Weil „Live“ besser ist

Hinter den Kulissen der Sendung Kopfhörer Live!

Vor Jahren hatte ich eine Zeit lang die Gelegenheit, für die inzwischen leider eingestellte Zeitschrift Doppelpfeil des SWR ein paar Reportagen zu schreiben, und dabei auch hinter die Kulissen dieser Anstalt zu blicken. Einer der schönsten Aufträge war, bei der Produktion der Sendung „Kopfhörer live!“ dabei zu sein. Weil es da um echte Musik von echten Musikern ging….. Hier das Ergenis dieser Beobachtungen, damals nach umfänglichen redaktionellen Hin- und Hers so erschienen. Das Foto von Basta habe ich über zehn Jahre später gemacht, aber man will ja schliesslich auch online keine Bleiwüste…… here we go.

Wie ist die Stimmung? „Man ist immer am Checken, wie die Vibes so sind“ sagt Ira. Aha. Ira darf das so sagen, sie ist Sängerin von „Ira’s World“ und wird in etwa einer Stunde auf die Bühne gehen. „Das Kribbeln im Bauch ist anders als sonst. Ich mein’, es ist Radio und ich hab mit ‚Entertaining’ nicht immer so meine besten Tage…“ Der Rest ihrer Band amüsiert sich. Von wegen Probleme mit „Entertaining“. Es ist Samstag, 5. Juli, später Nachmittag. Vier Musiker sitzen ziemlich unaufgeregt unter einem großen Sonnenschirm. SWR 1 Kopfhörer live ist zu Gast bei der Kleinkunstbühne Rantastic im Baden-Badener Stadtteil Haueneberstein. Es ist ein prosaischer Ort: Hinter der Bühne die nackte Hauswand, die Künstler schauen von der Bühne auf ein fast mediterrane Szenerie: Das Publikum sitzt an kleinen Tischen, holt sich Drinks von der Bar, zwischendrin große Pflanzenkübel. Mitten im Blickfeld steht ein Strommast, direkt daneben das Mischpult, bedient von Frank Lemmert. FOH heißt sein Arbeitsplatz korrekt „Front Of House“, erklärt er. Er hat die Soundchecks mit den Bands abgeschlossen, es kann losgehen.

Die Musiker von Ira’s World gehen noch einmal ihre Set-List durch. Ihr Markenzeichen sind dezent angejazzte Versionen von Pophits, Heute wollen sie ihr Programm „etwas radiotauglicher“ angehen, überlegt Gitarrist Mathias Hautsch „weil wir sonst immer eher wild improvisieren“. Es funktioniert. Iras Aufforderung „wenn sie Lust haben, können sie ein bisschen Mitschnippen“ ist bald überflüssig. Von wegen „Entertaining-Schwächen“.

„Wie sieht das jetzt aus? Bleiben wir hierher oder fahren wir noch wohin?“, wollen Thomas Aydintan und William Wahl – zwei Fünftel der Kölner A Capella Stars „Basta“ wissen. Sie werden nach „Ira’s World“ und Pat Appleton als Top Act auftreten. Falls „Chauffeurbedarf“ besteht, ist jetzt die Stunde von Reinhard Lemke, der seinen Job als „Mädchen für alles“ beschreibt. Er fährt die Künstler nach dem Soundcheck zurück ins Hotel, wenn sie sich entspannen wollen, er instruiert das Kassenpersonal, hängt ein paar Plakate auf und sammelt bei den Künstlern die jeweiligen Gästelisten ein.

Iras World, Pat Appleton, Basta. Eine Band aus der Region, die De Phazz Sängerin solo, eine der angesagtesten A Cappella Bands des Landes. Das Bühnenprogramm spiegelt die Vielfalt der Kopfhörer-Sendung wieder, die „an den Rändern unseres Musikformates operiert“. Sagt Otto Maier, der Moderator.. Seit acht Jahren gibt es „Kopfhörer Live“. Klein aber fein. Unter optimalen akustischen Bedingungen wird normalerweise im Günter Eich Haus auf dem Baden Badener Fremersberg Musik gemacht, rund 150 Karten gibt es, die oft schnell vergriffen sind. Da rockten die Hooters, Marshall & Alexander spielten unplugged, die Newcomerin Annett Louisian stellte ihre Variante des neuen deutschen Chansons vor, Albert Hammond zeigte die Singer-Songwriter Qualitäten der Altvorderen, Stefan Gwildis gab den Soulbrother von der Waterkant und die kanadische Elfe Loreena McKennitt entführte ins Reich der Druiden.

