Mehr als eine Sängerin

Julia Neigel im Bürgerhaus Malsch,, 6.11.2010

„Ich bin da“ heißt der erste Song am vergangenen Freitagabend auf der Bühne des Bürgerhauses Malsch. Und wie sie da ist: Julia Neigel. die Hexe, die Furie, die Teufelin, die Tänzerin, Schmeichlerin, Brüllerin. Schlange und Schlangenbeschwörerin gleichzeitig. Das braucht wirklich keine drei Minuten, und die Frau hat klar gemacht: ein gelungener Auftritt ist mehr als gut singen. Das kann sie sowieso. Aber diese (gelegentlich etwas übermotivierte) theatralische Bühnenpräsenz ist es, die die Zuhörer vom ersten Moment an in den Bann schlägt.

Beim zweiten Song „Old Love“ lässt sie der Band zu ersten mal Raum, alles zu zeigen, was sie drauf hat. Da entwickelt sich ganz langsam kontrollierte Ekstase. Gitarrist Joerg Dudys schöpft ein Solo von ganz unten herauf, er spielt verhaltene einzelne Töne, lässt seine Läufe um den heißen Brei tänzeln und baut so eine ganz eigene Spannung auf. Der 21jährige Pianist Markus Zimmermann, ganz neu in der Band, hält alle Fäden in der Hand, um aus den nur drei Instrumenten einen sinfonischen Klangkörper, ein Kammermusikensemble oder einen hart rockenden Stoßtrupp zu machen, zudem singt er eine respektable zweite Stimme. Der brasilianische Percussionist Dala Lima beweist, dass es in einem Kontext mit akustischen Instrumenten keinen Bassisten braucht, wenn man weiß, wie die rhythmischen Akzente zu sitzen haben. Lima zeigt auch in einem Solo, welche Klangmöglichkeiten in zwei unscheinbaren Tablas stecken.

Dass eine variable Stimme wie die von Julia Neigel im Rahmen einer Akustik-Tour mehr Entfaltungsmöglichkeiten bekommt, ist eine Binsenweisheit. Wenn man dann noch das Risiko eingeht, ein solches Programm in alle musikalischen Richtungen offenzuhalten, umso mehr. Die Neigel mischt eigene Hits, probiert noch nicht Veröffentlichtes aus und covert ganz unterschiedliche Genres. Dabei kämpft sie um jeden Zuhörer. Jeder soll hinterher nach Hause gehen in dem Bewusstsein, die da oben auf der Bühne habe nur für ihn gesungen. Fan-Vollbedienung ist ihr Prinzip. „Wer hat denn den weitesten Weg gehabt?“ fragt sie. Da ist ein Friseur aus Köln, „ich hab es auf Facebook gesehen“, sagt Julia. Und irgendwann, man hat es schon fast erwartet, kommt sie von der Bühne runter und singt, schüttelt Hände, singt weiter. Aber da schwingt wohl auch die Hoffnung mit, dass dass irgendwann mal wieder mehr als die rund 150 Besucher im Saal seine könnten, und dass sie es nicht mehr in einem Song durch die Stuhlreihen schafft.  Sie spielt Rollen, sie wechselt die Klamotten. In „Hijo de la Luna“ (noch im grünen Minikleid) gibt sie die heißblütige Tänzerin, und es wirkt alles andere als angelernt. Ihr eigener kleiner Hit „Weil ich dich liebe“ aus den 90er Jahren gewinnt in der transparenten Instrumentierung eine so bislang nicht gehörte Tiefe. Wirklich bemerkenswert sind allerdings die beiden Songs von Soundgarden („Black Hole Sun“) und Incubus („Dig“) – jetzt im ganz engen schwarzen Dress vorgetragen. Aus den harten Rockvorlagen werden hier kantige, knarzige Höhepunkte, die gar keine verzerrten elektrischen Gitarren brauchen, um zu brodeln wie Vulkane. Dass Frau Neigel den Original-Sängern gerade in diesem Fall an Ausdruckskraft haushoch überlegen ist, macht den zusätzlichen Reiz, neben der spannenden Idee, „typisch männliche“ Musik von einer Frau gesungen zu hören. Eine ähnliche Anmutung strahlt der neue Song „Teufel“ aus, bei dem in der unplugged Version die bleierne Schwere heftiger Gitarrenwände bereits zu ahnen ist. Zur Zugabe erscheint Julia Neigel dann ganz in Silberglanz. Vielleicht etwas „overdressed“ für das Finale „Schatten an der Wand“, den großen Hit von 1986, entstanden und erstmals vorgetragen in der WG Küche. Hier bietet sie ihn in einer sehr entspannten, transparent flatternden Version, die sich gegen Ende in einen Latino-Groove hineinsteigert. Das das Publikum inzwischen längst steht, ist klar.