Das Leben kann nicht schreiben

Hellmuth Karasek las im Grünhaus der Stadtwerke Ettlingen, 31.3.2011

Die Angst des Glossenschreibers vorm weißen Blatt Papier gibt es wirklich. Donnerstagabend, eine halbe Stunde vor der Lesung am im Grünhaus der Stadtwerke denkt Hellmuth Karasek im Gespräch mit den BNN laut nach: „Es ist ganz furchtbar“, sagt er: „ich bin heute etwas unkonzentriert, weil ich bis morgen eine Glosse schreiben muss. Ich hab zwei Themen, aber ich weiß wirklich nicht, ob ich wieder über Westerwelle herfallen soll. Das zweite wäre, dass Udo Jürgens auf seiner neuen Platte singt „Die Erde ist eine Google“, und das ist ein Plagiat, wie ich heute in der Süddeutschen gelesen habe, da will ich dem mal nachgehen“.

Bei der ausverkauften Lesung, zu der er auf Einladung der Ettlinger „Buchhandlung“ gekommen ist, kann sich Karasek, der 20 Jahre Feuilletonchef des SPIEGEL war und einem Massenpublikum durch seine Beteiligung am „Literarischen Quartett“ bekannt wurde, auf sicher zwischen zwei Buchdeckeln Versammeltes stützen. „Im Paradies gibt’s keine roten Ampeln“ heißt die Sammlung von Glossen, die im Hamburger Abendblatt und der Berliner Morgenpost erschienen sind.

Was macht eigentlich der Glossenschreiber? Karasek zitiert Karl Kraus, sehr zur Belustigung des Publikums: „Glossen schreiben, heißt auf einer Glatze locken drehen“. Die Weisheit von Glossen liege oft in ihrer ungeschützten Naivität. Später erklärt er, war um die Volksweisheit „die besten Geschichten schreibt das Leben“ wahr und doch nicht ganz wahr ist: „Schreiben, soviel steht fest, kann das Leben nicht. Das ist eine Chance für uns Journalisten!“ Dass man die guten Geschichten auch gut erzählen muss, beweist er in einem Kabinettstückchen von einer Begegnung im Zug: Da wird er vom Schaffner für den Nobelpreisträger Grass gehalten, will aber den Irrtum nicht gleich aufklären. Also antwortet er auf die Frage „Waren Sie überrascht, als die den Nobelpreis erhalten haben“ mit einem „Oooch…“ Der Schaffner verschwindet, dem Karasek bricht der Schweiß aus und er fängt an, sich auszumalen, wie es im Zug die Runde macht, dass da ein Hochstapler im Abteil sitzt. Schließlich fasst er sich ein Herz, geht zu ihm und sagt: „Sie wissen schon, das ich nicht Günter Grass bin?“ Worauf die Antwort kommt: „Das weiß ich inzwischen auch, Herr Kasarek“.

Wie kommt einer wie Karasek, den man aus dem Fernsehen eher als Mann weitschweifiger Erläuterungen kennt, mit der strengen Form der Glosse zurecht? „Mich quält die Enge, aber wenn ich es nachher gedruckt sehe, bin ich dafür manchmal dankbar. Das ist wie ein Gürtel, der den Bauch wegdrückt.“ Karasek, 77 Jahre alt, kokettiert gern mit seinem Alter. Etwa wenn er die Geschichte von den Zeitungen erzählt, die er früher am Wochenende aus seiner Berliner Redaktion seiner Frau nach Hamburg mitbringen wollte. Er ließ sie dort liegen, kaufte sie alle am Bahnhofskiosk neu, las sie im Zug, um sie dort wieder liegen zu lassen, und sie schließlich am Hamburger Bahnhof ein weiteres mal zu erwerben. A propos: Herr Karasek, eine letzte Frage noch: vermissen Sie das Literarische Quartett? Da kommt zuerst ein langgezogenes „Hach…“ und dann: „wäre ich jünger, würde ich es sehr vermissen. Ich denke, man soll sich nicht mit den Füßen nach vorn aus dem Fernsehsessel hinaustragen lassen…..“