Eingestellt am 31.7.2025

2024, am 15. Mai habe ich die Seilschaft zum zweiten Mal live erlebt. Und es war mir ein Fest. Eines der intensivsten Konzerterlebnisse in meinem an intensiven Konzerterlebnissen nicht eben armen Leben. Warum? Ich will es euch erklären: 1992 war es, als der Liedermacher Gerhard Gundermann begann, mit einer Band aufzutreten. Die Seilschaft machte seine Lieder zu kraftvollen Rocksongs und verschaffte ihm vor allem im Osten Deutschlands bis zu seinem plötzlichen Tod 1998 eine treue Fangemeinde. Gundermann & Seilschaft spielten unzählige Konzerte, auch im Vorprogramm von Joan Baez und Bob Dylan und wurden ausgezeichnet mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik. Im Westen blieb die Band allerdings eher ein Geheimtipp. Das begann sich seit 2018 durch den preisgekrönten Film „Gundermann“ von Andres Dresen zu ändern. Die Musiker hatten schon 2008 erstmals wieder bei einem Gedenkkonzert in der Berliner Columbiahalle gemeinsam auf der Bühne gestanden. 2021 gabe es dann endlich „Dein Paket“, das erste Album mit neuen, eigenen Songs der Gundermann -Band. Damals schrieb ich darüber: „Ein Album, dessen Musik sich zwischen Rock und Folk, zwischen kraftvollen Mutmacher-Nummern und verhaltener Melancholie bewegt. Die Texte fangen Momentaufnahmen und Stimmungen ein. In den besten Momenten erzählen sie eine Geschichte, für die andere einen Roman geschrieben hätten“.
Das ist eine unvollkommen Beschreibung dessen, was mit so durch den Kopf rauscht, wenn ich die Musik höre und die Texte aufsauge. Eine Beschreibung, die aber auch für die Songs aus der Zeit gültig ist, als Gerhard Gundermann noch lebte. Und immer wieder singt meine innere Stimme die Zeilen „gib mir die versteckten Stiefel wieder, da draussen schreit mein letzter Tag. Ach ich käme doch so gerne wieder her zu dir, die keine Sieger mag.“ Den zweiten Teil verstehe ich. Den ersten? Wer weiss das schon? Und muss man alles verstehen? Aber es hat eine Magie, der man sich nur schwer entziehen kann. Es sind Zeilen aus dem Titelsong des Albums „Der 7te Samurai“. Dem ersten, das diese Band gemeinsam einspielte vor 30 Jahren und das nun im Mittelpunkt der laufenden Tour steht – weil es eine unplugged-Neueinspielung von 2023 gibt.
Der „Samurai“ ist auch mein Gundermann Jungfern-Album. Wie komme ich als ahnungsloser Wessi dazu? Nun, genauso wie zu Bob Dylan – auf dem Umweg über BAP. Als es Ende der 90er Jahre bei den Kölnern eine gründliche Umbesetzung gab, war da plötzlich ein Tastenmann an Bord namens Michael Nass. Ich als eingeschworener BAP-Afficionado wollte natürlich wissen: Wo kommt der her, was hat der früher gemacht? Und so erwarb ich zum ersten Mal eine Gundermann-CD. Und war unvermittelt fasziniert. Von der Musik, von den Texten – die so viele Assoziationen zulassen. Zugegeben, manche Gundermann-Songs erschlossen sich dem „gelernten DDR-Bürger“ wohl leichter als den im Westen sozialisierten Menschen wie ich einer bin. 2007 war ich mit BAP eine Woche lang unterwegs für die Recherche zu einer Jürgen Zöller-Biografie, und in einer feuchtfröhlichen Hotelbar-Nacht fragte ich Michael Nass alles, was ich über Gundermann wissen wollte. Leider konnte ich mich am nächsten Tag nur spärlich erinnern. Es war – wie gesagt eine feuchtfröhliche Hotelbar-Nacht. Soviel zur Vorgeschichte.
