Solides Handwerk
Gotthard in der Festhalle Karlsruhe-Durlach, 23.4.1999
Es muß eine Renaissance der achtziger Jahre geben, alle Anzeichen sprechen dafür: Die Menschen wollen wieder schreckliche Popmusik a la Pet Shop Boys hören. Das macht uns Angst. Nun haben aber jüngst zeitgleich die Kritikerpäpste vom deutschen Rolling Stone, die unter dem Motto schreiben „alles gehört, nix begriffen“, eine Renaissance des Hardrock ausgemacht, sehr zu ihrer Beunruhigung. Das wiederum macht uns alten Luftgitarrenschwingern alles andere als Angst.
Und so kamen gleich weit mehr als tausend von uns, um die Beinchen zu spreizen und die Fäustchen in die Luft zu recken. Und mit wallendem Haupthaar kurzatmig Verschen mitzusingen wie „… guess you’re out in the street, shakin‘ legs every night….“ Aber hallo! Das waren noch Zeiten, als die Cabrios noch rosa und vier Meter breit waren und wasserstoffblon-dierte Schabracken auf den Kühlerhauben sich schlangengleich räkelten. Die ganze Welt ein Gitarrenriff, die ganze philosophische Grundlage eine Flasche Jack Daniels auf der Überholspur. Und heute? Die Schweizer Nachmacher Gotthard fingen erst an, als dieser amerikanische Traum schon ausgeträumt war. Und sie sind demzufolge das Fake des Fakes. 15 Jahre nach der Blüte derart Musik wirken sie wie eine Stilblüte. Und sie wollen sogar erfolgreich sein. Mit ihrer aktuellen CD „Open“ haben sie sich bis zur Kenntlichkeit verbogen. In vorauseilender Anbiederung an ein Publikum, das es garnicht gibt. Aber sie glauben dran. Zumindest sagen sie immer „Yeah…“ und „allright“ und solche Sachen. Und das begeisterte Volk frißt ihnen solange aus der Hand, bis wieder die alten Qualitäten hervorgezaubert werden: „Make my Day“ beispielsweise zeigt, wie handfester Rock’n’Roll geht. Aus zweiter Hand zwar, aber immerhin. Vielleicht ist das eine Geschichtsstunde: Weil es das alles 1999 gar nicht mehr gibt, führt die seltsame Hinterwäldler-Truppe es der Jugend vor. Plus einem ausgeprägten Hang zu Coverversionen noch älterer Stücke: Durch die Mangel gedreht werden u.a. Dylans „Mighty Quinn“, „Hush“ vn Deep Purple und dann noch „Blackberry Way“ von The Move. Das ist dann allerdings schon höchst pädagogisch. Alle diese Coverversionen klingen letztlich gleich: Wie geplatzte Bratwürste nämlich. Was sich bei guter Laune super anhört, wirklich…. Der erste Zugabenteil dagegen weniger: Etwa 357 Balladen wurden hier in ca. 17 Stunden Länge zum Vortrage gebracht, deren eine „One life, one soul“ sagar freiwillige Hilfschöre hervorruft. Und deren andere, „Let it rain“ darüber hinaus schon aus dem Radio bekannt ist. Und noch freiwilligere Hilfschöre…. Sänger Steve Lee im Glitzerjacket jetzt endlich. Feuerzeug aus, Saallicht an. Im zweiten Zugabenblock kommt es überraschender-weise zu fünf Minuten richtiger Rockmusik mit allem, was dazugehört. Bei fettestem Sound und größtmöglicher Luftgitarrendichte. Manch einer jetzt verunsichert guckt, nicht so ich und andere Veteranen der Kraftrockfront. Gotthard: göttlich. Vorausgesetzt, man nimmt’s nicht ernst. Tut ja wohl auch keiner. Ausser den Musikern selbst vielleicht.