Rainald von Münchhausen, der Verwirrende

Rainald Grebe mit dem „Münchhausenkonzert“ im Tollhaus, Karlsruhe, 22.2.2020

Rainald Grebe, das ist diese irritierende Bühnenfigur, bekannt für illusionslose Hymnen auf desolate Bundesländer, der früher mal mit langem abnehmbarem Bart aus Dichtungshanf, ein anderes Mal mit Indianer-Kopfschmuck auftrat. Heute kommt er in einem schwerem, rotem Königsmantel mit Lichterkette auf dem Kopf in den Saal, als wäre gerade Weihnachten und Karneval gleichzeitig. Da schon fängt das Spiel mit verdeckten Karten an: Was soll das? Warum tut er das? Ah: Vermutlich der Baron von Münchhausen!

Während die Überlegung noch im Kopf kreist, hat Grebe schon wieder den nächsten Gedankensprung gemacht. Auch in seinem sechsten Solo-Programm „Das Münchhausenkonzert“ zeigt er sich als irrlichternder Meister des scheinbar freien Assoziierens, das vom Publikum höchste Konzentration verlangt, während er es mit seinen Marty Feldman-Augen hypnotisiert. Und doch hat dieses Programm eine Linie: der Lügenbaron gibt die Richtung vor, und ja: Grebe ist politischer als vor zehn Jahren. Aber er bleibt Rainald Grebe, auch wenn er schon recht früh am Abend für einen kurzen Moment fast klassisches Zustimmungs-Kabarett macht. Da lässt er Sätze einspielen wie „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen“ und das Publikum darf brav antworten: „Münchhausen“.

Dystopisch angehauchte Lieder über östliche Bundesländer kennt man seit „Brandenburg“. Jetzt fährt der Künstler über Land in Sachsen, sieht AfD Plakate und singt. „Hass! Hass! Hass! Die neue Dauerausstellung!“ Später dann konstatiert er: „Die Schulen sind marode, die Brücken stürzen ein, doch die Versorgung mit Kultur scheint gesichert zu sein“, um diese „Kultur“ unverzüglich kenntlich zu machen als „Sitzkultur, Schlafkultur, Hasskultur“ und noch ein paar Grausamkeiten mehr. Da kommt man schon mal ins Frösteln.

Aber wer nun so etwas wie „schonungslose Aufarbeitung“ erwartet, der kennt Grebe schlecht. Der lässt derlei Erkenntnisse einfach im Raum stehen wie eine Stinkbombe, der schweift immer wieder ab, führt vor, wie viele Realitäten es gibt, die vielleicht – aber nur vielleicht – nichts miteinander zu tun haben. Erst einmal schwärmt er von Bowls, diesen derzeit so modischen Essensschüsseln. Die man aber auch auf Köpfe setzen kann. Dann entdeckt er das „Roofing“ für sich: Auf Dächer klettern, dazu gibt es brutalstmöglich gefakete Fotos. Der Bullshit kommt schleichend in die Gehirne, aber er kommt. „Es gibt fünf Kontinente, sagen ja viele“, und schon ertappt man sich dabei, wie man denkt: Ja klar, warum auch nicht. Ein zugespielter Beitrag des DDR-Fernsehens über echten sächsische Indianer bringt Lacher und ungläubiges Staunen. Man will kaum glauben, dass es so etwas je gegeben haben könnte, und fühlt sich am Tag danach geradezu gezwungen, mal zu googlen. Und siehe da, alles echt. Verunsicherung als Stilprinzip und keine Erlösung. Er zeigt leere Teller an der Wand seines Elternhauses – „als Statussymbol“, und lässt den Zuhörer wieder allein mit der Qual, sich darauf einen Reim zu machen. Wie war das nun mit dem beiläufig hingesagten Satz: „Das Ende der Aufklärung habe ich mir irgendwie dramatischer vorgestellt.“ Sollen wir ihm das wirklich glauben?