Genesis Revisited: Live At The Royal Albert Hall

InsideOut / VÖ: 27.6.2014

In Zeiten, in denen Tribute-Bands wie Pilze aus dem Boden schiessen, um noch aktive oder verblichene Größen der Rockmusik mehr oder weniger gut nachzustellen, scheidet sich die Spreu vom Weizen. Steve Hackett hat mit seiner Auffassung der frühen Genesis-Werke selbstredend einen »Heimvorteil« gegenüber vermeintlichen Konkurrenten wie The Musical Box. Seine Musik ist eben mehr als Malen nach Zahlen, sondern belebt den Geist jener Jahre 1970 bis 1977 mit einer Band aus offensichtlichen Überzeugungstätern, die der Musik nachspüren, sie nachempfinden, nach erfinden, anstatt sie bloss nachzuspielen. Zudem sind Hacketts Musiker handwerklich absolute Champions-League-Spieler, die einen vollkommen unangestrengten Eindruck bei der Interpretation dieses anspruchsvollen Materials machen.

Fünf üppige CD/DVD Packungen, die sich zum Großteil auf das historische Genesis-Material setzen, hat Hackett inzwischen veröffentlicht – alle taugen für lange nostalgische Prog-Nerd-Abende. Warum also Genesis Revisited: Live At The Royal Albert Hall? Zum einen ist es die Location. Nirgends passt der feierliche und auch schon ohne Orchester sinfonische Charakter der Musik besser als in dieses Baudenkmal viktorianischer Architektur. Das zweite Kriterium ist die Setlist. Was wird gespielt? Es ist der perfekte Rundgang durch die Filetstücke jener Phase subsummieren. ›Dancing With The Moonlit Knight und Firth Of Fifth‹, die Über-Songs aus Selling England by the Pound, die die Wichtigkeit der Gitarre für den frühen Genesis-Sound unterstreichen. Hits wie Carpet Crawlers und I Know What I like decken die eher leichte Kost ab, während ›The Return Of The Giant Hogweed‹ das verrückt-verschachtelte, die irrlichternde Dramatik der frühen Genesis betont. Noch einmal extra fett unterstrichen durch das zappaeske Solo, das Gitarrengast Roine Stolt zu diesem Song beisteuert. Auf der anderen Seite steht ›Ripples für die Qualitäten der frühen Collins Ära.»Ich bin stolz auf einige der neuen Versionen, weil da Dinge passieren, die es auf dem Original nicht gibt«, hat Hackett 2018 im ROCKS-Interview gesagt. »Ich sage nicht, dass sie besser sind, denn das ist eine sehr subjektive Angelegenheit. Das Original wird es für alle Zeiten geben, und wenn ich eine alternative Version aufnehme, versuche ich, authentische Versionen zu schaffen, die dem Geist des Originals treu bleiben und es gleichzeitig etwas größer machen.« Hackett arbeitet weitgehend werktreu, ändert gelegentlich fast unbemerkt Arrangements und Instrumentierung und lässt sich als Gitarrist Freiheiten, etwa am Ende von Suppers Ready‹. »Damit möchte ich sozusagen einen Berg erklimmen lassen und improvisiere. Das ist jede Nacht anders, das hebt einfach ab. In diesem Kontext funktioniert das gut, denn da ist vorher soviel durchkomponierte Musik, so dass das Ende wie eine Befreiungsschlag wirkt.« Nad Sylvan ist als Frontmann der beste Peter Gabriel seit Peter Gabriel, aber nicht als Imitator. Als Interpret besticht er auch durch seine etwas andere, eigenwillige Theatralik und macht bei ›Carpet Crawlers‹ Platz am Mikro für den oft zu Unrecht unterschätzten Ray Wilson.