„Wenn Du irgendwann mal einen Gitarristen suchst….“
2008 hatte Nils Lofgren, Gitarrist bei Bruce Springsteen und Verwalter einer eigenen, künstlerisch integren aber kommerziell eher unauffälligen Karriere, der Songs des Mannes angenommen, dem er als Sideman in den frühen 70ern diente: Neil Young. Für das Album „Nils sings Neil“ gab er einige Interviews, eines davon fand am 15. Juni 2008 im Hyatt Hotel in Köln statt. Ich hatte viel Zeit und der brutalst sympathische Herr Lofgren auch – und erzählte mir sehr viel. Viel mehr, als ich erwartet hatte, und es wurde diese lange, runde Geschichte draus, die dann im ROCKS erschien. Eins muss ich aber noch verraten, und es ist mir fast peinlich: Da das Interview ja stattfand, während Nils mit der E-Street-Band auf Tour war, dachte ich die ganze Zeit: Ich könnte wetten, Herr Springsteen ist jetzt bestimmt in einem der Zimmer auf dem gleichen Flur. Ich würde mich ja gern mal wenigstens eine Sekunde vor ihm in den Dreck werfen. Aber der Gedanke war schnell wieder weg, denn was Nils L. zu erzählen hatte – das war mindestens so interessant. Here we go…..
Live-Fotos: Copyright Joseph Quever
„Ich bin damals zu jedem Konzert gegangen, das in erreichbarer Nähe lag, auf der Suche nach Inspiration. Außerdem versuchte ich immer, ein Schlupfloch in den Backstage-Bereich zu finden. Ich wollte alles über die Musikindustrie wissen“, erinnert sich der heute 58jährige Nils Lofgren an den 17jährigen der Jahre 1968/69. Nils hat damals die Band Grin am Start, aber es gibt noch keinen Plattenvertrag. Einer der bevorzugten Orte seiner Studien ist der winzige Club „The Cellar Door“ in Washington D.C. Ein kleiner Laden mit einer intimen Atmosphäre. Vielleicht 150 Menschen finden hier Platz. Der Laden hat sich schnell einen Namen gemacht, nicht zuletzt wegen der ungewöhnlichen Mischung von Künstlern, die hier auftreten und in den kommenden Jahren auftreten werden. Von BB King über Joni Mitchell bis zu Miles Davis. Eines Abends sieht Nils ein Plakat, das Neil Young & Crazy Horse ankündigt, vier Shows an zwei Tagen. „Ich habe mich in den Backstage Bereich geschlichen, hinter dem Haus ging eine Wendeltreppe zur Garderobe hoch, ich war dort schon oft gewesen. Ich wollte alles über das Musikgeschäft wissen“. Lofgren wird seine Fragen los, und der fünf Jahre ältere Young drückt ihm spontan seine Gitarre in die Hand und bittet ihn, vorzuspielen. „Ich spielte ihm also einen Song von Grin vor. Es wurden schließlich drei, vier oder ein paar mehr. Er hat mir dann einen Tisch besorgt, Ich hätte da mit 17 eigentlich nicht sein dürfen, aber ich war sein persönlicher Gast. Er spendierte mir Cola und einen Cheeseburger.“ Wenn Lofgren die Geschichte heute erzählt, klingt sie immer noch so, als wolle er sie selbst nicht glauben.
Es soll der Beginn einer langen Freundschaft werden, in deren Verlauf sich die musikalischen Wege der beiden Männer immer wieder kreuzen werden. 1970, Nils ist 18, spielt er auf Neils Album „After The Goldrush“ Piano, Gitarre und sing Background Vocals. Das ist der Einstieg in seine Karriere als „recording artist“. Nicht der schlechteste, Youngs Album kommt bei Kritik wie Publikum gleichermassen an und wird mit Platin ausgezeichnet. „Ich spielte ja nicht wirklich Piano. Ich war eigentlich Akkordeonist, ich hatte zehn Jahre lang klassisches Akkordeon gelernt, und David (Produzent David Briggs) und Neil dachten einfach, da könnte ich doch ein paar einfache Piano-Parts übernehmen. Ich hatte auch gar keine akustische Gitarre, also lieh mir Neil seine D 18 Martin aus. Und am Ende der Sessions hat er mir sie geschenkt“. Es ist die Gitarre, die auf dem Foto der Original LP-Innenhülle neben Neil Young an der Wand gelehnt steht.
