Die Urgesteine des Schottenrock

Nazareth in der Bruchsaler Rockfabrik, 23.10.2015

Wenn es um britischen Hardrock geht, standen Nazareth hinter den Großen Deep Purple, Led Zeppelin und Black Sabbath immer in der zweiten Reihe – daran ändern auch rund 40 Millionen verkaufter Tonträger nichts. Ganz vorne aber sind die Männer um Bassist Pete Agnew, mit 69 Jahren das einzige verbliebene Urmitglied, wenn es um Beständigkeit und Geradlinigkeit geht: Mit wenigen Ausrutschern in Pop-Gefilde stehen sie seit 47 Jahren für soliden, unprätentiösen Arbeiterklasse-Hardrock.

Zwar steht mit dem neuen Sänger Carl Sentance (manche kennen ihn von seiner Zusammenarbeit mit Deep-Purple-Organist Don Airey) ein Mann am Mikrofon, der auch die berühmt-berüchtigten Heavy-Metal-Opernarien singen könnte. Was aber den Brüllwürfel-Vorlagen seines Vorgängers Dan McCafferty nicht gerecht würde. Sentance bringt gleichwohl eine melodiösere Klangfarbe in den raubeinigen Sound. Das Quartett steigt mit hohem Energielevel ein und nimmt die unfreiwillige Pause mit Humor, die entsteht, als schon nach dem zweiten Song Drummer Lee Agnews Fussmaschine kollabiert. „It was such a great start. Fuck!“, meint Carl Sentance und lacht sich dabei halb kaputt. Weiter geht es mit „Razamanaz“. Der Titelsong des Albums, das der Band 1973 den internationalen Durchbruch verschaffte, legt die Rock’n’Roll Messlatte hoch, mit einem Refrain, der den unschuldigen Hedonismus jener Zeit auf den Punkt bringt. An diesem Abend werden keine Gefangenen gemacht: Ausser den beiden unvermeidlichen Balladen „Love Hurts“ und „Dream On“ ist die Setliste vollkommen Popmusik-frei und eine Traumzusammenstellung für Fans der ersten Stunde: Der brutale schwerfällige Riff- Rocker „Miss Misery“, der geradlinige Rock’n’Roller „Turn On Your Receiver“, das zeitlose „This Flight Tonight“ – letzteres ziemlioch mutig schon al vierter Song platziert. Was beweist: Die Band ist sich der Qualität ihres Repertoires bewusst, da muss man nicht bis zum Schluss mit den vermeintlichen Publikumsfavoriten warten. Stattdessen gibt es vor der Zugabe das wunderbare, mysteriös-neblige „Morning Dew“ vom allerersten Album aus dem Jahr 1970.

Die Herren haben sichtbar Spass, die Sau rauszulassen: Der 69jähige Agnew steht wie ein Fels in der Brandung, während sein Sohn Lee mit scharfkantigem, bewusst einfachen Drumming den Songs den richtigen Kick verleiht. Gitarrist Jimi Murrison ist als Solist eher konventionell, dafür aber ein großer Riff-Meister. Carl Sentance sucht immer wieder den Kontakt zum Publikum, flirtet offensiv mit den Damen und animiert zum Mitsingen. Was auch prima funktioniert. So manch einer der ergrauten Veteranen entdeckt plöltzlich, dass er all diese Songlyrics seiner Jugend noch drauf hat, und sie lassen sich ja auch so schön enthemmt mit schreien.