Eine holländische Rock-Institution gab sich die Ehre
Golden Earring, Badnerhalle, Rastatt, 2.9.2016
Es gibt einen Witz, der kurzgefasst so geht: Irgendwo in einem warmen Land ist jemand vollkommen genervt von nächtlicher Trommelei, und möchte der ein Ende setzen. Bis ihm ein Einheimischer rät: „Bloss nicht, dann würde etwas Schreckliches passieren!“ „Was?“ fragt der Genervte zurück und bekommt die Antwort „Bass-Solo!“. Bei Golden Earring gibt es beides, in umgekehrter Reihenfolge. Wenn Bassist Rinus Gerritsen faltigen Gesichtes an den Saiten seines doppelhalsigen Instrumentes rupft und zerrt, nervt es dennoch nicht. Weil man es als Pose und Parodie auf Rock’n’Roll-Energieüberschuss der frühen 70er Jahre betrachten kann, der dieser nationalen niederländischen Institution damals selbst in den USA Erfolg bescherte. Auch als Ritual ist das Bass-Solo unverzichtbar in diesem seltenen Deutschlandkonzert in der Rastatter Badnerhalle.
Über 30 Alben hat die Band (deren Anfänge bis 1961 zurückreichen) seit 1965 eingespielt. Allein mit den großen Hits „Radar Love“, „Twilight Zone“ und den kleineren Erfolgen liesse sich ein dreistündiges Programm zusammenbasteln, aber das Quartett liebt es kurz, laut und knackig und beschränkt sich auf Bewährtes, mit Ausnahme des Konzert-Openers „Identical“ vom bislang letzten Album „Tits’n’Ass“ (2012). Sänger Barry Hay hängt lässig mit beiden Armen festgeschraubt am Mikrofon, stellt seine über Jahrzehnte gewachsene Tattoosammlung aus und kann mit Sonnenbrille und schwarzem T-Shirt auch mit 68 noch ein Identifikationsmodell für den Typ Rock’n’Roller abgeben, der hierzulande in seiner Jugend sicher als „Halbstarker“ bezeichnet worden wäre. Die Stimme kann’s sowieso noch: Rotzfreches Halbwelt-Timbre in schönem Kontrast zum engelsgleichen Organ von Gitarrist und Hauptsongschreiber George Kooymans, der mit „Another 45 Miles To Go“ gleich danach den Sehnsuchtssong der Band aufführt. Überhaupt Kooymans: Gäbe es einen Preis für den Rockgitarristen, der alle Bühnen-Klischees vermeidet, er hätte ihn verdient. Keine Breitbeinigkeit, keine großen Gesten, stattdessen abgeklärtes Understatement. Kooymans ist in ein Arbeitspferd, das mit seiner Rhythmusgitarre die Räume dichtmacht, dessen Soli manchmal lange nicht aus dem Quark kommen, sondern sich erst langsam splitternd und kreischend aus dem Groove schälen, wie in „Twilight Zone“, während Gerritsen stoisch seine drei Töne am Bass wiederholt. Den höchsten Rock’n’Roll Faktor erreicht „The Devil Made Me Do It“, unterfüttert vom passgenauen „Räudiger Hund spielt Saxofon“ des Langzeit-Kollaborateurs Bertus Borgers, den anrührendsten Balladen-Moment setzt „Going To The Run“ – eine quasi taufrische Cinemascope-Ballade (aus dem Jahr 1991). Eine Verbeugung vor dem Biker-Freund Ed, der wie ein Filmstar aussieht und mit dem Lächeln eines Prinzen auf seiner Harley reitet. Ach, Zeiten waren das, denkt man, während sich Cesar Zuiderwijk mit Aplomb in sein musikalisch ansprechendes Drumsolo stürzt, das erwartungsgemäß in eine angenehm ausgefranste, überlange Version von „Radar Love“ mündet. Nach rund 70 Minuten ist Schluss. Was der Band offensichtlich keiner der Fans übelnimmt. Schließlich haben sie gerade eine lebende Legende in einem Konzert erlebt, das zwar vorrangig nostalgische Sehnsüchte bediente, aber doch deutlich über Routine-Level lag.
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