Der letzte Rockstar

Elliott Murphy im Jubez, Karlsruhe, 8.10.2006

Er hat die Liner Notes für ein Velvet Underground Album geschrieben, mit Bruce Springsteen ein Duett aufgenommen und er war in einer Szene von Fellinis „Roma“ zu sehen. Seit 1990 lebt Elliott Murphy in Paris. Die Franzosen, sagt er kürzlich in einem Interview, hassten die Reichen hassen – im Gegensatz zu seinen amerikanischen Landsleuten. „Die wollen reich werden“. Und die Deutschen? Kurz vorm Auftritt am Donnerstagabend im Jubez: Murphy denkt kurz nach und grinst: „Sie neigen dazu, den Reichen zu verzeihen“.

Er jedenfalls gehört offenbar nicht zu den Amerikanern, die reich werden wollen. Eine solide Karriere über vier Jahrzehnte, aber ein Star wurde er nie. „Last Of The Rockstars“ wird er auch im Konzert singen. Das trottzige „Rockn’n’Roll is here to stay“ ist das Credo eines Seelen-Musikers. Eines Süchtigen, dem es so offensichtlich egal ist, ob er vor tausenden oder vor ein paar Dutzend Leuten auftritt. Das genretypisch dem Publikum zugerufene „Are you ready?“ bekommt da eine ganz andere Bedeutung. Nein, nicht der Heldenverehrung gilt es, sonderm dem Zuhören, dem „Eins mit der Musik werden“.

Literatur ist meine Religion, Rock’nRoll meine Sucht. Auch so ein typisches Murphy-Zitat. „Die Woche über spiele ich Gitarre, sonntags lese ich“, sagt er über die Balance. Ob das stimmt? Auf der Bühne ist er oft die Song gewordene Kurzgeschichte. Erzählen kann er auch: etwa seinen Traum vom wegen Autopanne verpassten Rolling Stones Konzert, für das er sich eh kein Ticket leisten könnte. Oder die wunderbare Anekdote, in der er seine 83 Jahre alte Mutter vorstellt, und es fast ist, als wäre sie im Raum. Den „Rock’n’Roll Spirit“ habe sie, und sie behaupte auch, 50 Jahre lang Rock’n’Roll gehört zu haben. Stimmt nicht, merkt der Sohn spitzbübisch an, sie habe lediglich 35 Jahre Elliott Murphy gehört.

Musikalisch ist an diesem Abend alles Präsenz, Funkensprühen und dabei doch immer vorbeischlurfendes Understatement. Elliot Murphy braucht nichts außer sich, seine Gitarre und seinen Gitarrenhexer Olivier Durand. Der quält seine mit Tonabnehmer versehene Akustische, als sei er der der letzte Gitarrenheld, gelegentlich bis zur Selbstparodie. Aber man täusche sich nicht: der Kerl spielt keinen überflüssigen Ton. Der Rest der „Normandy Allstars“ spielt songdienlich. Punkt.

Spannung, Dynamik, die weder Lautstärke noch schimmernde Refrains braucht, sowas kann Murphy. „You Never Know What You’re In For“ führt vor wie es geht. Nebenbei demonstriert er, dass die Mundharmonika kein nervtötendes Instrument sein muss. „Ein bisschen Blues ist immer in meiner Musik“ hat er gesagt. Aber in solchen Momenten ist er ziemlich nah an einem anderen hierzulande kaum bekannten amerikanischen Geschichtenerzähler: Eric Andersen. Zu ganz großem Breitwand Kino schwingt sich „On Elvis Presleys Birthday“ auf – schon beim letzten Konzert in Karlsruhe 2006 der anrührendste Song. Ein Ritt mit dem Vater durch die Stadt im Cadillac, du fühlst und riechst förmlich das Leder der Sitze bei dieser Tour durch amerikanische Geschichte und Popkultur. Ein Jahrhundertsong mit Gültigkeit.

Da kann sich Murphy dann auch mal einen noch nicht veröffentlichten Countrysong erlauben, der im Klischee ersäuft oder eine rockige Belanglosigkeit wie „Canaries In The Mind“. Immerhin schafft sowas die notwendige Grundschwingung im Publikum. Dass „intim“ keine abgenutztes Wort ist, erweist sich bei den Zugaben: Die passieren wirklich vollkommen unplugged. Alle Mikrophone aus, der kleine Kreis der Murphy-Freunde zusammengerückt vorne am Bühnenrand. Da fehlt dann nur noch das Lagerfeuer. Selbst das würde in diesen zehn Minuten nicht kitschig wirken.