Ende 2007 fängt Lofgren an, Neil Young Songs zu interpretieren. 15 sehr intime Wohnzimmer-Versionen von Neils Songs, sparsam, begleitet nur an Gitarre oder Piano spielt er für „Nils sings Neil“ ein. Die Idee stammt von seinem Manager Anson Smith. Zuerst ist Lofgren skeptisch. Er sucht sich gute zwei Dutzend der Songs aus Youngs Repertoire aus, die ihm persönlich etwas bedeuten. Zwei Wochen lang singt er die Songs zu Hause, einfach so. Ohne Studio, ohne Rotlicht, nur seine Hunde und seine Katzen hören zu. „Manches hörte sich an wie gute Karaoke-Versionen, manches fing an zu klingen, als hätte ich es zu meinem eigenen Song gemacht.“ Er entschließt sich, alles live aufzunehmen, nur jeweils von einem Instrument begleitet. „Wenn wir schon davon reden, dass sich hier ein Kreis schließt: Ich hatte ja die D 18, die mir Neil geschenkt hatte, und David Briggs und Neil Young hatten mir in meiner Jugend wahrscheinlich alles über Live-Aufnehmen beigebracht“. Deshalb hat er auch der 1995 gestorbenen Briggs als Produzenten aufgeführt. Lofgren will nichts erzwingen, legt Songs wie „Philadelphia“ oder „The Needle And The Damage Done“ wieder weg, weil sie nicht zu seinen eigenen werden wollen, und weil er sich vorgenommen hat, im Geist von Briggs und Young „schnell und emotional“ zu arbeiten. Was nicht passt, passt nicht. Obwohl er sich selbst als extrem stur bezeichnet, lässt er sich von seiner Frau Amy überzeugen, „Harvest Moon“ aufzunehmen. „Wir sind beide wirkliche Fans sind oft sehr weit gefahren um Neil Young spielen zu sehen. Also bin ich eines Morgens noch mal hingegangen und habe „Harvest Moon“ nur so zum Probieren drei, vier Mal gesungen, mit der Absicht das dann wirklich zu tun. Heraus kam eine der besten Gesangsleistungen auf dem Album. Das hatte ich einfach zu früh weg gelegt. Man muss einfach manchmal auf seine Frau hören“.
Zurück in die 70er Jahre: Nach der Begegnung mit Neil Young im „Cellar Door“ verhilft David Briggs dem jungen Gitarristen und seiner Band Grin zum ersten Plattenvertrag, Briggs produziert die Band. Auf der vierten und letzten Grin LP findet sich der Song „Beggars Day“, der später von Nazareth zu einem veritablen Hardrock-Monstrum umgenietet wird. und über Jahrzehnte Bestandteil seiner Konzerte bleibt. Sein erstes Album Solo Album „Nils Lofgren“ (1975) definiert Lofgrens Stil als Gitarrist und Sänger. Der amerikanische Kritiker Jon Landau (der 1974 in Bruce Springsteen „die Zukunft des Rock’n’Roll“ gesehen hatte, schreibt: „Der Sänger klingt ernsthaft aber nie wimmernd, kräftig aber nie kriegerisch, verletzlich aber nie schwach“. Lofgren besitzt schon in jungen Jahren die Gabe, Inspiration nicht zur Imitation werden zu lassen. Über die Beatles und die Stones hat er deren Helden entdeckt, die alten Bluesmusiker Muddy Waters, Howlin’ Wolf, BB King, und „Stax, Motown, die Britisch Invasion, hunderte und aberhunderte großartiger Songs. Und als ich Jimi Hendrix live sah, da hatte ich schon das Gefühl, dass ich das tun wollte. Aber niemand kann Jimi Hendrix sein. Die einzige Chance, eine Karriere aufzubauen, war eine eigene Stimme zu entwickeln. Also habe ich massiv geübt, sechs oder acht Stunden am Tag. Man fängt natürlich mit seinen Helden an, aber irgendwann verselbständigt es sich zu einem eigenen Stil, der ernsthaft und ehrlich ist“. Er kann hart und bestimmt rocken, er liebt aber auch angefunkte Grooves. Seine Musik klingt transparent, unangestrengt.