Otto Maier ist ein Überzeugungstäter, ein Musik-Freak. So einer zieht sich nicht in den Backstagebereich zurück, wenn „seine“ Künstler spielen, der sieht sie mit den Augen des Publikums, für das die Sendung gemacht ist. „Da sind viele, denen es geht wie mir. Die sagen, ich brauch’ Musik zum Leben. Die hören Songs, wenn sie traurig sind, die leben mit den Songs, wenn sie froh sind. Der Vorteil bei SWR 1 ist, dass man ständig mit seiner eigenen Jugend konfrontiert wird“, sagt er, und irgendwann auch: „Manchmal beneide ich mich selbst.“ Dazu trägt der Umgang mit den Musikern bei: „Es gibt Interviews, da ist man kurz davor, einander um den Hals zu fallen, Albert Hammond war so einer. Oder Paul Carrack, der ist so witzig…. Der geht immer pfeifend oder singend durch die Gänge im Funkhaus“.

Maier hat früher selbst Musik gemacht. Als Gittarrist in verschiedenen Bands gespielt „Clapton war dafür verantwortlich, ‚Wheels of Fire’ von Cream. Da hab’ ich gedacht, das möchte ich auch können, ich hab angefangen Gitarre in Bands zu spielen.“ Heute ist „Jazz das, was mich am meisten bewegt, aber ich höre gern Popmusik, wenn sie gut gemacht ist….“ Er greift schnell zu, wenn ein Künstler in diese Kategorie fällt, da muss keine große Plattenfirma dahinter stehen. „Ira’s World“ sind ein gutes Beispiel. Ein Musiker einer Band, die in einer früheren Kopfhörer-Live Sendung aufgetreten ist, hatte ihm das Album zugesteckt, Maier fand es gut. Und betracht es als direkte Talentförderung, solche Bands auf die Kopfhörer Bühne zu holen. Pat Appleton – europaweit ein Star – hatte er live gesehen, von ihrem Soloprojekt gehört. Er besorgte sich ihre Telefonnummer und lud sie ein. Inzwischen kommen auch Promoter der Plattenfirmen auf die Radiomacher zu. So geschehen kürzlich im Fall Joana Zimmer.

„Lemmy, wie nah sind wir am Auftritt?“ will eine Stimme von der Bühne von Frank Lemmert wissen. „Ich warte noch auf den Ü-Wagen“. Der steht hinterm Gelände auf der Straße, mit dem Frontmischpult über ein Glasfasersystem verbunden. „Wir haben auf jedem Kanal ein gesplittetes Signal. Eines kommt bei mir an, ich mache den Mix fürs Publikum, das andere Signal kriegt der Ü-Wagen, der macht seinen eigenen Mix“ und fängt über im Gelände aufgestellte Mikrofone die Publikumsreaktionen ein. Die Technik signalisiert: Wir haben ein Problem, Otto Maier geht kurzentschlossen mit Pat Appleton auf die Bühne. „Jetzt muss ich den Pausenclown geben?“ fragt sie. „Nein, aber du siehst besser aus als ich“, feixt Maier. Nein, sie sei nicht bei De Phazz ausgestiegen, aber dieses Soloprojekt sei eben etwas ganz anders. Chef sein, das habe was. „Ich werd’ sehr preußisch, sagen meine Jungs“.

