„Robbie Williams kann ich nicht ausstehen!“

Paul Kuhn (1928-2013) war eine lebende Legende, als ich ihn 2006 traf. Er war der Mann am Klavier: Jazzpianist, Bandleader, Mehr als 70 Jahre war er im Showgeschäft. Dem Massenpublikum ist Paul Kuhn vor allem durch seine Schlager aus der Wirtschaftswunderzeit bekannt. „Es gibt kein Bier auf Hawai“ oder „Der Mann am Klavier“ haben viele noch im Ohr. Obwohl nicht meine Musik, der Mann interessierte mich. Ich  näherte mich dem damals 78jährigen mit Respekt, und er liess sich nicht anmerken, dass er ahnte, dass ich wohl von seiner Kunst wenig Ahnung hatte. Das stand dann in der Zeitung (BNN Ettlingen):

Oscar Peterson habe kürzlich in einem SPIEGEL-Interview bei der Frage nach Robbie Williams zurückgefragt, wer das sei und was der mache. Darüber kann sich Paul Kuhn so richtig freuen: „Den kann ich nicht ausstehen“.

Obwohl, das gibt auch die mittlerweile 78jährige deutsche Jazzlegende zu, der junge Popstar könnte dem alten Recken mit seinem Ausflug in die Swing-Ära vor ein paar Jahren ein völlig neues, jüngeres Publikum zugetrieben haben. „Seit vier Jahren bin ich mit Max Greger und Hugo Strasser unterwegs, wir haben ausverkaufte Häuser.“ Ja, und es kommen auch jüngere Leute. Andererseits – ein Mann wie Paul Kuhn braucht nicht ums junge Publikum zu buhlen, er hat auch genug Zuspruch in anderen Altersklassen. So am Mittwochabend, wo 100 Menschen ins Rulands Thermenhotel Bad Herrenalb kamen, um gut zu essen und vor allem ihm und seinem Trio dabei zuzuhören, wie echter Swing geht. Kuhn genoss es sichtlich, in seiner Lieblingsbesetzung zu spielen. „Im Trio wird man gefordert“, sagt er denn auch im Gespräch. „Wann spielt der Pianist denn in der Bigband schon mal ein Solo?“ Kuhn freut sich diebisch über die Erfolge seiner letzten CDs, die alle im fünfstelligen Bereich verkauften. Das seien wirkliche Erfolge, und auch die Anerkennung durch Auszeichnungen wie „Klavierspieler des Jahres“ (2003) oder die German Jazz Trophy für sein Lebenswerk im Jahr zuvor ehrt ihn, und doch weiß er: „Jazz war immer eine Minderheitenmusik“. Millionen seien da nicht zu machen, auch wenn das manche glaubten. Kuhn konnte aber einfach nicht anders. Als Jugendlicher unter der Nazidiktatur aufgewachsen, musste er die geliebte Musik auf alten Schallplatten hören, und später bei den Feindsender, heimlich. „Da habe ich in den 40er Jahren die ersten Glenn Miller Sachen gehört.“ Später konnte er mit profilierten amerikanischen Musikern, die in Deutschland als Besatzungssoldaten dienten, zusammenspielen: „Die amerikanischen Clubs waren unser zweiter Bildungsweg“. 2007 hat er vor, eine CD mit amerikanischen Musikern in den USA aufzunehmen. Kuhn fühlt sich fit, er wirkt auch so: Schon beim zweiten Titel des Abends reißt er die Zuhörer zu Szenenapplaus hin. Im Sommer 2005 sah das noch anders aus. Ein befreundeter Schweizer Herzspezialist behielt ihn nach einer Untersuchung gleich da: „Am nächsten Tag musste ich mich einer vierstündigen Operation unterziehen. Es war höchste Zeit“. Aber Paul Kuhn wäre nicht Paul Kuhn, hätte er nicht fünf Wochen später wieder auf der Bühne gestanden, zusammen mit dem jungen Trompeter Till Brönner: „Da war ich aber schon noch etwas flatterig“, gesteht er. Und er gesteht, dass er keine Antwort auf die Frage weiß, ob man jungen begabten Musikern zum Jazz raten soll. Er denkt eine Weile nach, dann sagt er: „Wenn einer wirklich gut ist, macht er es sowieso. Den kann man nicht halten“. Eine Stunde später sitzt der alte, den man nicht halten kann am Flügel und singt sein Credo: „My world is a world of music.“