Im Dezember 1974 hat Mick Taylor seinen Ausstieg bei den Rolling Stones erklärt. Lofgren hat der Band und Keith Richard auf seiner ersten Solo-LP mit „Keith Don’t Go“ ein Denkmal gesetzt, und nun kursieren Gerüchte, er werde möglicherweise an Richards’ Seite Taylor ersetzen. „Die Wahrheit ist, als Mick Taylor die Band verließ, wusste ich, dass Ronnie Wood den Job bekommen würde. Ich kannte Ronnie als entfernten Freund, ich war eine Art Teenage Groupie der Jaff Beck Group gewesen. Wenn sie spielten, ließen sie mich hinter die Bühne kommen und ich hing mit ihnen herum. Ich hörte einfach zu, wie sie sich unterhielten, ich war fasziniert von diesen großartigen Musikern.“ Nach den ersten Radiomeldungen über den Gitarristen-Wechsel hört er eine Weile nichts mehr. „Ich rief also Ronnie Wood an, fragte: was ist hier los? Er sagte: Weißt du was? Sie haben mir den Job angeboten, und ich hab’ abgelehnt. Ich bleibe bei Rod und den Faces Ich sagte: Du machst Witze, Mann! Der nette Kerl, der Ronnie nun mal ist, sagte: Keith ist in meinem Cottage und jammt dort mit ein paar Jungs, ich geb’ dir mal die Telefonnummer. Ich rief da also an, und Keith Richards, einer meiner größten Helden überhaupt, ist am Telefon. Ich sage also meinen Spruch auf: Nils Lofgren, Musiker, ihr sucht einen Gitarristen, ich würde gerne vorspielen. Er sagt: wir wollen Ronnie, aber er will’s nicht machen, ich bin relativ frustriert, ich will es nicht alleine machen. Die Rolling Stones werden also eine ganze Menge Gitarristen vorspielen lassen, irgendwo in Genf oder sonst wo in Europa. Du kannst gern kommen, einer von den vielen sein. Diese Ehrlichkeit hat mich total überrascht, und dass er mich nicht hat abblitzen lassen. Aber diese Auditions haben nie stattgefunden, denn Ronnie hat es sich anders überlegt, vielleicht hat sein Kumpel Rod Stewart ihm gesagt: komm schon Ronnie, du gehörst in diese Band…“
Konsequent baut Lofgren sich eine Karriere als Solokünstler auf. Die Kritiker lieben ihn, beim großen Publikum wird er allenfalls Achtungserfolge schaffen. Das Album „Nils“ von 1979 hatte immerhin mit „Shine Silently“ einen europäischen Hit, und „No Mercy“ zeigt Lofgrens als klassischen Rocker mit stadiontauglichem Refrain. Die WDR Fernsehredakteure Peter Rüchel und Christian Wagner holen ihn in die fünfte Rockpalast Nacht vom 6. auf 7. Oktober 1979 in der Essener Grugahalle. Rockpalast Regisseur Christian Wagner erinnert sich: „Wir hatten ja das Glück, vor den Konzerten drei, vier Tage mit den Künstlern zusammen sein zu können. Er war einer von denen, mit denen man auch über vieles reden konnte, was überhaupt nichts mit Musik zu tun hat“. Der Rockpalast hatte sich damals auf die Fahnen geschrieben, Live-Künstler zu zeigen, die in Deutschland und Europa noch weitgehend unbekannt waren. „Er hat das mit einem unglaublichen Charme rübergebracht. Er war einer von denen, die wir damit schlagartig national und international auf die Landkarte gesetzt haben.“ „Ich hatte nie, was man wirklich einen Hit nennen könnte, wenn der Song 20 Mal am Tag gespielt wird, bis zum Erbrechen und du Millionen Platten verkaufst“, sagt Lofgren. „Aber ich wollte die Musik mit den Leuten teilen, was hätte es also für eine bessere Gelegenheit dafür geben können, als möglichst viel live zu spielen. Ich trieb also meine Band an, und glücklicherweise war Rockpalast am Ende der Tour, wir hatten einen Haufen Shows auf dem Buckel, es gab keine Ablenkungen, und die Leute die die Show produziert haben, machten einen großartigen Job, die Crew war hervorragend, es war eine ganz spezielle Nacht.“ In der Tat: Lofgren und seine Band spielen ein konzentriertes und dennoch von vielen langen Jams durchsetztes Konzert. An der Bühnenkante steht ein Trampolin, das er immer wieder benutzt, um mit den Eröffnungsriffs in die Songs förmlich hineinzufliegen, er spielt Slide Soli frei auf einem Bein balancierend, bei „I Came To Dance“ singt die Menge schließlich und die Band tanzt. Christian Wagner sagt, „das Wort Magie habe ich im Zusammenhang mit dieser Nacht von vielen Leuten gehört“. Es muss an Lofgren liegen haben, denn nach ihm kommt der promillehaltige, übellaunige Mitch Ryder auf die Bühne.