Nun also Weimar, mein zweites Seilschaft-Konzert nach Fürstenwalde im vergangenen Sommer. Ein Wunschkonzert für die Fans, ein besondres Konzert ind er Geburtsstadt von Gerhard Gundermann. Und doch ist es keine irgendwie geartete Anbiederung der Band an einen vermeintlichen oder tatsächlichen Publikumsgeschmack, und es ist auch kein Greatest Hits-Konzert. „Hier bin ich geborn, wo die Kühe mager sind wie das Glück. Hier hab ich meine Liebe verlorn und hier kriege ich sie wieder zurück. Hier liegt mein Vater unter der Erde, meine Mutter liegt auf`m Balkon“ singt Christian Haase und das Spiegelzelt leuchtet von innen. Auf der Bühne wie im Publikum. Wenn man in der ersten Reihe sitzt, quasi mitten in der Tretminen-Galerie von Mario Ferraro, dann packt einen die Musik auch nochmal physisch ganz anders. Und wenn man die Interaktion der Musiker aus nächster Nähe beobachtet, wird der Spaß, den diese höchst professionelle, aber in keinem Moment zur Routine erstarrte Band hat, doppelt spürbar.
Von links nach rechts: Mario Ferraro spielt seine Gitarre mit einem ausgeprägten Bewusstsein für Klangfarben, feinnuanciert aber nie effektheischend. Er kann sich zurückhalten, aber auch im richtigen Moment eskalieren. Und wenn Christian Haase zur Stromgitarre greift und die beiden zusammen Riffs ins Zelt schiessen, dann steht das wie ein Bollwerk gegen alles Böse auf der Welt. Neil Young sollte sich mal die Seilschaft-Version von „Rockin’ In The Free World“ anhören („Alle oder Keiner“). Die glüht. Aus „Rattenfänger“ macht die Seilschaft-Gitarrenfront eine ganz eigene Art von wohldosiert angemessenem Hardrock (ohne die genreübliche Breitbeinigkeit), weil es auch der Text verlang. „Da unten in der Kanalisation. Da üben schon wieder die Ratten Karate“. Da braucht es keine politischen Reden des Barden, nur einen kurzen Hinweis auf die bevorstehende Europawahl, und jeder weiss, wie aktuell Gundermann-Songs sein können. Auf dass das „saudumme Mädchen“ aus dem Text niemals gewinnen werde. Christian Haase muss keine Reden halten, seine und Gundermanns Texte erreichen die Menschen auf einer ganz anderen ebene – weil sie nie vertonte Plakate sind. Michael Nass hat es mir mal in einem Interview so erklärt: „Wir versuchen, den Menschen eine Art positive Grundhaltung mitzugeben. Das war der Grundtenor, den Gundermann ja auch hatte. Und wenn man sich Klassiker von ihm anhört, dann ist da natürlich auch Sozialkritik dabei, wie auch meinetwegen bei Ton Steine Scherben. Aber immer mit dem Unterton, Hoffnung zu verbreiten oder nochmal von oben drauf zu gucken. Das ist auch heute unsere Haltung.“ Da ist zum Beispiel „Saltimbocca“ vom aktuellen Album „Dein Paket“. Diese Geschichte von einem einsamen Mann, der doch gern mal seine Kochkunst auf zwei statt nur einem Teller präsentieren möchte. Solche anrührenden Geschichten erzählen nur wenige, vielleicht gerade mal Wolfgang Niedecken oder Stefan Stoppok….
Und Kitsch geht schon gar nicht. Klar, Haase kann nichts für diese wunderbare Stimme, die ihn quasi von Natur aus vor Gefühlsduselei bewahrt, aber dennoch: Wer Emotionales so auslebt wie er in „Wenn man liebt“, der hat mehr drauf, als sich nur auf sein zuverlässiges Organ zu verlassen. Da stimmt jede Nuance, jede Betonung, jeder Blick. Wer das mit allen Sinnen hört und sieht und davon unberührt bleibt, muss tot sein.
