Fortsetzung folgt…. Wolfgang Niedecken wird 70
Fotos: Copyright Tina Niedecken
Es hätte anders kommen können: 1974 hatte Wolfgang Niedecken sein Kunststudium erfolgreich abgeschlossen und in New York monatelang bei Larry Rivers, dem „Großvater der Pop Art“, gewohnt. Der Weg schien vorgezeichnet, wäre der junge Kölner, der am 30. März 70 wird, nicht 1976 im Zivildienst einem Hardvore-Bob-Dylan-Fan begegnet, der jeden Tag dessen „Desire“ Album zu Gehör brachte. Der Kunststudent nahm die schon beiseite gelegte Gitarre wieder in die Hand. Noch im gleichen Jahr entstand BAP. Niedecken hatte schon 1974 einen eigenen Song auf Kölsch geschrieben: „Helfe kann dir keiner“. Damit war der Weg für die kommenden 45 Jahre vorgezeichnet: Niedecken hielt seine Band durch alle Stürme, Besetzungswechsel und gegen jede Mode auf Kurs: Rockmusik, von Vorbildern wie Dylan, Neil Young und den Rolling Stones beeinflusst, aber immer auf Kölsch. „All ming Jedanke, all ming Jeföhle. Hann ich – sulang ich denke kann.Immer noch ussjelääf oder erdraare, En unserer eijne Sprooch.“ heißt es im 1999 veröffentlichten Song „Für ‘ne Moment“.
BAP machten Kölsch zumindest für die 80er Jahre zu einer bundesweit verstandenen und gerne mitgesungenen Sprache. Der Versuchung, die Band musikalisch in ein international verkäufliches Formatradio-Produkt umzubauen, gar englisch zu singen, ist er nie erlegen. „Ich habe meinen inneren Kompass. Dem bin ich immer gefolgt. Da habe ich aber keine Sekunde überlegt, mal klein beizugeben.“
Niedecken ist sich in vieler Hinsicht treu geblieben: Seine Band galt in den frühen 80er Jahren als musikalischer Botschafter der Friedensbewegung, ließ sich aber nie vor den Karren einer Partei oder einer Ideologie spannen. Als die DDR-Zensoren bei einer geplanten BAP-Tour 1984 einen Song aus dem Repertoire streichen wollten, fuhren die Musiker unverrichteter Dinge ab. Seine Songtexte zeigen ihn als wachen, undogmatischen Beobachter deutscher Zustände. 1990 sang er in „Denn mir sinn widder wer“ gegen die grassierende Einheitsbesoffenheit an, schon 1982 hatte er mit „Kristallnaach“ bilder- und metaphernschwanger vor Rückfall in finsterste Zeiten gewarnt. In dieser Beziehung ist Niedecken kein bisschen altersmilde: „Ruhe vor‘m Sturm“ vom aktuellen BAP-Album wütet gegen den Rechtsruck und ist zugleich Selbsttherapie: „Das musste einfach raus. Dieser Horror vor diesen Populisten. Das beste an Corona war ja, dass es die zweite Amtszeit von Trump verhindert hat. Und dann kommen diese ganzen anderen furchtbaren Typen in Ungarn, Italien, Brasilien, die man ja eigentlich durchschaut, wenn man halbwegs Menschenkenntnis hat. Und guck dir diese AfD-Typen an. Wie schaffen die es, Wähler für sich zu gewinnen? Ich verstehe das nicht.“
Parallel zur Musik hat sich der Sänger immer gesellschaftlich engagiert. So gründete er zusammen mit der Kinderhilfsorganisation World Vision das Hilfsprogramm Rebound, das frühere Kindersoldaten in Uganda unterstützt. 2013 ergielt er füpr dieses bi heute anduerende Engagement das Bundesverdienstkreuz. „Ich habe gerade einen Bericht über die Situation unserer beiden Projekte gelesen. Die sind noch mit Ebola geschlagen zusätzlich zu dem ganzen Elend mit Kindersoldaten, Milizen und illegalem Koltan-Abbau, dann kommt noch Corona dazu. Es wird immer schwerer, aber es geht weiter…“.
Nach dem überstandenen Schalganfall 2011 hat er zwei sehr private, sehr leise Solo-Alben aufgenommen: Das seiner Frau Tina gewidmete „Zosamme alt“ (2013) und das „Familienalbum“ „Rinrassije Stroossekööter“. Vor einem Jahr wurde er zum ersten Mal Großvater. Je älter er wird, desto mehr Platz nimmt die Rückschau in seinem Schaffen ein: Schlaglichter wie vertonte Kurzfilme: Familienbilder, Erinnerung an Menschen und Orte in Köln, an die Zeiten, in denen man im Radio noch neue Musik entdecken konnte. Aber „meine Nackenhaare sagen mir, wenn ich anfangen würde, im kitischigen Sinne nostalgisch zu werden. Ich habe immer ein Problem gehabt mit Leuten, die gesagt haben: ‚Früher war alles besser‘ Da sage ich: Wie viele Kriege hat eine Generation erlebt in den tollen Zeiten, in denen Spitzweg schöne Bilder gemalt hat? Möchtest Du die Zeiten erleben?“ Für die Zukunft ist der Blick nach vorn gerichtet.
Die Corona-Zwangspause hat er genutzt, ein sehr persönliches Buch über Bob Dylan zu schreiben. Das geplante Geburtstagskonzert in der Köln-Arena wurde auf den 30. März 2022 verschoben. „Ich muss mich ja jetzt schon ermahnen, dass ich nicht schon anfange, die Setlist zu machen. Die Papptäfelchen für die Stücke, die infrage kommen, habe ich schon geschrieben.“ Ob er, wenn er mal 80 ist, an die Staffelei zurückkehrt? Auf die Frage gibt er keine eindeutige Antwort. Dann fällt ihm noch ein Anekdote von Leonard Cohen ein: „Bei einem der Konzerte, als er schon stramm auf die 80 zuging, sagte er eine Nummer mit den Worten an: ‚I wrote this song when I was just a crazy kid of sixty.‘ Da war ich selbst noch unter 60. Ich hab‘ mich weggeworfen.“ Bis zum 30.März 2022 bleibt er sowieso einfach 69, hat er vor kurzem beschlossen, und der Titel der im darauffolgenden Herbst anstehenden Tour ist „Schliesslich unendlich“.
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