Gott ist mit Euch, aber hallo!

Nina Hagen, Tollhaus, Karlsruhe, 2.5.2012

Da steht sie nun mit der Wanderklampfe in der Hand und irgendwas aufgetürmtem Bunten auf dem Kopf. Das Cowgirl in Schrill. Nina Hagen, „der Schrecken aller Talkshows“, „die Mutter des Punk“, die Frau, die schon mal zum Publikum gesagt haben soll: „Ihr braucht keine Angst vor mir haben“. Nein, braucht man nicht. Denn diese Nina, die „Karlsrühchen“ im mäßig besuchten Auditorium begrüßt, beißt nicht, die bellt, krächzt und singt nur „schön“ gegen das Schlechte, für das Gute, und immer mit Gott und der Bibel, mit Gospel- und Country-Klängen, mit archaischem Rock’n’Roll und auch – und darin ist sie am besten – mit viel Blues.

Das Vorgängeralbum zum aktuellen „Volksbeat“, „Personal Jesus“ hatte die Richtung vorgegeben: „Gott ist mit Euch, aber hallo!“ Man reibt sich Augen und Ohren und fragt sich: Ist das nun eine Konzertlesung? Eine Gospel-Messe? Eine Bekehrungsveranstaltung? Wird sie uns am Ende gar taufen? Die Fragen kann man erstmal wegwischen, wenn die Band für einige Momente trocken rocken darf: „Soma Koma“ ist so ein mächtiger, erschreckender, stampfender Protest, in dem die Sängerin ganz viele „Rrrrs“ in das böse Wort „Börse“ hinein rollt, und dabei auch noch so schön angepisst schaut, da mag gar der um seine Erwartungshaltung betrogene Alt-Fan ein Fünkchen Hoffnung schöpfen. Auch dann, wenn Nina ihren Aufschrei aus alten Vorlagen bezieht und zu ihrem eigenen Ding macht: „Soldaten sind sich alle gleich, lebendig und als Leich’“ klang selten eindrucksvoller. Aber der Alt-Fan merkt schnell: Es geht hier und jetzt um etwas anderes, denn es bleibt noch viel zu tun beim Retten der Welt. Diesen amerikanischen Whistleblower müsste man jetzt aus dem Gefängnis holen.

Wie der heißt, fällt ihr gerade nicht ein. Ah, Bradley Manning, der Publikumsjoker weiß Bescheid und ja, Waffen gebe es inzwischen, mit denen könne man das Wetter verändern. Habe sie im Fernsehen gesehen. Weiter mit Musik: „Keiner von uns ist frei“, das hat was, eindrucksvolle Musik, tragende Melodie, kein falsches Pathos. Nina Hagen singt, wie es nur eine Sängerin kann, die ihre Stimme und deren Wirkung kennt. Aber klar, mit zwölf Jahren schon wollte sie singen, um Jesus zu helfen. Sagt sie – und schon macht die Musik wieder eine Kehrtwende um 180 Grad. Dramaturgie? Spannungsbogen? Nie gehört. Hört irgendjemand zu? „TV-Glotzer“? Nie gehört! Dafür eben Brecht, Biermann, Woody Guthrie und zwischendrin Martin Luther King plus Werbung für die am Merchandising-Stand angebotene Fußball-Bibel „mit Zeugnissen von Fußballern“. Frau Hagen zieht ihre Mission durch mit dem beinahe humorlosen Trotz eines Kleinkindes. Ihre Musiker versuchen derweil angestrengt, den Eingebungen ihrer hakenschlagenden Chefin zu folgen, was sie selbstredend souverän meistern, und was ja auch ziemlich spannend anzuhören ist. Ja, und „Personal Jesus“ als Rausschmeißer ist dann wohl die definitive Version dieses Songs. Weil es einfach nur Musik ist, mit Herz und Hirn.