Gott fährt Straßenbahn

The Hooters. Tollhaus, Karlsruhe, 1.7.2007

„Time Stand Still“ heißt die aktuelle Hooters-CD, das erste Studioalbum seit 14 Jahren, und im Vertrauen auf das neue Material und die Glaubwürdigkeit des Mottos steigt die Band aus Philadelphia beim Tollhaus-Zeltival gleich mit zwei neuen Songs aus dem Album (das erst im Herbst in den Läden, hier aber schon zu haben ist) in ein sattes zweistündiges Konzert ein. Und es ist wirklich, als wäre die Zeit stehen geblieben. Erdverbunden, unprätentiös, geradlinig und mit enormem Körpereinsatz ziehen sie ihr Ding durch. Emotion siegt immer über Perfektion, Robustheit über Glätte, kleine Schludrigkeiten sind drin und erlaubt, aber hey Mann, das ist Rock’n’Roll!

Am Anfang noch verhalten ekstatisch, zeigen sie unter anderem bei „500 Miles“, wie man alte Hüte spielerisch belebt: indem man sie an den Rändern etwas ausfransen lässt. Spätestens mit der Coverversion von Don Henleys „Boys Of Summer“ platzt der Knoten. Dem Publikum ist ehrfürchtiges Erstaunen ins Gesicht gemeißelt, die Band spielt es langsam, fast zeitlupenartig, was die melancholische Grundstimmung des Songs nachhaltiger betont, als das dem Original gelungen ist. Ab da feiern die Sympathieträger Rob Hyman (Gesang, Keyboards) und Eric Bazilian (Gesang, Gitarren und Mandolinen) und ihre drei Sidemen Fran Smith Jr. (bass), John Lilley (Gitarre) und Dave Uosikinnen (drums) eine Party mit 800 Freunden.

Nicht lange, dann fräst sich dieses warme Orgelmotiv durch den erwartungsvoll wallenden Bühnennebel, willig wippt sich Uosikinnen in einen verschlurften Reggae-Groove: „Holy Moses met the pharaoh“. Schiere Magie ist der wohl hochglanzpolierteste Hooters-Song, der ohne jeden Abstrich den „Test Of Time” bestanden hat. „All You Zombies“ ist in dieser Livefassung pure Hypnose. Die Hooters zelebrieren das Leben und die Liebe zu den Menschen als Party, nicht als Überdosis. Das ist ein Unterschied. Der unter anderem auch dafür sorgt, einem fast 60-Jährigen wie Rob Hyman heute noch unschuldige Liebeserklärungen wie in „And We Danced“ abzunehmen, statt ihm das böse Wort „Berufsjugendlicher“ auf die Stirn zu tätowieren. Auf der Zielgeraden ballen sich die tanzbaren Songs – und die machen vor allem durch ihre folkloristischen Beigaben noch ein Quäntchen mehr Laune als bei anderen Jungs. Bei „Karla“ schwingt der Zeltboden schon bedenklich. Hat man die Band bis dahin ins Herz geschlossen, möchte man sie endgültig knutschen und zu Hause in eine Vitrine stellen, als Eric Bazilian sein „One Of Us“ (das Joan Osborne zum Hit machte) singt, die letzte Strophe davon in seinem putzigen Deutsch: „Wäre Gott einer wie wir, eingeschlafen mit ’nem Bier, nur ein Fremder um halb vier, in der letzten Straßenbahn, der versucht nach Haus zu fahr’n“. In einem anderen neuen Song feiern sie „extraordinary moments in ordinary lives“. Das hier war einer davon.