1983 arbeitet er auf „Trance“ wieder mit Neil Young zusammen und veröffentlicht sein letztes Album für MCA „Wonderland“. Danach will die Plattenfirma keine weiteren Veröffentlichungen wagen, dieser Künstler liefert schließlich keine Hits. Anfang 1984 verbringt er ein Wochenende bei seinem Freund Bruce Springsteen, der gerade mit dem Endmix von „Born In The USA“ fertig geworden ist. Sie hören das Tape tagelang im Auto rauf und runter, Springsteen ist mächtig stolz auf seine Arbeit. Die Freude wird getrübt durch die Meldung, Miami Steve van Zandt, Gitarrist der E-Street-Band plane eine Solokarriere. „Das stimmte zu diesem Zeitpunkt nicht. Bruce hat sich aber mächtig darüber aufgeregt. Naja, ich habe jedenfalls die Gelegenheit genutzt, zu sagen: Wenn du irgendwann mal einen Gitarristen suchst, ich würde vorspielen kommen.“.
Die eher beiläufige Bemerkung betrachtet er selbst nicht als ernsthafte Bewerbung, schließlich versichert Bruce, Miami Steve würde die Band nie verlassen. Monate später geschieht es doch. Es sind noch vier Wochen bis zum Start der „Born In The USA Tour“ im Mai 1984, bei der die Bruce und die E Street Band weltweit 150 mal auftreten werden. Lofgren ist der erste Kandidat, der einen Anruf vom Boss kriegt, er bleibt auch der einzige. Bruce lädt zu einer ausgedehnten Jam Session ein. Nach zwei Tagen bietet er ihm den Job an. „Das war überwältigend, aber mir war klar: Niemand konnte Little Steven ersetzen. Wir sind beide gut in dem was wir tun. Aber Steven und Bruce sind die einzigen neben Keith Richards und Mick Jagger, die dieses raue Rock-Duett-Ding haben, niemand kann das sog gut wie diese vier Leute. Bruce wusste das. Er war bei eineigen meiner Shows gewesen, er hatte mit meiner Band gejammt, er wusste: Ich kann nicht singen wie Steven. Ich kann nicht so spielen wie er. Aber sich tue es eben auf meine Art. Aber wir waren Freunde, wir hatten die gleichen Ansichten über Musik, über das was Musik bewirken sollte. Es war natürlich ein Haufen Arbeit, ich musste ja innerhalb von vier Wochen startklar sein.“
Lofgren spürt schnell: Das funktioniert. Der Einstieg bei Bruce gibt auch seiner Solokarriere wieder eine Schub, 1985 veröffentlicht er das Album „Flip“, 1988 steht die nächste Welttour mit Springsteen zu „Tunnel Of Love an“ an, danach legt der die E-Street Band für 10 Jahre auf Eis. Lofgren schwimmt sich als Solokünstler frei. „Im Grunde haben die Plattenfirmen am Anfang dir geholfen haben, einen Produzenten zu finden, und dann haben sie dich in Ruhe gelassen. Später hat sich das geändert. Da hieß es: Hier sind unsere Ideen, du musst sie benutzen, es ist unser Geld. Ich habe dann immer so getan, als würde ich ihnen das abliefern wollen, was sie gerne gehört hätten“. Damit ist jetzt Schluss. Seine Veröffentlichungen werden radikaler. kompromissloser. Er erlaubt sich, eine stilistische Bandbreite, bei der sich die Plattenbosse die Haare raufen würden. „Damaged Goods“ (1995) klingt extrem rau, trocken und erdig. „Die Plattenfirma mochte es überhaupt nicht, und ich liebte es. Wir haben uns also eine kleine Firma gesucht, die es herausbringen sollt, und dann habe ich eineinhalb Jahre gebraucht, um aus meinem Plattenvertrag herauszukommen.“
Seiner Sturheit ist Lofgren denn auch auf „Sacred Weapon“ (2006), seiner letzten regulären Veröffentlichung vor der Neil Young Werkschau treu geblieben. Der Sturheit, sich stilistisch nicht festlegen zu lassen, die sich durch seine gesamte „zweit Solokarriere“ zieht. Er nennt es die „schizophrene Seite meiner Musik“ und verweist auf Springsteen, der schließlich auch alles Arten von Songs schreibe „von Folk bis silly Rock“. „Ich denke, wenn etwas für mich erregend ist, dann ist das schon mal der richtige Weg zu hoffen, dass es dem Publikum genauso gehen könnte. Darum geht es doch auf dem Album Secret Weapon. Es fängt mit einer Countrynummer an, zusammen mit Willie Nelson, dann kommt er verrückter Funksong. Ich will einfach keine Plattenfirma, die mir sagt, du kannst nicht eine Countryballade mit Willie Nelson machen und im nächsten Moment einen Funkrocksong. Warum nicht? Das ist doch ehrlich….“