Frank Lemmert gibt das Signal, die Störung ist behoben: „Wir hatten höchstwahrscheinlich den Mast drin“ erklärt er. Ein unangenehmes Geräusch auf einem Kanal des Keyboarders, dass das Publikum wohl kaum wahrgenommen hätte, aber die Aufnahme des Ü-Wagens möglicherweise unbrauchbar gemacht hätte. Pat Appleton und ihre Band legen los. Gar nicht preußisch und viel erdiger als auf der CD: Keine Elektronik, dafür Funk, Soul und auch viel Rock, gespielt von einer Band in klassischer Rockbesetzung. Gitarrensoli, Orgelsoli, und oben drüber die Soulstimmer dieser Sängerin mit ihrer rundweg positiven Ausstrahlung. Das Publikum dankt es ihr, Pat dankt zurück: „Ich hab’ gewusst, dass der Süden mich net im Stich lässt“, freut sich die Wahlberlinerin, die lange in Heidelberg gelebt hat. „Ich habe mir mit De Pahaszz einen Namen gemacht, jetzt kann ich mich austoben“, wird sie nach dem Auftritt hinter der Bühne erzählen.

Während Pat die erste Reihe zur Party animiert, macht Reinhard Lemke hinter der Bühne ein sorgenvolles Gesicht. „Es hat angefangen zu regnen“, sagt er. „Und wir haben keinen Plan B“. Nur die Bühne ist überdacht. Da hilft nur Hoffen. Da ist auch er machtlos, der sonst immer da Unmögliche möglich macht: „Ich besorge Hustentee, ich besorge Batterien oder Farbe. Jemand sagt, mein Handy ist leer, ich besorge das passende Ladegerät…“ Er erzählt von einem „Spezialauftrag“ der Band des amerikanischen Gitarristen Joe Bonamassa: „Die hatten bei uns den Tourabschluss in der Sendung. Und die wollten unbedingt einen Spruch auf ihren T-Shirts haben, der sich als Running Gag durch die ganze Europatour gezogen hatte“. Sofort, für den Auftritt. Lemke hängte sich ans Telefon, fand schließlich jemanden in Achern, der den Spezialauftrag innerhalb einer Stunde erledigen konnte. Dann setzte es sich ins Auto, fuhr 30 Kilometer nach Achern und zurück, und die Band hatte ihre T-Shirts. Manchmal entstehen Freundschaften zwischen den Machern der Sendung und Künstlern. Und wenn ein Nordlicht wie Stefan Gwildis bescheinigt, Baden Baden sei sein Wohnzimmer, dann findet die Kopfhörer-Crew das höchst bemerkenswert.

Für Rudolf Tanz und Marie Luise Theisen aus Koblenz gilt das mit dem Wohnzimmer offensichtlich auch. Ältere Semester, die aufgeschlossen für Neues, Jüngeres sind. Man sieht ihnen ihre Verbundenheit mit der Sendung an. Tanz trägt ein gelbes SWR 1 T-Shirt, dessen Gelb nicht mehr so strahlt wie am ersten Tag. Auf dem Schirm seiner Mütze prangen die Unterschriften von zwei Mainzer SWR-Moderatorinnen und die von Ken Hensley, der einst „Lady in Black“ komponierte. Tanz und seine Freundin schaffen es fast immer, Tickets für die Aufzeichnung zu bekommen: „Da nehmen wir jedes Mal zweieinhalb Stunden einfache Fahrt nach Baden Baden in Kauf“. Sie gehören zu dem Menschenschlag, der Otto Maier anruft oder eine Mail schickt: „Vielen Dank für den Tip, vielen Dank für die Vielfalt. Ich hab im meiner Sammlung schon so viele CDs die ich durch Sie kennen gelernt habe…“ Maier nimmt sich Zeit für das Gespräch mit den Hörern – hier draußen, wie während der Sendung im Studio: „Das hilft mir ja auch. Gerade bei Dingen, die nicht Middle of the Roard liegen, ist wichtig, dass man das Feedback kriegt.

