Vom Leben in Schwingung gebracht
Hakan Vreskala im Tollhaus, Karlsruhe, 24.11.2016
Der Mann ist ständig in Bewegung. Große Gesten, die ausgestreckte Hand, die immer signalisiert: ich bin bei euch, mit euch, wir stehen gemeinsam für etwas. Brüder, Schwerestern, Liebe, Revolte. Im Zweifelsfall auch gegen etwas. Das Böse. Namen werden später genannt. Dann wieder geht er in die Hocke, ganz nah am Bühnenrand, als wollte er den Menschen, die davor schon nach kurzer Zeit wogen und wallen, seine Botschaft einzeln nahebringen:
Hakan Vreskala hat am Donnerstagabend mit seiner Band ein kleines, aber sehr begeisterungsfähiges Publikum im Tollhaus in nachhaltige Schwingungen versetzt. Vreskala, in Izmir geboren, lebt heute in Stockholm. War Schlagzeuger, Percussionist, Straßenmusiker, Hochzeitssänger, Hochzeitsfotograf, Hochzeitsplaner. So einer sollte das Leben kennen. Was fast zwangsläufig dazu führt, dass er Songs schreibt. Songs, mit denen er einen Hexenkessel entfachen kann. Er singt türkisch, aber die Ansagen in Englisch lassen ahnen, worum es geht, und mindestens die Hälfte seiner Zuhörer versteht ihn eh. Vreskala ist kein Freund von Recep Tayip Erdogan – allein schon wie er das „R“ rollt, sagt alles, wenn er erzählt, er habe ja schon vor fünf Jahren gewusst was komme werde. Und auch gegen Brexit, Trump und schwedische Nazis verabreicht er seine Musik als Therapie.
Die kommt langsam in Fahrt. Folkloristisch angehaucht mit einem Groove, der and die schleppende Hypnose von Reggae erinnert, und schon bewegen sich die Menschen sanft vor der Bühne, wie in Trance, formieren sich später dann zu einer Art Volkstanzgruppe. Der Sänger da oben ist ganz sicher, dass er mit all den „beautiful people“ die gleichen Ansichten über das Leben teilt. Spricht er und zelebriert im nächsten Song die Liebe zu einer Frau, deren Sprache er nicht spricht. Die Musik legt einen Zahn zu, ein Hauch Ballkanpolka galoppiert durchs Tongeflecht, die Trompete hebt an zu überirdisch perlenden Soli, Minuten später wechselt das Metrum, die Gitarrenriffs befehlenLeichtmetall, währen die Rhythmusabteilung ein Metrum ansteuert, in dem die Eins nicht mehr auszumachen ist. Das enthusiasmierte Publikum aber hinkt dazu unbeirrt beschwingt. Ein wenig später besinnt sich der Sänger seiner trommlerischen Herkunft und zelebriert ein perkussives Duett mit dem Schlagzeug. Weiter! Düstere Basslinie kontrastiert mit flirrender Flöte, dann bricht sich eine Gitarre Bahn, die irgendwo zwischen Texmex und Country ihren Weg such, das Publikum kreist noch kreiselnder, singt auch gar schon. Wieder einmal bewahrheitet sich der Umkehrschluss der alten Weisheit, die aber lautet: Wenn ich nicht dazu tanzen kann, ist es nicht meine Revolution.