tatsächlich schon wieder neue Songs für en Nachfolgealbum. »Neun Jahre wollen wir nicht nochmal warten, dann wären wir vielleicht wirklich zu alt«.
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