Panik in der „Durchmisch-Arena“

Udo Lindenbergs Jubiläumsshow in der dm-arena, Karlsruhe, 5.12.2004

Anmerkung: Das Foto habe ich bei einem Konzert Jahre später in der Popakademie Mannheim gemacht

Pomp, wem Pomp gebührt. Eine goldene Figur tritt ins Rampenlicht und wirft die „Panikmaschine“ an. Die zeigt auf Breitwand an, in welches der dreißig Jahre Panikorchester gebeamt wird. Udo Lindenberg lässt klotzen. „Aufmarsch der Giganten“ heißt die Jubiläumsshow, und nach zwei Minuten steht fest, wer hier die eigentlichen Giganten sind: Das Panikorchester nämlich, eine Horde alter Haudegen, mit allen Rock’n’Roll-Feuerwassern gewaschen. „…der Trommler hinter mir rohrte los wie’n Verrückter, und der Typ da am Bass wie ein vom Jenseits Geschickter“. Stimmt alles noch.

Udo ist vorne auf der Rampe im bewährten Schlurftorkelschritt, lässt das Mikrofon an der langen Leine kreisen und genießt. Die „Boogie Woogie Mädchen“ unten im Saal sind dreißig Jahre älter. Aber „Die Jeans saßen knapp und dann hoben wir ab“, diese Rock’n’Roll-Großphilosophie in einem Satz hat auch anno 2004 noch Gültigkeit für viele Fans: Ist zunächst von 4.000 verkauften Karten die Rede, kann der Veranstalter bei der Schlußbilanz mit knapp 5.000 Menschen immerhin den Besucherrekord der Giganten-Tour bilanzieren.

Es ist eine Zeitreise, aber keine Nostalgieshow. Natürlich ist die Essenz vorwiegend im musikalischen 70er-Jahre-Material eingefangen, aber auch die eher radiofreundlichen späteren Hits wie „Sonderzug nach Pankow“ oder „Horizont“ bekommen im Live-Arrangement eine gehörige Portion Stromgitarre zusätzlich verpasst, die keine Brüche im Sound zulässt. Die Bilder auf der mächtigen Leinwand sind die richtigen: Schlaglichter auf die eigene Karriere, dazwischen Vietnam, Willy Brandts Kniefall in Warschau, Erich Honecker („Ey Honni, alte Pfeife!“) und immer wieder die endlose Weite, die Sehnsüchte wallen lässt. Ganz großes Kino mit endlosen einsamen Strassen: „Cello. Du warst eine Göttin für mich. Und manchmal sahst Du mich an, und ich dachte: mann oh Mann…“.

Mann oh Mann. Beflügelt von der eigenen Textsicherheit glühen sich die Zuhörer an. Udo singt von der „geilen Meile“ Reeperbahn, es riecht nach Suff und Puff, Lindenberg führt eine drastische Sprache vor, die plötzlich wieder Qualitäten entdecken lässt, die bei manchen Jungrockern schon wieder verklausuliertem Gestammel gewichen sind. „Fieber“ heißt der Song, und „Feuer“ nennen sie den Mann: Hannes Bauer, Gitarrist bei Udo erst seit 24 Jahren kämpft vorne auf der Rampe, dicht gefolgt von Carl Carlton. Zwei Rampensäue, ausgerüstet mit den schönsten Waffen, die es gibt, den sechssaitigen. Lauter als Ronnie Wood und Keith Richards. Eine Wand aus kontrolliertem Lärm. Nur Ellen ten Damme, die Sexkönigin des Abends, kennt eine schönere Waffe, das männliche Geschlechtsteil. Eric Burdon zeigt abgeklärte Altersreife, und Maffay ist der Mann, dem die Herzen und die Kinder zufliegen. Selbst seine Friedenshymne „Eiszeit“ hat in diesem Kontext etwas Befreiendes, bei allem Pathos von Urängsten getriebenes. Wo aber bleibt Nina Hagen, fragt sich nach bald zwei Stunden mancher? Sie fehlt unentschuldigt, auf Nachfrage erfährt man später, sie habe kurzfristig wegen Krankheit abgesagt. Dafür gibt’s noch einen Nachschlag Originalpanik, und die geht immer noch am besten mit älterem Material. Das Heavy-Metal-nahe „Wenn die Heizer kommen“ klang nie so druckvoll, so kompromisslos wie heute, durchaus auch zu verstehen als Antithese zu allen Castingshows dieser Welt.