Wir sind die Sonne

Grobschnitt, Festhalle Karlsruhe-Durlach, 26.4.2008

Darf man Leute ernst nehmen, die sich bei der Ausübung ihres Berufes Willi Wildschwein, Toni Moff Mollo oder Admiral Top Sahne nennen? Darf man natürlich nicht. Aber unter der Voraussetzung, dass man sie nicht ernst nimmt, kann man ziemlich viel Spaß haben bei einem Grobschnitt-Konzert. Etwas enttäuschende 650 Fans sind zu einem der Reunion- Konzerte der Legende aus der einstigen Popmetropole Hagen in die Durlacher Festhalle gekommen, und es ist wie damals an gleicher Stelle in den 80ern: Die Gemeinde huldigt ihren Göttern. Sprich: Der Ungläubige wird kaum bekehrt werden, der Gläubige wird in der Darbietung der 2007 nach 18 Jahren Pause wiederbelebten Band alles finden, was er zur Ausübung seiner Religion braucht, Schall und Rauch zuvörderst.

Mit „Razzia“, diesem in seiner Stringenz ungewöhnlichen Stück aus der späteren Phase der Band, steigen sie nachgerade schwermetallisch ein. Ein schöner Soundtrack zu einer Revolte, die es nie gab, „Es schellt bei dir, man zeigt das schwarze Ding, und alle müssen an die Wand“ menetekelt Willi Wildschwein, und es blitzt und kracht. In seiner kleinen Ansprache an die Volksmassen klingt der Sänger dann aber selbst wie ein Politiker, lobt die Fans für ihre Treue über die lange Zeit. Die Zeitreise beginnt. „Vater Schmidts Wandertag“ und eine Gutteil aus „Rockpommels Land“ zeigen Grobschnitt als gelehrige Schüler von Vorbildern wie Yes oder Pink Floyd, haben allerdings nur selten deren kompositorische Brillanz erreicht. Auf der Habenseite steht die Unberechenbarkeit mancher Songs, bei denen der Uneingeweihte Ersthörer nie weiß, ob sie im nächsten Moment in Wohlklang oder dissonantes Chaos abkippen. Was die Band aber immer, so auch an diesem Abend auszeichnet, ist die Spielwut, der druckvolle und transparente Sound und ihre Bühnenshow.    Ein Gutteil des Unterhaltungswertes der Reunion Tour ist der Tatsache geschuldet, dass auch die knapperen, poppigeren Stücke wie „Keine Angst“ (gesungen vom kleinen Tono Moff Mollo im Supoerman-Kostüm!) oder „Könige der Welt“ vom „Kinder und Narren“-Album eine Chance bekommen, und der Tatsache, dass die Band (jetzt auch um Musiker-Söhne verstärkt) alle stilistischen Abschweifungen souverän unter einen Hut bringt und damit Schubladendenkern zeigt: Das geht, man muss nur wollen. Und ist da gar ein Funken Ironie, wenn Willi Wildschwein das Instrumental „Silent Movie“ als ein Stück ansagt, dessen Text bis heute nichts an Aktualität verloren habe? Was über die Musik des Grobschnitt-Trademark-Songs „Solar Music“, die den zweiten Teil des dreieinhalbstündigen Konzertmarathons beschließt, beim besten Willen nicht gesagt werden kann. Hier werden eine halbe Stunde und mehr allerhand vorgeblich dramatische Versatzstücke hin und hergeschoben, und ergeben doch kein stimmiges Ganzes, hier verwechseln die Schöpfer allzu oft Taktwechsel mit Spannung, großflächiges Wabern mit Erhabenheit, Aber sei’s drum, des wegen sind die Menschen gekommen, und nun kriegen sie es auch in voller Luxusausstattung Gitarren steigen endlose Treppen herauf und herunter, „Keyboardteppiche“, mit denen man Lagerhallen und Aberlagerhallen füllen könnte, machen sich im allgegenwärtigen Nebel breit, raunerisch meint man Schamanen in beschwörenden Tänzen schreiten zu hören, unangenehme Geräusche, Feuerwerk, funkensprühende Schwerter, ah und jetzt: Fackeln im Sturm, Maskenball der Außerirdischen. Goldregen und Narhalla-Marsch oder etwa ähnliches. Je mehr es dem Ende entgegentaumelt, desto mehr fühlt es sich wie eine Mischung aus Selbsterfahrungsgruppe und Fasnachtsball an. Endlich, die erlösenden Worte: „Wir sind die Sonne!“ Na sicher, ist doch klar. Mindestens.