Momentaufnahmen

Wolfgang Niedecken las und sang im Tollhaus, Karlsruhe, 17.4.2011

NOTIZ: Das Foto entstand im März 2011 vorm WDR-Funkhaus, Köln

„Es ging darum, dass das Schreiben das Erinnern nachahmt“, sagt Oliver Kobold zur Einführung. Der Literaturwissenschaftler, der zusammen mit BAP Sänger Wolfgang Niedecken dessen Biographie zu Papier gebracht hat. Und also sind des Sängers und bildenden Künstlers Memoiren nicht chronologisch angeordnet und handeln beileibe nicht nur von BAP. So ist einer der Momente, in denen es im Saal ganz still wird der, in dem er über sein Engagement zur Wiedereingliederung ehemaliger Kindersoldaten in Norduganda berichtet und dazu das sonst üppig arrangierte „Noh Gulu“ mit ganz einfacher Gitarrenbegleitung intoniert.

Wie überhaupt die Songs in diesen „entblößten“ Lagerfeuer-Versionen ihre Stärke zeigen: Sie funktionieren – als eindringliche Momentaufnahmen. „Für ’ne Moment“ macht den Auftakt: Ein Bekenntnis zu der Sprache, in der Niedecken denkt, fühlt, leidet. Verbunden mit der Rückschau auf eine merkwürdige Band, die 1976 zwischen Kippen und. Leeren Flaschen in einem versifften Proberaum anfing, ohne Plan und ohne Ziel. Die man auf die Bühne locken musste, und die zu ihren Anfangszeiten auch mal einen Saal leerspielte.

Das ist eines der Themen, die sich durch Niedeckens Buch und seinen Vorrtrag ziehen wie ein roter Faden: das „immer weiter“, ohne Netz und doppelten Boden, die Entwicklung des bildenden Künstlers und des Musikers ohne jede Marketingstrategie. Dass er Vorbildern und bewunderten Künstlern viel zu verdanken hat, hat er nie verleugnet. Wenn sie ihn damals den „Südstadt-Dylan“ nannten – ihn stört es nicht: „Es gibt schlechtere Vergleiche“. Er berichtet voll Respekt von der Begegnung mit Kinks-Boss Ray Davies, der nie Gebrauchslyrik abgeliefert hab. Er hat 2005 in London seinen Part für eine kölsch-englische Version von „Celluloid Heroes“ aufgenommen „er vergewisserte sich nochmal, in welcher Sprache ich denn da singe“. Die Geschichte, Niedeckens erstes kölsches Lied „Helfe kann dir keener“ sei beim nicht ganz gelungenen Versuch, Neil Youngs „Cowgirl in the Sand“ zu spielen, entstanden, stellt er nochmal nach, indem er beide Songs ineinander übergehen lässt.

Der Rock’n’Roll Traum, den Niedecken mit BAP seit 35 Jahren lebt, hat seine Parallelen zu großen Vorbildern, die der Sänger mit einer heiteren Selbstironie streift. Wenn er etwa über die Sessions zu „Aff und zo“, die in einer eigens zum Studio umgebauten ma Villa auf Mallorca stattfanden, berichtet. Alles wie bei den Stones, als sie in Südfrankreich „Exile On Main Street“ aufnahmen. Nur eben ohne Dealer, ohne Anita Pallenberg, ohne ständig abwesende Bandmitglieder und ohne zielloses Rumprobieren. Bei BAP gab es lediglich eine Dose voller „lustiger Kekse“. Ein anderer Kleinexzess löst ebenfalls Heiterkeit beim Publikum aus: Mit dem Complizen unterwegs, demolierte Niedecken nicht Hotelzimmer, nein: Man räumte um.

Einen unbescheidenen Moment kann sich aber auch dieser Anti-Star nicht verkneifen: Die schöne Geschichte, in der Mick Jagger 1982 mitansehen muss, wie seine merkwüdige Vorgruppe im Kölner Stadtion „Verdammp lang her“ spielt, und 80.000 Stones-Fans abgehen wie eine Eins. Was wiederum Mick Jagger dem Konzertveranstalter Fritz Rau die Frage stellen lässt: “Fritz, what the hell is this?“