„Pat Appleton hat mich wirklich überrascht“ gesteht Brigitte. Sie sitzt unter jenem Strommast und stammt aus Köln. Ehrensache, dass sie wegen „Basta“ gekommen ist. Mittlerweile ist es dunkel geworden. Basta haben erst 2000 angefangen, aber schon so ziemlich alles erreicht. Vier CDs, eine brandneue DVD, eine eigene TV Show beim WDR, und die Größe der „besungenen“ Hallen wächst. Wer die Kölner Kollegen „Wise Guys“ mag, mag auch „Basta“, geht das Gerücht. Die Vergleiche hört William Wahl nicht so gern: „Wenn wir beide aus Heidelberg kommen würden, würde wir wahrscheinlich ein ähnliches Schicksal erleiden“.

„Basta“ sind eigen, das stellen sie an diesem Abend unter Beweis, und die Zuhörer fressen ihnen aus der Hand. Da sind Beach Boys Anleihen, Boygroup-affines Schönsingen oder auch interessante Arrangementtricks, bei denen der staunende Zuhörer damit bekannt gemacht wird, dass wirklich alle Instrumente mit dem Mund und einem guten Mann am Mischpult darstellbar sind. Ihre Songs bietet Identifikationsmodelle für alle, denn schließlich kreist ihr Themenspektrum um Männer und Frauen, Frauen und Männer, die Liebe, Beziehungen im allgemeinen und Besonderen und die besondere Last, die Männer damit haben. „Wir haben’s ja schwer in der Liebe“ ruft es von der Bühne, und aus dem Publikum schallt es spontan, lautstark und enthusiastisch zurück; „Ja ja ja.

Im Ü-Wagen beobachten Alfred Habelitz und seine Kollegen das Geschehen auf der Bühne nicht nur akustisch, sondern auch über zwei Monitore: „Es ist wichtig, daß wir von hier aus sehen, wer gerade in welches Mikrophon singt und wer – im Fall der anderen Bands –gerade ein Solo spielt“, erklärt Habelitz. Wenn die Aufnahme im Kasten ist, hören sich die Techniker aus dem Ü-Wagen alles noch einmal mit kritischen Ohren an. „Im Endeffekt entscheidet der Redakteur, was gesendet wird. Wir sagen der Redaktion , bei welchen Songs technische Probleme aufgetreten sind, aber wir empfehlen auch Titel, die besonders gut klingen.“

„Sie ist die Tochter eines Schönheitschirurgen, von dem sie wird immer schön glatt gezogen“ tirilieren Basta auf der Bühne, der englische Drummer von Pat Appletons Band hat sich ein Bier geholt, steht an der Bar und kollabiert fast vor Lachen. „Basta“ sind nett, aber auch gemein. Da haben sie sich eine eine bis ins Detail im Stil der 20er Jahre arrangierte Nummer einfallen lassen, eine böse Giftmordstory: „Jeder muss mal scheiden. Sollst nicht zu lange leiden. In deiner Tasse nicht zu sehen. Schwimmt Isopropylen“. Da ist die trotzige Anklage gegen die aus der Dusche kommende Frau: „Du tropfst!“, bei der das Publikum dem geschädigten Mann die Frage „Wer hat das Laminat bezahlt?“ beantworten darf, und das auch tut. „Ich!!!“. Vielstimmig und laut. Manch einer wischt sich Lachtränen aus den Augenwinkeln.

Mit der Rammstein-Parodie „Blutwurst“ setzen sie noch mal einen drauf. Da wird das Original bis zur Kenntlichkeit als den Satan, der im Kinderzimmer Kasperle-Theater aufführt entlarvt: „Ich verbrenn’ mit die Beine. Hoffentlich muss ich nicht weinen. Ich verrenn’ mir einen Zeh. aber das tut gar nicht weh. Hat ja gar nicht wehgetan, war ja nur aus Marzipan!“ singen sie voll gespielter finsterer Entschlossenheit und mit gerolltem „r“. Wenn es jetzt noch mal anfangen sollte zu regnen, keiner würde mehr unters Dach flüchten wollen. Allen ist noch wärmer geworden. René Overmann, einer der fünf Sänger, verlangt nach Wasser. Otto Maier rennt los.