So. zwischen den beiden steht etwas im Hintergrund der Maestro der Tasten, Michael Nass. Der arbeite über weite Strecken des Konzerts nach dem Prinzip: Die Hammond ist ein Instrument, das oft erst dann auffällt, wenn man es weglässt. Aber dann würde es sehr fehlen. Sprich: Er spielt songdienlich, drängt sich nicht zwischen die Gitarren – aber seine Orgel und die gelegentlichen Synthie-Einwürfe sind solides Fundament der Seilschaft-Musik. Dass er als Produzent weitgehend für die Klangästhetik der Bad mitverantwortlich zeichnet, ist ein wichtiger Faktor. Und er hat sichtbar eine Heidenspaß. Einmal – ich weiß nicht mehr am Ende welchen Songs, eskaliert er in einem Hammond Solo. Das Instrument wackelt gar bedenklich, es dampft und zischt und faucht wie ein Schlachtroß. Hier trifft der Spruch des großen Philosophen Ian Gillan: „The Hammond is a wild animal, and you got to know how to ride ist“. Mr. Wet knows how to ride it. Und wenn es mal folkig werde soll, bitteschön- das Akkordeon steht dem Herrn ebenso formvollendet zu Gebote, sodaß er unverzüglich in Rudolstadt willkommen wäre.
Dann ist da noch dieser mit „Multiinstrumentalist“ nur unzureichend belobigte Andy Wieczorek. Der spielt allerhand kleine und klitzekleine Flöten, Saxofone, und – ganz wichtig – the mighty mighty Cowbell. Und er singt. An diesem Abend isst er auch noch ganz gemütlich eine Stulle – und macht dazu eine Unschuldsmine, als sei das nur ein weiteres Instrument. Vielleicht ist es das ja auch, denn dieser Mann weiss, dass man Musik zwar ernsthaft betreiben sollte, aber nie den Humor vergessen. Allein seine diversen Gesichtsausdrücke wären jedem Kameramann eine Nahaufnahme nach der anderen wert. Das alles wird zusammengehalten von der felsenfesten Rhythmusabteilung – Christoph Frenz am Bass und Tina Powileit am Schlagzeug. Frenz ist einer dieser Tieftonbaumeister, die wie eine feste Burg die großen, breiten und sicheren Fundamente bauen, auf denen der Rest der Kapelle dann trefflich Trampolin springen und Pirouetten drehen darf. Aber an diesem Abend kommt er in Bewegung, tigert auch mal fröhlich auf die andere Bühnenseite, spielt direkt das Publikum an. Möglicherweise macht er das öfter – aber im Sommer letzten Jahres in Fürstenwalde erschien er mir introvertierter. Und dahinter sitzt die unvergleichliche Tina Powileit, die mit Sicherheit eine der wunderbarsten Meisterinnen des naturbelassenen Timekeeping im Viervierteltakt ist. Der unerschütterliche Grundbeat, das Herz der Band, das immer gleichzeitig der Musik folgt, als auch die richtigen Betonungen im richtigen Moment setzt. Man ahnt, dass diese Frau nicht „nur“ Schlagzeug spielt, sondern auch dem Sänger zuhört und ihm gelegentlich mit Ausrufezeichen überraschende Akzente auf den Toms zuspielt. Und natürlich dem Rest der Band auch. Frisurmäßig ist sie in dieser Kapelle mit drei spärlich kopfbewaldeten Musizisten eine Ausnahmeerscheinung, was optisch besonders bei den wuchtigen Schluss-Wirbeleien sehr imposant kommt. Denn merke: Schlagzeug ist ein Ganzkörperinstrument. Frau Powileit weiss das.
Und dann ist da der Moment, in dem Backliner Robert Fritzsche seinen Posten verlässt und sich neben mich setzt, übers ganze Gesicht strahlt und wir gemeinsam singen „Immer wieder wächst das Gras, wild und hoch und grün. Bis die Sensen ohne Hass ihre Kreise zieh′n“
Nicht nur der aus dem Süden angereiste Herr Zimmer hat in dem Moment wohl das Gefühl, dass alle Barrieren zwischen Bühne und Saal, zwischen Band und Publikum gefallen sind. So geht das und nicht anders. Nach mehr als zwei Stunden Netto-Spielzeit endet ein Konzert, das Melancholie, Lebensfreude, Trauer und Spaß auf eine Weise zusammenbringt, dass man sich in den Armen liegen möchte und mit jenem nicht ganz unbekannten Weimarer Geheimrat dem Moment zurufen möchte: „Verweile doch, du bist so schön“.