Auf keinen Fall ein Dylan-Hansel

Ohne Bob Dylan hätte es BAP nie gegeben. Wer die Geschichte der Kölner Band auch nur bruchstückhaft kennt, weiß das. Jetzt hat Wolfgang Niedecken ein Buch über Bob Dylan geschrieben, das seine eigene Karriere mit der seiner amerikanischen Inspirationsquelle verschränkt. Es ist auch eine vorläufige Bilanz der jahrzehntelangen Beschäftigung des Kölners mit Dylan.

2018 geht Wolfgang Niedecken für die TV-Dokumentation »Bob Dylans Amerika« auf Spurensuche kreuz und quer durch die USA. Er besucht Wirkungsstätten seines Vorbildes und trifft Weggefährten wie Dave Stewart von den Eurythmics, den großen Popkultur-Fotografen Elliot Landy oder Todd Gitlin, Soziologe und ehemaliger Aktivist der 68er Bewegung. 2020 erscheint das BAP-Album Alles fliesst, Live-Auftritte sind wegen Corona nicht möglich. So findet der Kölner Zeit, endlich das dem Verlag schon länger zugesagte Buch »Wolfgang Niedecken über Bob Dylan« zu schreiben, das Dylan würdigt und zugleich offenlegt, welchen wichtigen Einfluss der Amerikaner auf das Lebenswerk des Kölners hatte und hat. Dabei will Niedecken sich nicht als »Dylanhansel« verstanden wissen.

Denn dieser Typus ist für ihn »ein übersteigerter Fan, das kriegt so eine religiöse Komponente, da bin ich sehr vorsichtig« So erklärte er es seinen Fans, als er von 2005 bis 2007 mit Dylans autobiographischen Chronicles »im Auftrag des Herrn« auf seiner eigenen Never Ending Tour – einer Lesereise ausschliesslich mit Dylan-Songs – unterwegs war, Kölsch und BAP einmal ganz aussen vor. »Dylan ist für jeden zugänglich, lasst euch nichts hineingeheimnissen«, war das ungeschriebene Gesetz dieser langen Abende.

Niedecken hatte die deutsche Ausgabe der Chronicles als Hörbuch eingelesen, und hatte damals wie heute kein Problem, die misslungenen Alben des Meisters zu benennen: Empire Burlesque, Knocked Out Loaded und Down The Groove. »Wenn Daniel Lanois nicht gewesen wäre, hätte Dylan vier Scheiß-Alben hintereinander gemacht«, erzählte Niedecken damals seinen Zuhörern und empfand Dylans eindringliche Beschreibung seines Ringens mit dem Produzenten Daniel Lanois erhellend. Der hatte einfach nicht lockergelassen, bis Dylan mit Oh Mercy das ablieferte, was er sich vorstellte – auch diese Kapitel wird in dem neuen Buch nochmals beleuchtet. Nachhaltig beeindruckt hat Niedecken der Respekt, mit dem Dylan die Folksänger im Greenwich Village schildert, die ihm auf seinem Weg nach oben begegnen. Musiker, deren Namen heute kaum mehr jemand kennt. Die Chronicles waren für Niedecken ein entscheidender Schritt zur Entmystifizierung seines Idols, eine Offenbarung. Dylan sei »viel greifbarer geworden. Wer behauptet, dass das noch Rätsel aufgibt, der hat das Buch nicht verstanden.«

30 Jahre vor der Lesetour hatte Bob Dylan dem Leben des gerade frisch examinierten Kunststudenten Wolfgang Niedecken eine entscheidende Wendung gegeben. Das Album Desire wurde zur Initialzündung für Niedecken, nach langer Pause wieder zur Gitarre zu greifen. »1976 machte ich Zivildienst, fuhr Essen auf Rädern aus mit einem Dylan-Wahnsinnigen, der hatte nur Dylan-Kassetten dabei«, erzählte er 2008 im ROCKS-Interview. »Ich hatte das nicht mehr verfolgt, seit ich 1970 mit dem Studium angefangen hatte. Ich hatte nach meinem Kunststudium entschieden, die Malerei mach’ ich jetzt hundertprozentig. Aber dieser Typ hatte ständig dieses Album dabei, das war gerade erschienen, der hat mir soviel von Dylan erzählt, dass ich alles gekauft hab, was zwischen 1970 und 1976 erschienen ist. Ich hab’ mir die Songs rausgehört, das waren auch die ersten Songs, die wir mit BAP gespielt haben.«

Auch später gibt es immer wieder Dylan-Covers im Repertoire der Band. Und die mittlerweile auch ausserhalb der BAP-Fanbubble legendäre Huldigung gehärt zu den in Stein gemeisselten Ritualen der Firma: Vor Konzertbeginn stößt die Band mit Grappa auf die »Heiligen Drei Könige« an, vor einem eigens dafür gebauten, aufklappbaren Altar. Die Könige aber heißen Keith Richards, Ron Wood und eben Bob Dylan. Die traten beim Live-Aid Konzert 1985 extrem angeschlagen und unkoordiniert vors weltweite Publikum. Niedecken hatte den Auftritt als Gegenthese gegen die Glattheit und Perfektion der achtziger Jahre begriffen.

So wie es BAP ohne Dylan wohl nie gegeben hätte, hätte die Band auch Mitte der 90er-Jahre womöglich ein frühes Ende gefunden, hätte Niedecken nicht 1995 die „Leopardefell“ CD aufgenommen, ein Album mit eingekölschten Bob Dylan Songs. Zunächt als Bandalbum geplant, zeigte sich schnell: Einiges klingt ganz ordentlich, aber nicht überzeugend, nicht zuletzt weil als Einziger Keyboarder Alexander Büchel wirklich mitzog. So wurde das Album zum Soloprojekt mit Unterstützung von Carl Carlton, Bertram Engel und Ken Taylor plus einem jungen Talent namens Jens Streifling. Die Leopardefell-Band spielte in kleineren Hallen als BAP. Es war schwitzig, es ging direkt nach vorne los, es war Rock’n’Roll. Mit dem Einstieg von Jens Streifling bei BAP kurz danach beginnt eine Reihe von fruchtbaren Umbesetzungen der Stammkapelle.

Im Mai 2000 spielt Dylan in der Kölnarena und Wim Wenders stellt seinem Freund Bob seinen Freund Wolfgang vor. Der schreibt über die Begegnung: »Um im vorauseilenden Gehorsam die diesbezüglich am meisten gestellte Frage zu beantworten: Nein, ich habe ihn nicht gefragt, ob er mein Album mit den ganzen kölschen Coverversionen gehört hat«.

Eie Erkenntnis, die der Leser sowohl nach der Lektüre von Dylans Chronicles als auch der von Neideckens Buch haben dürfte, findet sich in einem Zitat des Rock-Journalisten Michael Simmons, den der BAP-Sänger in Los Angeles getroffen hat. Dylan sehe sich »in keinster Weise als Messias, sondern nur als Storyteller, als Troubadour, der von Land zu Land, von Stadt zu Stadt zieht.« Das Gleiche könnte man auch über Wolfgang Niedecken sagen. Den sie damals, zu Beginn seiner Karriere, den »Südstadt-Dylan« nannten. »Es gibt schlechtere Vergleiche«, hat er schon 2011 auf der Lesereise mit seiner eigenen Autobiographie »Für ’ne Moment« leicht amüsiert verkündet.

Wolfgang Niedecken über Bob Dylan. KiWi Musikbibliothek, Band 11. 240 Seiten, 14 Euro